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Kunstbiennale
Venedig im Wandel
Die Kunstbiennale in Venedig hat ihre Tore geöffnet und ist dabei so bunt und divers wie noch nie. Der Kurator der Hauptschau, der Brasilianer Adriano Pedrosa, hat 330 Künstler und Künstlerinnen aus zahlreichen Ländern - nicht zuletzt des Globalen Südens - eingeladen. Daneben sind mehr als 80 Länder mit eigenen nationalen Beiträgen Teil der Biennale und auch dort fügen sich die individuellen Kuratierungen oft mehr als schlüssig in das von Pedrosa ausgegebene Generalmotto "Fremde überall" ein.
23. Mai 2024, 02:00
Rundgang
„Fremde überall“ so könnte man das Thema der 60. Kunstbiennale in Venedig übersetzen, das lautet „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“. Die Biennale wird von dem aus Sao Paulo stammenden Adriano Pedrosa kuratiert, dem ersten Kurator, der in einem Land des globalen Südens lebt, gleichzeitig ist er der erste queere Kurator der Kunstbiennale in Venedig.
Die Länderpavillons
Sabine Oppolzer hat sich in Venedig umgesehen und stellt die ihrer Ansicht nach sehenswertesten Pavillons in den Giardini vor.
Die Goldenen Löwen
Was die Biennale beim Betreten der Giardini verspricht, hält sie nun auch bei der Preisverleihung. Indigene Künstlerinnen und Künstler haben bei der offiziellen Eröffnung die wichtigsten Preise erhalten. Bei der Preisverleihung wurden der Australier Archie Moore und die neuseeländische Künstlerinnengruppe Mataaho Collective von der internationalen Jury mit zwei Goldenen Löwen ausgezeichnet. Bei ihren Arbeiten beschäftigen sie sich mit der Geschichte und den Traditionen der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner Australiens und Neuseelands. Insbesondere das Gefühl des Fremdseins, das Indigene in ihren eigenen Ländern häufig verspüren, nimmt bei ihnen eine herausragende Stellung ein.
Der österreichische Pavillon
Der 2024 von Gabriele Spindler kuratierte Österreich-Auftritt stellt die in Russland geborene, seit 1989 in Wien lebende und in Linz lehrende Künstlerin Anna Jermolaewa ins Zentrum.

Im linken Flügel des Josef-Hoffmann-Pavillons zeigt Anna Jermolaewa ihre "The Penultimate" genannte Serie aus Pflanzenarrangements und erinnert damit daran, wie viele Aufstände und Revolutionen Pflanzen als Symbol hatten - von der Nelkenrevolution 1974 in Portugal bis zur Lotusrevolution 2011 in Ägypten.
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Im rechten Flügel des Österreich-Pavillons probt die ukrainische Balletttänzerin und Choreografin Oksana Serheieva „Schwanensee“ – auf Video und immer wieder live. Anna Jermolaewa dazu: "Das ist Teil eines kollektiven kulturellen Gedächtnisses: Wenn Tschaikowskys 'Schwanensee' im Loop im sowjetische Fernsehen zu sehen war, wussten alle: Jetzt ist etwas Bedeutendes im Gange." Das sei beim Tod von Parteiführern wie Breschnew oder Andropow ebenso der Fall gewesen wie 1991 beim Augustputsch in Moskau. Heute "Schwanensee" zu proben, heißt also, sich für den Tag X bereit machen, der den nächsten Umbruch bedeute: weg von Putin.
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In einem kleineren Raum ist Jermolaewas Videoarbeit "Research for Sleeping Positions", für die sie 2006 auf einer Sitzbank auf dem Wiener Westbahnhof, wo sie 17 Jahre zuvor als Neuankömmling ihre Nächte verbrachte, zu schlafen versuchte (in der Zwischenzeit hatte man die Bänke jedoch bewusst besonders unbequem gemacht).
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"Ribs" zeigt eine Auswahl gebrauchter Röntgenfolienaufnahmen, die in der Sowjetzeit als Tonträger für verbotene Musik dienten. Einmal täglich wird eine Aufnahme dieser "Musik auf Knochen" tatsächlich auf einem Plattenspieler abgespielt. Die dazu passende Playlist ist an der Wand zu sehen.
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Im Hof schließlich sind sechs ausrangierte österreichische Telefonzellen aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen aufgestellt. Jermolaewa selbst hat von einer dieser Zellen 1989 ihre Verwandten in Sankt Petersburg angerufen, um ihnen zu sagen, dass sie gut in Wien angekommen ist.
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Ersan Mondtag: Die Erde Anatoliens
"Ich denke immer von den Räumen aus, wenn ich ein Stück entwickle", sagt der deutsche Bühnenbildner und Regisseur Ersan Mondtag, der für seine mitunter surreal anmutenden Bühnenbilder berühmt ist. 2018 begeisterte Mondtag mit seiner Inszenierung der "Orestie" das Publikum der Wiener Festwochen. Nun bespielt Ersan Mondtag den Deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig. In einer begehbaren Installation, die live von fünf Performer:innen vermessen wird, erinnert Mondtag an die Migrationsgeschichte seines Großvaters. Dieser verließ in den 1960er Jahren seine Heimat in Anatolien und kam als Gastarbeiter nach Deutschland. Den Eingang des Deutschen Pavillons, dessen wuchtige neoklassizistische Architektur aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stammt, ließ Mondtag mit Erde aus Anatolien zuschütten. Mit seinem Beitrag öffnet Ersan Mondtag ein großes Assoziationscluster, das sich den Spielarten des Fremdseins nähert.

Erde aus Anatolien
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Die Kunstbiennale in Venedig ist weltweit eine der wichtigsten Präsentationen zeitgenössischer Kunst. Die Ausstellung ist bis zum 24. November 2024 geöffnet.
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Kunst-Biennale Venedig
Text: APA/red./JS