Feldstecher, Fernglas

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Aufstieg der Rechtspopulisten im EU-Parlament

Verschwörungsformate von rechts

Stimmen die Umfragen, dann wird die FPÖ bei der EU-Wahl erstmals in der Geschichte bei einer Bundeswahl auf Platz eins liegen. Konsequente Parteimedien-Arbeit und ein nie dagewesener Fokus auf Verschwörungsmythen hat zu dem Höhenflug beigetragen: "Mit euch gegen das System", so heißt die neueste Kampagne der FPÖ, verbreitet über FPÖ-TV und soziale Medien. Ein Titel, der an Jörg Haider erinnert. Verschwörungserzählungen rücken in die Mitte der Gesellschaft, Europas Rechte prägen so den öffentlichen Diskurs.

"Putin hat den österreichischen Geheimdienst gekapert. Jetzt nimmt er die Regierung ins Visier. Geheimdienstmitarbeiter vermuten, dass der Wirecard-COO Jan Marsalek im Auftrag Moskaus mit der Freiheitlichen Partei zusammenarbeitet." Das schreibt Matthew Karnitschnig Ende Mai im Magazin Politico. Der Österreicher arbeitet in Berlin, seine Leserschaft ist international. Aber in Österreich wird die Recherche von der Diskussion um Lena Schilling überdeckt.

"Das wundert mich überhaupt nicht. Es haben alle Dreck am Stecken und deshalb meidet man lieber das Thema Russland", sagt Karnitschnig und bemerkt, Russland sei ja bekanntlich von mehreren Parteien hofiert worden. Im Fokus stehe aber die FPÖ: "Die westlichen Mächte machen sich schon große Sorgen Österreich und diese Partei. Und was das für die Kooperation mit Österreich bedeuten würde. Das sollte man viel ernster nehmen als man das bislang gemacht hat".

FPÖ Kampagne "Mit euch gegen das System"

Indessen plakatiert die FPÖ im EU-Wahlkampf den Slogan "Stoppt den EU-Wahnsinn"- Zu sehen ist eine Zeichnung, die zeigt, wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski küsst. Eine bewusste Provokation, gegen die Linie der EU und ganz auf Linie der neuen Kampagne der FPÖ. Sie trägt den Titel: "Mit euch gegen das System". Dazu gibt es auch einen 37-minütigen Film auf FPÖ-TV. X-fach verbreitet in mehreren sozialen Netzwerken. "Es gibt nur eine zulässige Meinung. Es ist die Meinung der Mächtigen. Sie muss vor Kritik mit allen Mitteln geschützt werden, denn sie ist alternativlos. Das wollen uns Politik und Medien glauben machen", ist da zum Beispiel zu hören.

Gespaltene Gesellschaft, eine alte Erfolgsformel

In dem Video ist vom "Prinzip der Eliten" die Rede und von der Abkehr vom Rechtsstaat durch die "Globalisten", von der FPÖ als Hassobjekt, von "Mainstreammedien". Und natürlich vom sogenannten "Great Reset", dem "großen Umbruch", wonach eine globale Finanzelite eine neue Ordnung plane - unter diesem Schlagwort warnen Rechte auch vor einem "Bevölkerungsaustausch". Der Film sei aus dem Lehrbuch der Propaganda, sagt Walter Ötsch, er ist Populismusexperte und Kulturwissenschafter.

"Es ist ein Fantasma. Es ist eine erfundene Welt, die vollkommen ohne den Verweis auf Fakten auskommt", so Ötsch. Vor zwanzig Jahren hat er ein Buch über Jörg Haider geschrieben, es wurde zu einem Standardwerk über Rechtspopulismus. Wie unter Haider beruhe auch die neue Erzählung der FPÖ auf der Idee einer gespaltenen Gesellschaft: "Das Grundbild ist das Gleiche. Es sind auch die gleichen Begriffe. Es ist das Reden von dem System. Es ist eine Riesen-Verschwörungsgeschichte". Nur dass diesmal die Umstände für die FPÖ günstiger seien, weil es so viele Krisen gibt.

Eine Geschichte, die alles einfach erklärt

Corona, der Ukraine-Krieg, die Inflation und der Konflikt in Gaza. Aus all dem mache die FPÖ eine - in sich schlüssige - Erzählung. Sie verknüpfe auch Österreichs Geschichte der vergangenen vier Jahrzehnte - samt Ibiza-Skandal - mit Ängsten und Ärger über künstliche Intelligenz, Klimakrise, Gendern und der Idee einer vermeintlichen Weltmacht. Walter Ötsch erklärt den roten Faden, der die Geschichte zusammenhält.

"Es ist die Behauptung einer internationalen Gleichschaltung. Das geht auf die Parteien durch, die werde genannt Einheitsparteien, Systemparteien. Und das ist sozusagen die offizielle Meinung von Systemmedien wie dem ORF, der namentlich angegriffen wird. Und dieser Erklärung wird alles untergeordnet", so Ötsch. Andere rechte Parteien in Europa würden nach dem gleichen Muster argumentieren: die Alternative für Deutschland, Viktor Orban in Ungarn, oder Fratelli d'Italia in Italien. In den Umfragen zur EU-Wahl werden den Rechten durchwegs große Gewinne vorausgesagt.

Rassismus in der Disco und Cancel Culture

Die Stimmung ist jedenfalls aufgeheizt. Das zeigen auch die rassistischen Gesänge zum Disco-Hit "L'amour toujours" - wie auf der Nordsee-Insel Sylt oder in Kärnten zu hören: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", wird da gegrölt. Es folgt eine Debatte, ob das Lied noch gespielt werden soll. Die Kronen-Zeitung titelt: "Erster Sender trotzt Zensur und spielt D‘Agostino" und sagt: "Kronehit trotzt Cancel Culture". Damit spiele der Boulevard der rechten Erzählung von der Zensur in die Hände, sagt Claus Oberhauser, Professor für Politische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Tirol: "Wenn man das mit Cancel Culture in Beziehung bringt, wird das noch mehr befeuert." Aber in der gesellschaftlichen Mitte komme das gut an. Man sehe jetzt, "dass die Diskurse am rechten Rand wirken. Weil man dadurch sieht, dass Menschen sich trauen bestimmte Dinge zu sagen, was sie vielleicht davor nicht gemacht hätten".

Die Grenzen der Grenzüberschreitung

Auch das rechte Medien-Netzwerk wächst: Thematisiert werden überall Zuwanderung, Zensur und der Kampf gegen das System - etwa in dem in Deutschland sehr beliebten Sender AUF1 mit Sitz in Oberösterreich - der Website "Der Status", die den "Wochenblick" abgelöst hat und die sich als "anti-globalistische Stimme" versteht - oder dem Blog "Neue Normalität".

Einen Schritt zu weit gegangen ist der gefallene Medien-Superstar Maximilian Krah von der AfD. Er hat sinngemäß gesagt, man müsse sich für seine Großeltern nicht schämen, auch wenn diese bei der SS gewesen seien. Der AfD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl war sogar den Rechten zu viel: Die AfD wurde aus der Fraktion "Identität und Demokratie" im Europa-Parlament ausgeschlossen. Claus Oberhauser: "Das sind bestimmte Grenzen, die man noch nicht überschreiten kann. Da geht es meistens um Nationalsozialismus, Holocaust oder Antisemitismus".

Von der Demokratie zur "Emo-kratie"?

Die Grenzen des Sagbaren verschieben sich dennoch massiv. Emotionen kochen hoch, befeuert im Internet. Fakten dringen kaum noch durch, warnt Politikberater Thomas Hofer mit einem Blick auf die USA: "Es sind die Vereinigten Staaten mit ihrer gesamten Medienlandschaft im post-faktischen Zeitalter angelangt. Wir sind auf dem Weg dorthin. Wir müssen von einer Emokratie und nicht mehr von einer Demokratie reden."

Der Politikwissenschafter Oberhauser kommentiert das weniger emotional: "Sind wir jetzt gerade an dem Punkt, wo wir sagen: Die Demokratie bricht zusammen? Das sind wir nicht. Es ist viel eher eine laute, weil emotionalisierte Minderheit, die bis zu 30 Prozent einer Wahl ausmachen kann." Auch der Populismusexperte Ötsch bemerkt, dass sozialwissenschaftliche Studien zwar eine gewisse Polarisierung zeigen, aber insgesamt keine Spaltung der Gesellschaft. Der Journalist Matthew Karnitschnig findet die Sorgen dennoch berechtigt und erinnert noch einmal an den Skandal um Österreichs Verfassungsschutz. Zu befürchten sei, "dass es einen Umbau gibt der Demokratie und der Institutionen, das sieht man ja am Beispiel BVT. In einer Gesellschaft, wo es auch diese Verhaberung gibt, kann das sehr, sehr schnell gehen."

Interview mit Milo Rau

Milo Rau

ORF/NADJA HAHN

Milo Rau

FPÖ bei Wiener Festwochen "vor Gericht"

Auch die Wiener Festwochen beschäftigen sich mit dem Thema der gespaltenen Gesellschaft. Das Ziel: der Dialog. Bei den sogenannten Wiener Prozessen im Theater steht nach den Corona-Maßnahmen diese Woche die FPÖ vor Gericht. Es soll die provokante Frage geklärt werden, ob die FPÖ verboten werden müsste, weil sie die Demokratie gefährde. Zur Verteidigung der FPÖ auf der Bühne reist Prominenz aus Deutschland an: die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry, die die Partei 2017 wegen rechtsextremer Tendenzen verlassen hat. Festwochen Intendant Milo Rau: "Ich finde es sehr mutig dass die kommt. Sie wird argumentieren, dass die FPÖ nicht so rechts ist wie die AfD. Mal sehen, wie weit sie damit kommt."

Auf die Kritik, die Festwochen gäben der FPÖ nur eine Bühne oder mache sie salonfähig, kontert Rau: "Ich glaube, dass man im Theater oder in der Kunst Positionen zusammenbringen kann in einem Raum, die dann co-präsent sind, die dann miteinander kommunizieren, einander zuhören und sich widersprechen, was in den Medien sehr viel schwieriger ist." Das Theater soll die Erfahrung ermöglichen: "Man kann mit Rechten reden. Man kann mit Linken reden. Vielleicht hören wir mit Shitstorms mal ne Weile auf."

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