24 07 2024

In der Marien-Apotheke: Pharmazie und Gebärdensprache gehen Hand in Hand

Herzlich willkommen, sagt Udo Seelhofer. In unserem Podcast geht es um Inklusion. Um Menschen, Geschichten und Leidenschaften. Was ein Zeitungsartikel bewirken kann, erzählen wir euch in der heutigen Folge. Nachdem Sreco Dolanc 2013 einen Standard-Bericht gelesen hatte, setzte er sich in den Zug und fuhr nach Wien. Sein Ziel: Die Marienapotheke im 6. Wiener Gemeindebezirk. 10 Jahre später ist genau diese Apotheke zu einem Anlaufpunkt der Gehörlosen-Community geworden.

Ich kann mir die Apotheke ohne diese gebärdensprachliche Kompetenz nicht mehr vorstellen. Das ist Bestandteil unserer DNA geworden. Wir denken nicht mehr nach. Also das ist ja nichts mehr Besonderes. Wenn ich zum Sreco geh, weiß ich, den muss ich anschauen. Und ich muss langsam, gestikulierend sprechen.

Das ist Karin Simonitsch. Sie leitet in dritter Generation die Apotheke in der Schmalzhofgasse Ecke Otto-Bauer-Gasse. In der Apotheke arbeiten rund 40 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Drei davon sind gehörlos und kommunizieren in der Österreichischen Gebärdensprache, kurz ÖGS. 2008 bildete Simonitsch ihren ersten gehörlosen Lehrling zum pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten aus.

Der David ist das Sohn eines Freundes. Und in Wirklichkeit war das ein Freundschaftsdienst. Er hat sich nämlich große Sorgen gemacht, dass sein Sohn sozusagen eine vernünftige Lehre machen würde können. Und wie würde das mit der Zukunft seines Sohnes sein? Und ich hab gesagt, flapsig: Wenn er sich für die Pharmazie interessiert, dann bild ich ihn dir aus. Und ich verspreche, er wird keine Wurstsemmeln holen müssen. Das war sozusagen der Grundstein für all diese Dinge, die sich sozusagen dann im Laufe der Zeit ergeben haben. Weil der jetzige Zustand ist nicht das Ergebnis von langjährigen Planungen. Sondern wir sind einen Schritt nach dem anderen gegangen. Das, was sich ergeben hat, haben wir halt dann umgesetzt.

Vieles war zu Beginn also Learning by Doing. Ein zweiter gehörloser Lehrling kam ebenso ins Team wie eine Kollegin, deren Eltern gehörlos sind und die sowohl mit Gebärdensprache als auch Lautsprache aufgewachsen ist. In der Marien-Apotheke arbeitet seit über 10 Jahren auch der österreichweit einzige gehörlose Apotheker. Sreco Dolanc ist gebürtiger Slowene und hat in Ljubljana studiert. Wie kam es dazu, dass er nach Wien übersiedelte? Das soll er selbst erzählen. Das Gespräch übersetzt Gebärdensprachdolmetscherin Elke Schaumberger. Zunächst erzählt Sreco Dolanc, welche Berufswünsche er als Kind hatte.

Ich hab 2013 begonnen zu arbeiten, über 10 Jahre also schon. Und es hat in meinem Leben eine ganz große Rolle gespielt. Ich arbeite irrsinnig gern in der Marien-Apotheke und bin sehr stolz darauf, hier Apotheker sein zu können.

Was war denn der Berufswunsch als Kind? War das schon Apotheker oder gab es auch andere Träume?

Ja, ich hatte einen ähnlichen Berufswunsch. Ich hab mir vorgestellt, damals im Kindergarten schon. Da habe ich mir gedacht, beim Bilderbuch anschauen, als es um verschiedene Berufe ging, habe ich mir immer vorgestellt, da ging es ja um Bäcker sein oder anderes usw., aber ich habe mir immer Tierarzt gewünscht. Mir hat das immer gut gefallen mit dem weißen Mantel und der Spritze in der Hand. Das habe ich mir als Kind gedacht, dass ich vielleicht Tierarzt werden würde. Und dann bin ich eben diesen Weg gegangen und habe zur Pharmazie tendiert.

Und wie war das? Was mich auch interessiert hätte: Sind Sie gehörlos zur Welt gekommen oder sind Sie irgendwann später gehörlos geworden?

Ich bin gehörlos zur Welt gekommen. Ich bin taub geboren. Und meine Familie ist auch gehörlos, also meine Eltern sind gehörlos und meine Muttersprache ist deshalb die Gebärdensprache. Also ich bin mit slowenischer Gebärdensprache großgeworden.

Wie ist es dann weitergegangen? Sie sind ja nicht Tierarzt geworden. Sie haben ja dann einen ganz anderen Weg eingeschlagen, in die Pharmazie. Wie kam es denn eigentlich dazu?

Also ich wollte unbedingt mit Menschen arbeiten. Das war mir ganz wichtig. Menschen helfen. Und diese Entscheidung war dann für mich klar, dass ich in die Pharmazie gehen möchte. Und hab dann das Studium begonnen. Und der weiße Kittel ist sozusagen geblieben, der Arbeitsmantel ist für mich geblieben. Das war ein Kindheitstraum, einmal im weißen Mantel zu arbeiten, und das habe ich ja in der Pharmazie auch umsetzen können.

Welches Studium haben Sie gemacht oder wie war das oder wo haben Sie auch studiert?

Meine Ausbildung habe ich in Slowenien gemacht, in Ljubljana, in der Hauptstadt. Und habe mich dort dann nach der Schule für die Uni angemeldet. Es war kein einfacher Weg für mich. Es war sehr schwierig, ich hatte ganz viele Barrieren. Das Ausbildungssystem beinhaltet viele Barrieren für gehörlose Studierende. Es gab keine DolmetscherInnen. Ich hatte nicht die gleichen Möglichkeiten wie andere hörende Studierende. Ich musste viele Barrieren überwinden. Aber es hat mich doch zum Ende geführt und jetzt bin ich in Wien gelandet und arbeite schon zehn Jahre in Wien.

Wie kam es denn dazu, dass Sie von Slowenien nach Wien gekommen sind? Das bedeutet ja auch, sich eine andere Gebärdensprache aneignen zu müssen.

Ja, nach meinem Diplom. Also ich musste das anerkennen lassen in Österreich. Ich musste noch einmal eine Prüfung bestehen. Ich musste Österreichische Gebärdensprache vorweisen. Und Österreichische Gebärdensprache ist in der Verfassung als offizielle Sprache anerkannt. Und Slowenische und Österreichische Gebärdensprache sind nicht gleich, wie Sie richtig gesagt haben. Da gibt es große Unterschiede. Aber sie kommen aus einer gleichen Sprachfamilie sozusagen. Weil es gab zur Monarchie eine große Schule in Wien und die Gebärdensprachen haben sich seitdem ähnlich entwickelt. Und die Slowenische Gebärdensprache hat viele Ähnlichkeiten mit der Österreichischen Gebärdensprache. Aber wie gesagt, es war für mich ein Umlernprozess.

Was mich auch interessieren würde: Wie haben Sie denn überhaupt erfahren von der Marien-Apotheke?

Ja, das ist so gelaufen: Rund um 2013 habe ich mein Studium beendet und habe mich dann umgesehen, wo könnte ich als Pharmazeut tätig werden? Wie kann ich in die Arbeitswelt eintreten? Und es gab wenig Angebote. Ich habe hunderte Bewerbungen in Slowenien verschickt und habe nicht eine einzige positive Antwort bekommen. Es war für mich eine große Enttäuschung. Ich dachte, was kann ich machen? Ich wollte nicht in die Arbeitslosigkeit gehen, ich wollte nicht aufgeben und habe weitergesucht. Und im Internet habe ich mich dann umgesehen nach anderen Ländern und habe geschaut, wie können Gehörlose dort im Gesundheitssystem arbeiten? Und 2013 bin ich dann auf einen Interviewartikel gestoßen im Internet mit der Frau Mag. Simonitsch und habe dort dann sozusagen gelesen, dass es in der Marien-Apotheke zwei gehörlose Lehrlinge gegeben hat. Und ich dachte, das ist ja toll, vielleicht kann ich dort auch in der Apotheke starten. Und dann bin ich 2013 nach Wien gefahren und habe mir die Apotheke mal angesehen. Und so haben wir Kontakt geknüpft und dann habe ich Deutsch gelernt. Und so hat mein Weg hier in der Marien-Apotheke begonnen. Und seit zehn Jahren, wie gesagt, bin ich schon hier.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag?

Ja, da erinnere ich mich noch gut dran. Es war ein schöner Sommertag, ich habe im Juli 2013 begonnen zu arbeiten hier. Und es ist wirklich eine tolle Möglichkeit für mich, hier zu arbeiten, weil die Kolleginnen und Kollegen wissen, wie man mit einer gehörlosen Person umgeht. Sie wissen auch, wie sie meine Aufmerksamkeit bekommen, tippen mich an der Schulter an und so weiter. Also sie sind sehr sensibel darauf und es war ein guter Start, hier in der Apotheke zu arbeiten.

Und wie schaut so ein Tag hier aus? Was sind so die Aufgaben in der Apotheke?

Also meine Aufgabenbereiche sind sehr vielfältig. Ich fasse drei Bereiche heraus: Also ich arbeite an der Tara im Verkauf als gehörloser Pharmazeut. Ich habe da eine Dolmetscherin an meiner Seite, die die barrierefreie Kommunikation mit der Kundin oder dem Kunden gewährleistet. Ich kann also genauso ins Beratungsgespräch gehen wie die hörenden KollegInnen und bin denen gleichgestellt. Der zweite Bereich ist das Labor. Ich leite das Labor hier in der Marien-Apotheke. Also da werden Salben zubereitet, andere Produkte, je nach Bedarf der Kundinnen und Kunden werden magistrale Rezepturen vorzubereitet. Und der dritte Bereich ist das Thema verschiedene Projekte. Also vor allem für die Gehörlosen-Community. Wir bemühen uns sehr, barrierefreie Informationen zur Verfügung zu stellen. Wir machen Videos in Gebärdensprache und klären zu gewissen Themen auf. Und auf der Website der Marien-Apotheke finden Sie hierzu ganz viele unterschiedliche Videos. Wir machen auch einen Newsletter und bringen den auch in Gebärdensprache. Wir informieren über verschiedene Produkte, haben jedes Monat ein anderes Thema. Und wir informieren zum Beispiel auch über Heilpflanzen, wie die Gebärden sich da entwickeln. Es gab ja zu vielen Heilpflanzen keine eigenen Gebärden in der Österreichischen Gebärdensprache. Und wir haben da auch viele Gebärden entwickelt. Und da können Gehörlose mit diesen Informationen ihre Gesundheitskompetenz gut aufbauen. Das sind nur drei Bereiche gewesen von meinen unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern.

Und wie herumgesprochen hat sich das in der Gehörlosen-Community, dass in der Apotheke ein gehörloser Mitarbeiter, ein gehörloser Apotheker ist?

Ja, das hat sich natürlich schnell herumgesprochen, weil ich bin der einzige gehörlose Apotheker in Österreich, aber vermutlich auch in ganz Europa. Also viele haben vielleicht das Studium schon abgeschlossen, aber sind wenig an der Tara im Einsatz, im Kundenkontakt. Das ist nicht so einfach, weil in anderen Ländern ist die Dolmetschförderung nicht gegeben oder weniger gegeben als in Österreich und da war natürlich die Gehörlosen-Community sehr begeistert. Die haben das toll gefunden: Da gibt es auch einen gehörlosen Pharmazeuten. Ich bin auch für viele Jugendliche ein Vorbild geworden, die gesagt haben, ich kann ja auch in diesen Beruf gehen, wenn ich möchte. Es gibt auch die Möglichkeiten und man kann hier eine Person sehen, die das Labor zum Beispiel leitet und ein Vorbild sein kann für Jugendliche, die gehörlos sind.

Das hätte mich auch interessiert: Gibt es noch andere gehörlose Kollegen in der Apotheke?

Ja, wir haben noch andere gehörlose MitarbeiterInnen. Also einen PKA, Kaufmännischen Assistenten, das handelt sich um einen Mann, und einen zweiten Kollegen. Das heißt, ich bin nicht der einzige Gehörlose hier in der Apotheke und ich kann mich auch in Gebärdensprache mit denen unterhalten. Die anderen sind hörende Kollegen, aber es gibt einige darunter, die die Gebärdensprache bereit sind zu lernen und schon lernen. Und das ist eine tolle Sache, weil ich hiermit wirklich Inklusion erlebe. Es ist nicht nur ein Schlagwort, sondern es wird hier wirklich umgesetzt. Ich kann hier auf Augenhöhe mit den anderen Kolleginnen und Kollegen arbeiten.

Wie oft gibt es das Dolmetsch? Haben Sie jeden Tag eine DolmetscherIn in der Apotheke oder gibt es da bestimmte Tage und Zeiten?

An bestimmten Tagen habe ich DolmetscherInnen im Einsatz. Da muss man als gehörlose Person an das Sozialministeriums-Service einen Antrag stellen, dass man Unterstützungsbedarf hat. Jetzt ist es so, dass ich für 12 Stunden in der Woche DolmetscherInnen zur Verfügung habe. Die sind dann 3 Tage im Einsatz zu jeweils 4 Stunden. Sie dolmetschen für mich in der Apotheke, je nachdem was ich an Kommunikationsbedarf habe.

Was ich auch spannend finde, ist, Sie kommunizieren mit gehörlosen Kunden ebenso wie mit höheren Kunden und Kundinnen. Wie reagieren die hörenden KundInnen, die vielleicht noch nicht gehört haben, dass in der Apotheke ein gehörloser Apotheker ist? Was kommen da für Reaktionen?

Also die Reaktionen sind sehr positiv. Viele sind begeistert, dass es das gibt. Sie fragen mich dann, wie man z.B. Danke gebärdet. Sie fragen, wie das mit der Gebärdensprache funktioniert. Sie sind neugierig und finden das toll, dass ein gehörloser Pharmazeut hier arbeiten kann. Ich bekomme also sehr viele positive Rückmeldungen. Die Gehörlosen-Community ist sowieso ganz begeistert und sie sind stolz auf mich und geben mir auch dieses Feedback, dass sie das toll finden, dass es das hier gibt. Ich erlebe wirklich durchwegs positive Reaktionen. Sie fragen oftmals, wie man Danke gebärdet. Das fragen sie dann oftmals auch die Dolmetscherin, wenn ich was hole und bedanken sich dann in Gebärdensprache, wenn ich zurückkomme. Also das sind ganz schöne Erlebnisse. Und die Beratung ist eben einfach auch in Gebärdensprache möglich für gehörlose Kundinnen und Kunden, dass sie in ihrer Muttersprache auch beraten werden. Es gibt oftmals Schwierigkeiten, dass sie Dinge nicht verstehen. Dann kann ich sie ihnen in der Gebärdensprache noch einmal erklären. Und das ist ein gutes Service. Das gibt es woanders nicht.

Was gefällt Ihnen am besten am Job? Sie haben ja uns erzählt, Sie haben diese drei Aufgabenbereiche. Was macht am meisten Spaß in der Apotheke im täglichen Arbeiten?

Schwer zu sagen. Ich würde mir am liebsten jeden Tag aus allen drei Bereichen was aussuchen können. Sozusagen alle drei Bereiche abdecken können, sodass sich der Tag gut abwechselt. Aber ich muss schon sagen, die Arbeit an der Tara macht mir besonders viel Spaß, weil ich gerne mit Menschen arbeite. Das Labor ist auch toll, keine Frage, aber individuell auf die Menschen eingehen zu können, ist schön. Auch die Tätigkeit im Labor, etwas herstellen zu können für die Bedürfnisse der KundInnen, ist wirklich toll. Und die Projekte sind immer spannend und neu. Das ist auch sehr bereichernd.

Was brauchen Sie, um Ihren Job gut machen zu können?

Voraussetzungen für meine Arbeit sind natürlich, dass ich einen barrierefreien Arbeitsplatz habe, dass ich DolmetscherInnen in meiner Arbeit habe, dass ich gut kommunizieren kann mit den anderen Kolleginnen, dass die Kooperation und Zusammenarbeit gut funktioniert. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Also mit dem Team in der Kommunikation, aber auch natürlich mit den Kundinnen und Kunden. Wir entwickeln im Team viele neue Ideen zu Produkten, zu Projekten. Da ist es natürlich auch für die Firma, für die Apotheke, wichtig, dass die Kommunikation gut funktioniert und dass wir dieses auch nach außen geben, unsere Erfolge auch nach außen zeigen. Dass wir wirklich auch Inklusion leben im Alltag, in unserem Tun. Dass wir uns auch intern immer weiterentwickeln, das ist für mich auch ganz wichtig.

Eine Frage, wir haben das jetzt schon öfter angesprochen, Inklusion. Was ist Inklusion für Sie? Beziehungsweise wie würden Sie es darstellen, zeichnen, egal was?

Inklusion bedeutet für mich ein Begegnen einander auf Augenhöhe, dass man sich wirklich gleichberechtigt begegnet. Dass man sagt, gut, der andere ist anders, ich zum Beispiel bin gehörlos und ich habe Bedarf an Dolmetschung. Aber wenn der Arbeitsbereich, die Arbeit, das Arbeitssetting barrierefrei gestaltet ist, kann man sich wirklich auf Augenhöhe begegnen und miteinander gut als Team zusammenarbeiten. Das bedeutet für mich Inklusion.

Was mich auch interessieren würde: Sie haben vorhin gesagt, es war eine schwierige Zeit nach dem Studium, einen Job zu finden. Und was hat Ihnen geholfen, damals in der Zeit nicht zu verzweifeln, sondern einfach weiterzusuchen, bis Sie von der Apotheke hier erfahren haben?

Meine große Motivation hat mir da geholfen. Nicht aufzugeben, weiter zu versuchen, dranzubleiben, zu überlegen: Welche Alternativen habe ich noch, was kann ich machen? Trotz der Hindernisse nicht aufzugeben, das war wichtig. Also da hat mir meine Motivation total geholfen, Barrieren zu überwinden und da nicht zu sagen: Ach, das geht nicht! Sondern dranzubleiben und lösungsorientiert zu denken. Ja, das hat mir am meisten geholfen.

Ich habe gehört im Vorgespräch, dass eben Sie Heilpflanzengebärden selbst entwickelt haben. Was hat es denn damit auf sich?

Ja, Heilpflanzen spielen in der Pharmazie eine große Rolle. Und da haben wir zum Beispiel Heilpflanzengebärden entwickelt, um die Gehörlosen-Community auch darin zu unterstützen, dass man zu gewissen Fachbegriffen auch Fachgebärden hat. Und was wir entwickelt haben, das habe ich jetzt hier vor mir, ist ein Daumen-Kino. Ich zeige das gerne mal her. Da sind Ecken, wenn man das so bewegt, sieht man die unterschiedlichen Gebärden zu sechs verschiedenen Heilpflanzen. Und das ist halt toll, weil sich Kundinnen und Kunden das dann anschauen können, wie das gebärdet wird. Und früher hat man halt die Heilpflanzen oftmals nur buchstabieren müssen, wenn man die Fachgebärde nicht dazu hatte. Und das ist schon wichtig, dass man auch die Sprache weiterentwickelt. Und da gibt es von GESTU, das ist eine Servicestelle für gehörlose Studierende, auch die Möglichkeit, Fachgebärden zu entwickeln. Das haben wir im Rahmen dessen gemacht und viele davon auf Video aufgenommen und ins Lexikon übernommen. Also da gibt es schon ein Repertoire von über 100 Heilpflanzen, Heilkräutern, die eigene Gebärden bekommen haben und die natürlich auch für die Community und alle GebärdensprachbenützerInnen wichtig sind. Weil sie sich dann einfach auch über diese Themen, über diesen Themenbereich unterhalten können in Gebärdensprache.

Als sich Dolanc 2013 spontan bei der Apotheke vorstellte, lief zunächst nicht alles nach Plan. Es gab Kommunikationsschwierigkeiten. Doch der Grundstein war gelegt. Mit Mails wurde der Kontakt vertieft. Sreco Dolanc lernte sehr schnell die österreichische Gebärdensprache und legte 2014 eine Prüfung bei der Österreichischen Apothekerkammer ab.

Daran erinnert sich seine Chefin Karin Simonitsch zurück:
Dann haben wir formlos im Sekretariat von der Österreichischen Apothekerkammer die Urkunde überreicht bekommen. Wir waren zu zweit. Ich habe ihn fotografiert und habe mir gedacht, das ist ein wichtiger Moment in seinem Leben, der vertretungsberechtigter Apotheker nämlich mit einem Schlag war.

Neben Sreco Dolanc arbeiten auch zwei pharmazeutisch-kaufmännische Assistenten im Team. Es handelt sich dabei um die zwei Lehrlinge, von denen wir eingangs gesprochen haben.

Dann war mir klar, jetzt tragen wir das nach außen, wie die pharmazeutische Kompetenz da war. Weil ich dann zunehmend Einblick in die Community, die ja sehr abgeschlossen ist, bekommen habe. Also Vertrauen muss man sich verdienen. Gehörlose Menschen haben mehrfach erfahren, dass ein schnelles Wort sie sehr benachteiligt in vielen Situationen. Und dass man sich, wie man in Wien schon sagt, ums Haxl haut. Also Vertrauen muss man sich wirklich über lange Zeit verdienen.

Damit die Kommunikation im Team noch besser funktioniert, hat Karin Simonitsch für ihre Beschäftigten Gebärdensprachkurse organisiert.

Das ist nicht so einfach, weil wir sperren ja nicht zu. Und dann macht man es aber während der Dienstzeit idealerweise. Vorher oder nachher sind die Kollegen hin. Nach einem 10-Stunden-Tag ist man a Laberl. Also das kostet Energie und dann hat man... Also wir haben es dann so versucht, dass sozusagen eine Notbesatzung zu Mittag vorzugsweise, wo es ein bisschen ruhiger ist oder irgendwann … Und dann sind die Kollegen immer verschwunden. Also es wurde ausgedünnt und sie haben sich verdünnisiert. Das haben wir gemacht. Wir haben das auch bezahlt, sogar teilweise ein bisschen gefördert bekommen. Aber da haben wir richtige Gebärdensprachkurse gehabt. Wissen Sie, der Punkt ist auch, wenn man Gebärdensprache lernt, muss man das anwenden. Weil sonst geht das verloren. So einfach ist es nicht, dass man irgendeine Gebärde lernt und dann kann man reden.

Man muss es anwenden können mit Native Speakers. Das Sreco ist ein sehr charismatischer Lerner. Also streng. Wenn eine Gebärde nicht genau ist, dann sieht man das. Nein, gar nicht, er macht das so liebevoll.

Will Sreco Dolanc Kunden und Kundinnen beraten, so braucht er dafür Gebärdendolmetschung. Doch auch in diesem Bereich fehlen Fachkräfte.

Es gibt in Wien ca. 5000 Menschen, die nicht hören. Es ist die Frage, ob die jetzt alle immer zu uns kommen und so weiter. Aber sein Beruf ist dann ganz, wenn er vorne stehen kann oder wenn er im Verkauf ist oder im Labor. Jetzt ist er im Verkauf daran angewiesen, dass ein Dolmetscher da ist.

Das heißt, Sie würden sich einfach mehr Dolmetschstunden wünschen, damit er mehr Kundenkontakt haben kann.

Er lebt seinen Beruf, also er macht kein Nachdienst. Das ist das Einzige, was er in unserem Beruf nicht ausüben kann. Alles andere macht er, und das macht mich auch sehr stolz.
Karin Simonitsch sieht in Bezug auf Inklusion eine wichtige Rolle bei Unternehmen, die auch Impulse für eine Weiterentwicklung setzen können.
Ich glaube, dass Apotheken generell diese Aufgabe haben, dass wir solche Impulse setzen. Ich glaube, dass aus der Privatwirtschaft und dazu gehören Apotheken, gehören Ideen, dass dann ein Ministerium etwas auch umsetzen kann oder etwas verbessern kann. Ich glaube, das muss von außen an die herangetragen werden. Und dann, wenn man gut miteinander zusammenarbeitet, kann das dann ja auch aufgegriffen werden im Idealfall, würde ich jetzt einmal sagen.

Die Apothekerin betont, dass Inklusion ein stetiger Prozess ist, der auch Investitionen erfordert.

Ich habe das gemacht natürlich, um neue Kundengruppen zu erschließen. Aber das, was wir bereits investiert haben, wenn man so will, in all diese Werbemittel und in die Ausbildung und und und, das werden wir hoffentlich gerade verdient haben. Aber um das geht's jetzt letzten Endes auch nicht. Ich glaube, das ist die Aufgabe einer Apothekerin.

Was rät die Apothekerin Unternehmen, die sich überlegen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen?

Ich sage Ihnen was: Alle jammern Fachkräftemangel, furchtbar. Und man kann die Aufträge nicht abarbeiten. Wir haben eine Personalreserve, denen wir keine Chance geben, und wo Betriebe sich möglicherweise darauf einstellen könnten, so wie wir es hier getan haben, wenn man darüber was weiß. Was kriegt man dafür? Man kriegt überaus treue Mitarbeiter, die sozusagen aus diesem Status des Almosenempfängers raus können, im Sinne von sozialer Teilhabe endlich auch ihr Geld selber verdienen. Das ist ja nicht so witzig im Sinne von Teilhabe, wo wir sie mitmachen lassen und sie ihr eigenes Geld verdienen lassen können.

Das war FreakCasters für heute. Mehr zu uns und unseren Sendungen findet ihr auf freakcasters.simplecast.com. Außerdem gibt es uns auf allen gängigen Podcastkanälen wie zum Beispiel Spotify oder auch auf YouTube unter dem Kanalnamen FreakRadio. Dort stehen mehr als 70 Episoden zum Nachhören bereit. FreakCasters ist Teil des Ö1-Inklusionspodcasts „Inklusion gehört gelebt“. Jeden Mittwoch erscheint eine neue Episode. Jede Folge steht außerdem samt Transkription
sechs Monate lang zum Nachhören bereit. Den Podcast „Inklusion gehört gelebt“ findet Ihr auch auf sound.orf.at in der Rubrik Gesellschaft. Genauso wie FreakCasters ist auch der Ö1-Inklusionspodcast auf allen gängigen Plattformen verfügbar. Die Gespräche in der Marien-Apotheke führte meine Kollegin Sandra Knopp. Dann bleibt mir nur noch, mich zu verabschieden. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Udo Seelhofer.