MICHAEL NIKBAKHSH

MICHAEL NIKBAKHSH - FRIDRICH MOSER

Radios kleiner Bruder gedeiht

Podcasts bietet inzwischen praktisch jedes Medienhaus an. Die digitale Transformation stützt sich zu einem guten Teil darauf, auch die großen Verlagshäuser in den USA wie Bloomberg und New York Times setzen speziell auf personalisierte Newsletters - und eben Podcasts. Die sind mittlerweile aber auch ein eigenständiges Geschäftsmodell geworden, sie finanzieren sich über Werbung, Mitgliedsbeiträge und Events. Ist der kleine Bruder des Radios also erwachsen geworden? Nur bedingt, wie ein Blick in die junge Branche zeigt.

Das Format blickt auf eine zwanzigjährige Geschichte zurück. Damals fing man an, in Internetblogs nicht nur zu schreiben, sondern auch Audiodateien abzulegen. Die Sendungen Freier Radios konnte man Anfang der 2000-er Jahre ebenfalls schon online abrufen. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Radio und Podcast, sagt die Wissenschafts-Podcasterin Melanie Bartos von der Uni Innsbruck. Ein Podcast muss abonnierbar sein.

Das sei "ein hartes Kriterium", so Bartos. Technisch braucht es dazu einen sogenannten RSS-Feed, den man abonnieren kann. Das erfolgt über einen Website-Link oder eine App. Und das tun immer mehr junge Hörerinnen und Hörer. Laut dem "Digital News Report" 2024 hören knapp zwei Drittel der 18- bis 24-Jährigen regelmäßig Podcasts. Eine ernsthafte Konkurrenz für das Radio? Nein, sagt Melanie Bartos. Es werde aber ganz unabhängig vom Medium eines immer wichtiger: "Ich gestalte mir meine Hör-Erlebnisse selber und ich entscheide selber, wann ich was höre."

"Podcasts nehmen niemandem etwas weg"

Auch Stefan Lassnig von der Podcast-Vermarktungsagentur "Missing Link" sagt, dass Podcasts eine neue Ära der Mediennutzung einleiten. "Die Nutzungszahlen zeigen eindeutig, dass in der jüngeren Hörerschaft der Anteil an Podcasts viel größer ist. Ich gehe davon aus, dass junge Menschen mit dem Medium Podcast bereits aufwachsen." Man nehme niemandem etwas weg, es sei eher die Frage, wie jemand konsumiere.

In Österreich sind besonders Printmedien sehr schnell und breit auf den Podcast-Zug aufgesprungen. Über einen Podcast können sie mehr Menschen erreichen und Informationen ergänzen, die in der gedruckten Zeitung keinen Platz gefunden haben. Das Medium wird aber auch für Einblicke in die journalistische Arbeit genutzt. Tatsächlich gibt es heute kaum ein österreichisches Printmedium, das keinen Podcast betreibt. Stefan Lassnig glaubt, dass das vor allem an den niedrigen Produktionskosten liegt.

Eine Chance für unabhängigen Journalismus

Podcasts seien aber auch für unabhängige Journalistinnen und Journalisten eine Möglichkeit, ihre Arbeit an den Mann und an die Frau zu bringen. Die Firma "Missing Link" vermarktet über 80 österreichische Podcasts. Einige davon produziert sie auch, zum Beispiel die "Dunkelkammer". Der ehemalige "profil"-Journalist Michael Nikbakhsh hat damit vor einem Jahr Österreichs ersten Investigativ-Podcast ins Leben gerufen. Im Juli feierte die Dunkelkammer über eine Million Downloads.

Nikbakhsh sagt rückblickend: "Es war einfach viel Glück dabei, dass das angelaufen ist. Wir hatten kein Marketingbudget. Der Host - in dem Fall ich - hatte auch keine nennenswerte Podcast-Erfahrung. Ich habe nicht gewusst, ob ein solches Format überhaupt für mich umsetzbar ist. Aber ich hatte den technischen Support, das hat schon viel geholfen." Geholfen hat nicht nur der technische Support. Ein Podcast muss sich auch finanzieren können. Zum Beispiel über Werbeeinschaltungen.

Die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit Werbung?

Für den Investigativ-Journalisten war das anfangs eine befremdliche Vorstellung. "Ich wollte überhaupt keine Werbung. Ich wollte einen Newsletter und heraus kam ein werbefreier Podcast." Vermarkter Lassnig habe ihn dann überzeugt, dass er mit Werbung Geld verdienen müsse, und das tut Nikbakhsh jetzt. In den Podcast-Folgen wird Werbung ausgespielt. Natürlich immer mit entsprechender Kennzeichnung, und bestimmte Branchen -Glücksspiel, Waffen, politische Parteien - sind ausgenommen.

Für Podcasts nehmen Werbetreibende viel Geld in die Hand. Die Tausend-Kontakte-Preise, kurz TKP - also die Werbekosten, um tausend Menschen zu erreichen - liegen für Podcasts zwischen 110 und 195 Euro, so Stefan Lassnigs Erfahrung. Zum Vergleich: TKPs im Radio, aber auch bei Google bewegen sich im einstelligen und niedrigen zweistelligen Euro-Bereich. Lassnig erklärt das so: "Wir bespielen ja in der Regel nur maximal zwei Werbeplätze pro Folge und in einem Radio Werbeblock sind viel mehr Spots." Man bekomme also höhere Aufmerksamkeit.

Host-Reads bringen Geld, sind aber heikel

Wenn der Host selbst die Werbung einspricht, werde das als Empfehlung wahrgenommen und habe damit noch einmal eine größere Wirkung, so Stefan Lassnig. Diese sogenannten Host-Reads gibt es ausschließlich in Podcasts. Gerade in journalistischen Formaten ist das aber ein heikles Thema, Lassnig rät in solchen Fällen davon ab. Auch für Dunkelkammer-Host Michael Nikbakhsh kommen Host-Reads nicht in Frage.

Andreas Sator hat sich mit seinem erfolgreichen Podcast "Erklär mir die Welt" hingegen für Host-Reads entschieden. Er macht das mitunter deshalb, weil es dafür wesentlich mehr Geld gibt. Sator: "Dieses Ding kann ich anders nicht finanzieren, wenn ich es ordentlich machen möchte. Und ehrlicherweise verdiene ich natürlich auch lieber mehr Geld als weniger. Also ich bin ja nicht nur Journalist, sondern auch Unternehmer."

Andreas Sator

KARO PERNEGGER

Podcaster Sator: "Ich bin halt irgendwie alles"

Eine Umfrage unter seinen Hörerinnen und Hörern habe außerdem gezeigt, dass von ihm selbst eingesprochene Werbung als weniger störend wahrgenommen werde, sagt Andreas Sator. Dennoch ist es eine medienethische Herausforderung, wenn nur eine Person hinter Inhalt, Werbung und Finanzierung steht. "Man versucht ja normalerweise im Journalismus, das gut zu trennen: Wer ist der Geschäftsführer, wer macht den Verkauf, wer ist der Eigentümer, wer die Redaktion. Ich bin halt irgendwie alles."

Man ist alles. Damit ist man aber auch automatisch näher an den Zuhörerinnen und Zuhörern. Das sei anders als bei den Podcasts der Medienhäuser, sagt Sator. Dass ihn der Podcast näher an die Menschen bringt, hat auch "Dunkelkammer"-Host Michael Nikbakhsh gemerkt. "Es entsteht eine völlig andere Form von Bindung an das Publikum und die Community. Ich mache 30 Jahre Journalismus. Ich habe in meinem Leben noch nicht so viel Post bekommen."

Nah am Publikum, im Guten wie im Schlechten

Dabei ist das Feedback nicht nur positiv. Auch wenn den Hörerinnen und Hörern etwas nicht gefällt, schreiben sie Nikbakhsh direkt und sofort. Im Gegenzug zu dieser Nahbarkeit unterstützen aber viele Menschen ihre Lieblings-Podcaster auch finanziell ordentlich. Andreas Sator hat im vergangenen Jahr 19.000 Euro von 350 Mitgliedern bekommen. Um diese Community zu stärken, setzen viele Podcasterinnen und Podcaster auf Live-Events. Sator nimmt zum Beispiel auch Folgen vor Publikum auf.

Julia Breitkopf und Jana Mack

PAMELA RUSSMANN

Für den Podcast "Inselmilieu Reportagen" der Journalistinnen Julia Breitkopf und Jana Mack gehören Community-Events zur DNA des Podcast. "Wir haben für diese Reportagen, die wir gemacht haben, immer wieder sehr viel Feedback bekommen. Von Menschen, die sehr berührt waren von den Themen oder auch, wie wir das gemacht haben. Wir hatten dann schnell auch den Wunsch, diese Menschen, unsere Hörerinnen und Hörer, auch kennenzulernen."

Events für die Community als Podcast-DNA

Heute gibt es zu fast jeder der Reportagen ein journalistisches, multimediales Event. Es entstehen dann Fotoausstellungen oder - wie zuletzt - ein Performance-Abend zusammen mit der Volksoper. Teilweise wird dafür Eintritt verlangt. Das finanziert aber kaum die Kosten. Breitkopf und Mack zehren vor allem von einer Medienförderung über 100.000 Euro, die sie von der Stadt Wien erhalten haben. Werbeeinschaltungen sind für kleinere Podcasts wie die "Inselmilieu Reportagen" keine Option. Sie kooperieren stattdessen zum Beispiel direkt mit Firmen.

Unterstützer, Kooperationen und Förderung

Die Podcast-Folge "Who cares" über mobile Pflege war zum Beispiel eine Kooperation mit den Wiener Sozialdiensten. "Das war dann sogar ein Vorteil, weil wir sowieso den Zugang gebraucht hätten über ein Unternehmen, das uns mitnimmt", so Julia Breitkopf. Und weil das Thema auch zu ihrer Blattlinie passe. Die Kooperationen reichen allerdings nicht, um davon leben zu können.

Ende dieses Jahres läuft die Medienförderung für den Reportage-Podcast aus. Deswegen versuchen die Frauen gerade, auch mehr Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen. Vor kurzem ist zwar eine neue Bundes-Förderung für Podcasts beschlossen worden. Voraussetzung ist aber auch hier eine bestimmte Reichweite. Der Podcast-Markt bleibt also trotz der Niederschwelligkeit ein hartes Pflaster. Vor allem für jene, die kein Medienhaus hinter sich haben.