17 07 2024

Beate Maly: Aspergers Schüler - als Anderssein lebensgefährlich war

Herzlich willkommen, sagt Sandra Knopp. In unserem Podcast geht es um Menschen, Geschichten und Leidenschaften und um Inklusion. Heute haben wir eine Autorin zu Gast, die historische Romane und Krimis schreibt, die meist in Wien angesiedelt sind und in denen starke Frauen die Hauptrollen spielen.

Unser Gast ist Schriftstellerin Beate Maly. Die 1970 geborene Wienerin war ursprünglich Kindergartenpädagogin und später mobile Frühförderin. Diesen Beruf übt sie neben ihrer literarischen Arbeit stundenweise noch heute aus. Maly hat sich auf die Arbeit mit Kindern aus dem autistischen Spektrum spezialisiert. Auch in ihrem 2023 im Piper-Verlag erschienenen historischen Roman „Aspergers Schüler“ beschäftigt sie sich mit diesem Themenkreis. Wir tauchen ein in das Wien der 1930er-Jahre und begeben uns in die heilpädagogische Abteilung der Uniklinik Wien. Die Geschichte dreht sich um Erich, einen Buben, der problemlos hochkomplexe mathematische Aufgaben lösen kann, sich aber schwer tut, Gefühle zu zeigen oder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Der junge Arzt Hans Asperger ist fasziniert von den Fähigkeiten des Buben und erforscht sein Verhalten. Die leitende Krankenschwester Victorine Zak schließt Erich besonders ins Herz. Für sie bricht eine Welt zusammen, als die bahnbrechende Arbeit ihrer Abteilung vom NS-Regime vereinnahmt wird. Auch für Erich wird es lebensgefährlich. Bevor wir näher auf den Roman und seine Entstehung eingehen, gibt uns Beate Maly einen kurzen Einblick in ihre Arbeit als Frühförderin und in das autistische Spektrum.

Wir haben Beate Maly zu Gast. Eine Schriftstellerin, Frühförderin, Mutter, verschiedene Rollen in einer Person vereint. Aber wir würden gern, haben wir uns im Vorhinein ausgemacht, quasi am Anfang der Geschichte beginnen. Beate, wir haben uns ausgemacht vorher, wir führen das Interview per Du, was im Podcast-Format durchaus erlaubt ist. Deswegen frage ich jetzt einmal zu Anfang: Du bist nach wie vor 15 Stunden die Woche als Frühförderin tätig. Wie kam es dazu, wie bist du in dieses Feld gekommen und was sind deine Aufgaben?

Ja, zuerst sage ich einmal vielen Dank für euer Interesse an mir als Autorin und als Frühförderin. Ich bin vom Grundberuf Kindergärtnerin. Und es hat mich dann immer interessiert, mal aus der Gruppe rauszugehen und im Einzel-Setting mit Kindern zu arbeiten und die mobile Frühförderung bietet dieses Setting. In der mobilen Frühförderung begleiten wir Familien mit behinderten Kindern, mit entwicklungsverzögerten und entwicklungsgefährdeten Kindern. Das ist vom Frühchen bis zur Sterbebegleitung alles.

Seid ihr auch zu Gast bei den Familien? Also die kommen nicht irgendwo hin, sondern du bist dann quasi Teil.

Genau. Wir gehen in die Familien und wir begleiten die Familien auch mitunter hin und wieder in einem Trauerprozess, je nachdem wo die Eltern stehen, und schauen, dass die Kinder all das brauchen, um sich gut und gesund zu entwickeln.

Und du arbeitest vor allem mit Kindern aus dem autistischen Spektrum. Oder habe ich das vorhin doch etwas missverstanden?

Ich habe mich in den letzten Jahren auf Kinder mit Autismus spezialisiert und betreue mittlerweile fast ausschließlich Kinder mit Autismus, weil das auch eine steigende Zahl bei uns ist.

Stimmt es tatsächlich, dass die Zahl der Menschen aus dem autistischen Spektrum steigt oder wird das einfach nur besser diagnostiziert?

Ich glaube, dass wir mittlerweile einfach mehr über diese Diagnose wissen und dadurch mehr Kinder diese Diagnose bekommen. Und sie bekommen sie viel früher. Also wie ich angefangen habe als Frühförderin, wäre das nie möglich gewesen, dass ein Kind unter vier die Diagnose bekommt. Jetzt ist das jüngste Kind, das ich betreut habe, 18 Monate.

Wie ist da der Umgang auch mit den Kindern?

Das kommt ganz auf die Diagnose an. Grundsätzlich wollen wir, ist unser großes Augenmerk auf einer guten, auf einer funktionierenden Mutter- bzw. Eltern-Kind-Beziehung.

Wieso der Umgang auch mit Kindern aus dem autistischen Spektrum? Weil, was wir halt gelesen haben, ist, die brauchen sehr viel Struktur, viele haben ein repetitives Verhalten. Was ist da wichtig im Umgang?

Zum Ersten einmal, im Moment ist das Angebot für Kinder mit dieser Diagnose im Moment viel, viel zu klein, also viel zu gering. Es gibt viel zu wenig Therapieplätze für Kinder mit der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung. In Wien ist es so, dass die meisten erst einen Kindergartenplatz bekommen mit fünf, also erst im verpflichtenden Kindergartenjahr. Und auch dann ist es nicht sicher, dass sie den ganzen Vormittag gehen dürfen. Oft dürfen sie nur ein, zwei Stunden gehen. Wenn man jetzt bedenkt, dass ja die Autismus-Spektrum-Störung bedeutet, dass man ein Defizit in der sozialen Interaktion hat, und diesen Kindern dann genau das verwehrt wird, nämlich die soziale Interaktion mit anderen Kindern, kann man sich vorstellen, wie katastrophal das ist und wie katastrophal sich das auch auf das Leben in den Familien auswirkt. Die Väter gehen in den meisten Fällen arbeiten oder verabschieden sich aus anderen Gründen. Und die Mütter bleiben allein mit den Kindern zu Hause.

Das heißt, es bräuchte mehr Therapieplätze zum einen, aber es bräuchte auch mehr Angebote, was Kindergarten, Schule und so weiter betrifft?

Genau, es bräuchte mehr Gruppenangebote, es bräuchte mehr Kleingruppenangebote für diese Kinder, es bräuchte mehr Begleitung in den Familien und es bräuchte mehr Kindergartenplätze, ja. Mit wirklich gut geschultem Personal.

Ich wollte nur mal bitten, weil wir vielleicht die Gefahr bannen wollen, dass wir allzu hoch einsteigen: Könntest du bitte so lieb sein und einmal den Hörerinnen und Hörern vermitteln, was man überhaupt unter dem autistischen Spektrum versteht.? Weil das es mehr ist als Rainman und Inselbegabung, ist uns hier an diesem Tisch klar, aber könntest du das einmal für jemanden ein bisschen beschreiben, der sich damit vielleicht noch nicht so auseinandergesetzt hat?

Es ist eine Spektrumsstörung, ja. Das heißt, vom wirklich schwerstbehinderten Kind, das schreit und in seinen Stereotypien alleine den ganzen Tag sich am Boden dreht, bis zum hochbegabten Kind, das mit drei schon lesen und schreiben kann und schwierige Rechenbeispiele löst, ist da alles drinnen. Was eint diese Kinder, diese Menschen? Ihre Defizite in der sozialen Interaktion. Das bedeutet, dass sie zum Beispiel, das ist jetzt nur ein Beispiel, viele Kinder können die Mimik des anderen nicht lesen, ja. Also wenn ich dich jetzt anschaue, dann weiß ich genau, du bist interessiert an mir, du willst wissen, was ich dir erzähle. Ein Kind mit Autismus kann das nicht lesen. Deshalb wird es dich nicht anschauen. Oder aber, es hat bereits gelernt zu kompensieren, indem man viel mit ihm gearbeitet hat, mit Bildkarten zum Beispiel, dann wird es dich ganz, ganz genau anschauen, damit es ja nichts von dem verliert, was es sieht.

Ich glaube, die Sprachinterpretation ist bei manchen Personen anders als gewohnt. Weil man hat zum Beispiel dann mit Sprichwörtern wie dass jemand Haare auf den Zähnen hat oder dergleichen doch Interpretationsschwierigkeiten.

Genau, also dieser feine Witz oft, der wird schwierig verstanden. Beziehungsweise manche Kinder haben überhaupt Schwierigkeiten mit dem Sprachverständnis. Sie verstehen zwar jedes einzelne Wort, können aber den Zusammenhang nicht lesen. Das heißt, diesen Kindern kann man dann oft mit Karten helfen. Also mit Bildkarten.

Wobei man uns immer beigebracht hat, für Recherchen oder Sendungen, den Grundsatz: Kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten. Das ist nach wie vor gültig.

Absolut, ich sage, man muss jedes Kind ganz genau beobachten, um diesen Schlüssel zu finden, um dieses Kind lesen zu können.

Das führt uns ja fast wie auf einer Autobahn in Richtung deines Buches, „Aspergers Schüler“. Und ich darf jetzt weitergeben an meine geschätzte Kollegin Sandra Knopp.

In deinem Buch gibt es einen Buben namens Erich, und der ist in einer ganz fremden Umgebung für ihn am Anfang. Und zwar in dieser heilpädagogischen Kinderklinik. Die war zu der damaligen Zeit etwas Neues. Die entstand, glaube ich, in den 1910er-Jahren überhaupt, durch den Herrn Lazar. Wie würdest du das beschreiben? Was haben die untersucht dort? Worum ging es denen dort?

Das war wirklich so ein Vorzeige-Projekt. Das war ganz was Besonderes. Da haben erstmals Kinderärzte, Kinderpsychologen und Pädagogen zusammengearbeitet. Und das hat es damals weltweit nicht gegeben. Es sind Leute aus ganz Europa und auch aus Amerika gekommen, um sich da anzuschauen, wie die Wiener da arbeiten. Die Idee war, wenn man da jetzt Kinder hat, die länger als zwei, drei Tage, ein paar Wochen, ein paar Monate im Spital sind, dass die mehr brauchen als nur medizinische Betreuung. Und deshalb hat man die Pädagogen mit ins Boot geholt, damit die Kinder auch unterrichtet werden, damit die Kinder auch Gruppenerfahrungen machen können. Und dann hat man sich Wien, die Wiege der Psycho-Analyse, auch überlegt: Na ja, wenn ein Kind nicht spricht, möglicherweise hat das nicht nur körperliche Ursachen, sondern vielleicht auch psychische Ursachen. Liegt da ein Trauma vor, oder hat es irgendeinen anderen Grund, dass dieses Kind einfach nicht mehr spricht? Deshalb hat man sich die Psychologen ins Boot geholt. Und selbstverständlich braucht man auch die Ärzte in einem Krankenhaus. Und die drei Professionen plus das Pflegepersonal, die haben sich wöchentlich auch zusammengesetzt und haben über jeden Patienten ausführlicher diskutiert und sich angeschaut: Was braucht dieses Kind im Speziellen?

Und es gab aber auch eine Art Alltag. Also die hatten dort Theaterspiele, die hatten dort Musik. Also es gab durchaus ein Stück weit Alltag dort.

Genau. Und das war wirklich völlig neu, weil bis dahin wurden Kinder in Krankenhäusern einfach ans Bett, also gefesselt, sage ich jetzt unter Anführungszeichen, aber mussten im Bett liegen und waren krank und sind mit Medikamenten versorgt worden.

Asperger ist 1906 geboren. Er war damals relativ jung, wie er in diese Klinik gekommen ist. Wie hast du ihn erlebt bei der Recherche? Also was war das für ein Mensch?

Also ich glaube, dass er anfangs sehr begeistert war auch von dieser Abteilung und dass das ein Ort war, wo er forschen konnte, wo er sich mit dem beschäftigen konnte, was ihn wirklich interessiert hat und im Team mit den anderen gemeinsam im Sinne der Kinder gearbeitet hat.

Wie kam es denn zu dem Buch und wie bist du bei den Recherchen vorgegangen?

Ich schreibe ja ausschließlich historische Stoffe und ich schreibe sehr gerne über Wien, weil ich Wienerin bin und diese Stadt da sehr, sehr schätze und sehr, sehr mag. Und ursprünglich war so die Idee: Diese Heilpädagogische Abteilung im Allgemeinen Krankenhaus, das war was ganz Besonderes, über die möchte ich schreiben. Im Zuge meines Studiums dann auch draufgekommen, ah, der Doktor Asperger hat dort gearbeitet. Und dort ist ja eigentlich diese Diagnose Autismus-Spektrum-Störung entstanden. So ist die Idee zu dem Buch entstanden. Eigentlich hab ich mir gedacht, das wird ein ganz ein positives Buch über eine großartige Abteilung im AKH. Und im Laufe der Recherche hat sich dann herausgestellt, dass aus dieser sehr, sehr neuen und sehr innovativen Abteilung ab 34 dann etwas ganz anderes geworden ist. Es hat ja ursprünglich, hat ja der Doktor Piquet die Klinik geleitet und der Doktor Lazar hat eben diese Abteilung geleitet. Und wie die beiden dann weg waren, hat die Leitung der Klinik der Doktor Hamburger übernommen und der hat dann den Doktor Asperger mit der Leitung der heilpädagogischen Abteilung betraut. Und wie wir wissen, haben 34 sehr, sehr viele Kinderärzte Wien verlassen müssen, weil sie Sozialdemokraten waren und spätestens 38 hat dann der Rest Wien verlassen müssen, weil sie Juden waren. Und ich hab im Zuge meiner Recherche herausgefunden, dass drei Viertel aller Ärzte bis 38 Wien verlassen haben und 70 % davon Kinderärzte.

Du hast auch mal angemerkt, dass es dann für jene, die da waren, leichter war, Karriere zu machen, weil sozusagen die Konkurrenz weniger wurde.

Genau.

Und wenn wir jetzt nochmal zurück in die 1930er Jahre springen: Der Dr. Hamburger, von dem du gesprochen hast, das war ein Nationalsozialist. Jetzt ist es ja so, der Hans Asperger ist ja nie in die NSDAP eingetreten. Er war ein überzeugter Katholik. Aber er hat sich sehr wohl für NS-Organisationen quasi einspannen lassen, also er ist irgendwelchen Ärztebünden und so weiter beigetreten. Wie bewertest du diese Seite? War er ein Karrierist? War er ein Opportunist?

Das möchte ich nicht beurteilen und das habe ich in meinem Buch auch nicht getan. Ich habe mich wirklich bemüht, nur das zu erzählen, von dem wir heute wissen, dass es wirklich so war.

Aber eine Person, die hat eine sehr spezielle Rolle in dem Buch. Und das ist eine Person, die er auch als Seele der Abteilung bezeichnet hat, die Victorine Zak. Was hat dich an der Frau imponiert, weil die kommt eine sehr wichtige Rolle auch in dem Buch und wer war sie überhaupt?

Ja, sie war die Leiterin der Pflege in dieser heilpädagogischen Abteilung und sie hat selbst Artikel geschrieben. Und ihre Wegbegleiter haben sie als sehr empathische Frau beschrieben, die jedes Kind ganz genau beobachtet hat und sich Zeit für jedes Kind genommen hat und eben gesagt hat, wir können nicht alle Kinder über einen Kamm scheren, sondern wir müssen schauen, was jedes einzelne Kind braucht.

Wenn wir schon bei den Hauptfiguren deines Romans angelangt sind, so stellt sich natürlich die Frage: Was wusstest du denn über Hans Asperger, bevor du mit den Recherchen begonnen hast? Weil du hast ja schon angemerkt, dass es da durchaus auch bei dir den einen oder anderen Lerneffekt gab.

Also für mich war es ein völliges Aha-Erlebnis. Ich hab das nicht gewusst, dass er zum Beispiel mit zwei Diagnosen, wissen wir es heute, Kinder zum Spiegelgrund überwiesen hat.

Der Roman „Aspergers Schüler“ ist in zwei Zeitebenen angesiedelt: Zum einen in Aspergers Arbeitsumfeld in den 1930er Jahren, zum anderen im Jahr 1986. Die Studentin Sarah beschäftigt sich mit Hans Asperger und seiner Arbeit. Im Laufe der Recherche muss sie ihr Bild des Arztes Hans Asperger zurechtrücken. Zwecks historischer Einordnung sei noch erwähnt, dass im Jahr 1986 die Waldheim-Affäre durch alle Medien ging. Gegenstand war die NS-Vergangenheit des ÖVP- Bundespräsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim.

Und ist dir dann auch ähnlich gegangen wie der Sarah? Weil wir uns gefragt haben: Wie viel von der Sarah steckt in dir und umgekehrt, dass du dieses Bild ein bisschen zurechtrücken musstest? Oder ist das nicht der Fall gewesen bei dir?

Also die Sarah hat ja zuerst ein sehr positives Bild vom Dr. Asperger. Ich hatte gar keines. So gesehen war meine Fallhöhe nicht so hoch.

Das heißt, dein Bild war eigentlich von der Abteilung und den Leistungen der Abteilung und noch weniger von der Person geprägt.

Ja.

Aber du musstest ja dann sehr tief auch in diese dunklen Kapitel einsteigen, auch mit dem Spiegelgrund. Das heißt, vielleicht kannst du das auch kurz beschreiben für all jene, die das vielleicht nicht wissen, was am Spielgrund war?

Na ja, ich würde sagen, das ist so eines der dunkelsten Kapitel österreichischer Zeitgeschichte. Denn dort entledigte man sich der Kinder, die man nicht wollte. Und das zur Zeit des Nationalsozialismus waren das behinderte Kinder und Kinder, die heute würden wir sagen, vielleicht verhaltensoriginell waren. Aber auch Kinder von sogenannten asozialen Eltern, also von Trinkern, von Alkoholikern, von straffälligen Eltern. Die sind dort gelandet und dann hat man mit ihnen grausamste, sadistische medizinische Experimente angestellt.

Hast du in deinen Recherchen auch das Gefühl gehabt, dass das bekannt war, dass die Wiener das wussten?

Ja, weil in dem Buch von der Edith Scheffler schreibt sie, dass die britische Air Force 1942 Flugblätter über Wien abgeworfen hat. Also ich weiß es von meiner Oma. Meine Oma lebt noch, die ist schon sehr, sehr alt und betagt. Weiß ich, dass man am Land die Kinder versteckt hat, weil man wusste, wenn die motorisierte Mütterberatung vorbeikommt und entdeckt, dass da jetzt ein behindertes Kind ist, dass die Kinder mitgenommen werden, weil sie ja angeblich am Spiegelgrund so gut behandelt werden. Und wenn die Eltern die Kinder mitgegeben haben, sind die an Lungenentzündung gestorben. Ja, und das hat sich herumgesprochen und die Leute haben ihre Kinder versteckt. Also glaube ich schon, dass man es wusste.

Ich denke zurück an frühere Sendungen von FreakRadio, einerseits zum Schloss Hartheim, aber andererseits auch mit Angehörigen von Personen, die am Spiegelgrund ermordet wurden, sagen wir es, wie es ist. Also bei diesen Aufzeichnungen hat man zum Teil eine Stecknadel fallen gehört, wie die Frau Häupl damals berichtete, wie sie das Schicksal ihrer Schwester Stück für Stück sozusagen enthüllte. Aber mich wird noch interessieren: Wenn man so ein Buch aufbaut, dann recherchiert man sich rein. Wie wird dann aus Gedanken, Ideen und Inputs ein ganzer Roman? Weil im Nachwort, ohne jetzt zu spoilern, denn wir wollen ja auch, dass die Leute das Buch lesen, bedankst du dich ja schon bei jemandem, der den Text, sagen wir es einmal vorsichtig, in eine Form gebracht hat. Wie darf man sich diesen Prozess vorstellen?

Also wie ich die Idee zum Buch abgegeben hab, war meine Lektorin vom Piper Verlag begeistert und hat gesagt. Ja, schreib1 Dann habe ich das Exposee geschrieben und dann hat die Anne einmal kurz geschluckt und hat gesagt. Das wird sehr düster, das wird sehr düster, da brauchen wir noch etwas Unterhaltsames, damit die Leserinnen und Leser das auch verdauen können. Und dann ist die Sarah dazugekommen und diese kleine Liebesgeschichte auch hineingepackt wurde. Ich hoffe, dass das Ende ja doch trotz aller Dramatik versöhnlich ist.

Wir wollen aber nicht zu viel verraten, sonst nehmen wir doch den Spaß!

Das auf jeden Fall. Also, ich kann nur sagen, mich hat es überrascht und ich glaube, dich hat es auch überrascht. Also mehr sagen wir dazu nicht. Aber es hat uns überrascht, weil wir hätten wahrscheinlich mit einem anderen Ausgang gerechnet.

Ohne jetzt trotzdem ins Detail zu gehen, so ist es doch nett, wenn man am Ende etwas bekommt, mit dem man am Anfang vielleicht nicht rechnen durfte. Wie ich das Buch las, habe ich mir gedacht: Ha, etwas über Asperger und die damalige Zeit. Aber ich habe über lange Strecken den Eindruck gehabt, dass sozusagen der Asperger-Autismus, wenn man ihn so nennen darf, im Zentrum deines Buches steht. Und die anderen, nennen wir es einmal Schattierungen des Spektrums eher außen vor bleiben. War das eine bewusste Entscheidung oder Zufall, einfach aufgrund der historischen Fakten?

Also, heute liest man in der Literatur, dass sich der Dr. Asperger in erster Linie mit diesem, er hat sich glaube sogar kleine Professoren genannt irgendwann einmal, beschäftigt hat, daher dieser Schwerpunkt.

Was hat dich denn eigentlich bei der Arbeit am meisten überrascht oder wie war der Arbeitsprozess, wenn man gerade mit so einem nicht einfachen Thema arbeitet?

Es war eine schwierige Recherche, aber es war mir ein wirklich großes Anliegen, dieses Thema in einem Unterhaltungsroman auch mehr festzuhalten.

Und wie lange hast du daran gearbeitet?
Also das ist schwer zu sagen, weil die Recherche ja auch schon in meiner Masterarbeit quasi ein bisschen drin ist. Also es ist immer so ein bisschen noch dazu gekommen, dazu gekommen, wirklich geschrieben habe ich dann ein Jahr.

Und gab es Dinge, die dich überrascht haben? Wo du gesagt hast, wow, das hätte ich mir eigentlich gar nicht ...

Ja, so die motorisierte Mütterberatung, von der habe ich nichts gewusst vorher, gar nichts gewusst. Hat aber viel erklärt für mich. Weil wenn ich zum Beispiel mit meiner Oma über meine Arbeit rede, hat die immer so ein negatives Bild gehabt von, sie sagt, den Fürsorgerinnen, dann habe ich eine Erklärung bekommen dafür. Weil in dieser motorisierten Mütterberatung ist auch immer eine Fürsorgerin drin gesessen.

Wie kam es denn überhaupt dazu? Du hast es ja gesagt, du bist ausgebildete Kindergartenpädagogin. Du hast dann 2007 ein Autorenstipendium bekommen und hast dann deinen ersten Roman geschrieben: „Die Hebamme von Wien“, der ist 2008 bei Ullstein erschienen. Wie kam es dann überhaupt dazu, dass du zum Schreiben gekommen bist? Also war das schon etwas, was dir immer gelegen ist oder hast du gedacht, jetzt probiere ich es? Wie war das?

Also Geschichten haben mich immer fasziniert und faszinieren mich immer noch und ich wollte schon mal einen historischen Roman schreiben. Ja, habe so eine Idee in der Schublade gehabt und habe das weggeschickt und habe dann auf Anhieb dieses Wiener Autorenstipendium bekommen, habe mir ein Jahr lang Auszeit nehmen können, habe dann im Internet gelesen, hmm, das ist ein bisschen schwierig, als unbekannte Autorin einen Verlag zu bekommen, habe es dann noch nicht fertig weggeschickt, habe dann fünf Angebote gehabt und habe mich für Ullstein entschieden, weil Uta Rupprecht, die Lektorin, damals ja die Lektorin meiner Lieblings-Autorin war von der Helga Gläsner und hab so wirklich rein eine Bauchentscheidung da getroffen und habe es nicht bereut. Ich bin nach wie vor bei Ullstein, habe dort jetzt eine andere sehr, sehr liebe Lektorin, darf aber bei Emons jetzt wieder mit der Uta Rupprecht zusammenarbeiten. Die Kreise schließen sich immer wieder.

Und das Schreiben, würdest du das als eine deiner wirklichen Leidenschaften bezeichnen?

Absolut.

Was macht die Faszination aus?

Man hat selbst die Fäden in der Hand, man kann selbst bestimmen, wie die Geschichte weitergeht.

Aber was macht eine gute Geschichte aus? Weil du hast gesagt vorhin im Vorgespräch, du zeichnest einfach gerne Menschen, also du möchtest gerne zeigen, wie Menschen sind und wie sich Menschen entwickeln. Aber was ist für dich so eine gute Geschichte, oder auch ein guter Protagonist, eine gute Protagonistin?

Eine überzeugende. Und das gilt auch für den Protagonisten, ja. Also wenn der glaubwürdig ist oder wenn sie glaubwürdig ist, dann kann eine Geschichte gut werden.

Wie geht es dann weiter mit den Büchern? Also ist schon wieder ein historischer Stoff quasi in der Pipeline?

Ja, es sind viele Stoffe. Alle drei Krimireihen gehen weiter. Also im Herbst kommt jetzt der Band neun raus mit Anton und Ernestine. Und sollten die Leserinnen und Leser den Protagonisten noch weiter folgen wollen, wird es auch einen Band zehn geben. Die Lili Feigl und der Max von Krause dürfen im Frühjahr in ein zweites Abenteuer gehen und die Aurelia geht in ein drittes. Historische Stoffe, da kommt jetzt im Herbst da eine Romanbiografie über die Emmi Pickler mit meinem Pseudonym Laura Baldini. Und da gibt es bereits ein Folgeprojekt das sehr, sehr spannend wird. Wirklich wieder so wie der Aspergerstoff. Da darf ich aber noch nichts verraten.

Aber über das andere Buch, was kannst du uns da schon verraten, über die Romanbiografie?

Über die Emmi Pickler? Das war eine sehr, sehr spannende Recherche über eine Frau, die ein sehr bewegtes Leben hatte und die übrigens in der Heilpädagogischen Abteilung im AKH gelernt hat unter Dr. Lazar.

Ah, unter dem Dr. Lazar. So schließt sich der Kreis. Und du verwendest verschiedene Pseudonyme, weil du auch für verschiedene Verlage schreibst, oder?

Genau. Ich schreibe für sechs große Verlage, also es kommt jetzt im Sommer ja auch ein Buch über die erste Seglerin heraus, bei Harper Collins: „Gegen den Wind des Widerstands“. Auch eine sehr spannende Frauenfigur. Die hat die erste Goldmedaille im Segeln gewonnen. Weil sechs Verlage deshalb auch unterschiedliche Namen.

Aber was ich herauslese, ist, du hast immer sehr starke Frauen in deinen Biografien. Ist das etwas, was dir sehr wichtig ist und warum?

Es ist mir absolut wichtig. Und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, aber ich glaube, dass Frauen immer noch benachteiligt sind in der Berufswelt. Und ich glaube, da ist noch ganz viel aufzuholen.

Könntest du dir vorstellen, eine Biografie zu schreiben über eine berühmte Frau mit Behinderung?

Absolut. Her damit!

Würde dem Christoph da schon wer einfallen?

Ja, Helen Keller beispielsweise. Also da gibt es sicher einige, deren Leben eine Aufarbeitung lohnen würde.

Wie findest du dich eigentlich dann auch in die jeweilige Epoche ein? Also da stelle ich mich auch nicht immer leicht vor. Ich meine, die Ernestina-und-Anton-Krimis, die spielen ja in den 1920ern. Wie findest du dich da in die jeweilige Zeit ein?

Also, ich habe jetzt viele Projekte so in der Zwischenkriegszeit gehabt und jetzt einige Projekte auch davor. Ich habe Unmengen von Bildbänden neben dem Schreibtisch liegen. Ich arbeite ganz viel mit Filmarchiven. Alles Mögliche, von alten Speisekarten bis alten Theaterprogrammen. Alles liegt da dann wild verstreut bei mir im Zimmer. Und immer, wenn ich dann irgendein Bild brauche, dann greife ich da hin und hole es mir.

Eigentlich ziemlich cool. Das heißt, du verbringst einen Teil deiner Zeit in den 1920ern.

Je nachdem, wenn ich da gerade schreibe, ja.

Also eine Zeitreisende.

Ein bisschen, ja.

Wunderbar. Dann sagen wir herzlichen Dank für ein sehr interessantes Gespräch. Und man darf durchaus sagen, auch der Spannungsfaktor kommt in dem Buch „Aspergers Schüler“ nicht so kurz. Wer mehr lesen will, möge sich bitte dem Buch zuwenden und sich selbst quasi ein Bild im Kopf erschaffen. Herzlichen Dank, Beate Maly!

Vielen Dank für die Einladung.

Das war FreakCasters mit einem Gespräch mit der Schriftstellerin Beate Maly. Die Buchtipps zur heutigen Folge packen wir in die Shownotes. Mehr zu uns und unserem Podcast findet ihr auf freakcasters.simplecast.com Dort stehen mehr als 70 Episoden zum Nachhören bereit. Freakcasters ist Teil des Ö1 Inklusions-Podcasts „Inklusion gehört gelebt“. Jeden Mittwoch erscheint eine neue Folge. Jede Folge steht samt Transkription 6 Monate lang zum Nachhören bereit. Den Podcast „Inklusion gehört gelebt“ findet ihr auch auf sound.orf.at in der Rubrik Gesellschaft. Sowohl FreakCasters als auch der Ö1 Inklusions-Podcast sind auf allen gängigen Audio-Plattformen verfügbar. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.