Nico Langmann - Wie Träume fahren können

FreakCasters - Menschen, Geschichten, Leidenschaften.

Herzlich willkommen bei FreakCasters, sagt Sandra Knopp. Bei uns geht es um Inklusion, um Menschen und ihre Leidenschaften. In diesem Podcast kommen Menschen zu Wort, die sich in besonderer Weise für etwas begeistern und engagieren, also Freaks im besten Sinne des Wortes. Das trifft auch auf unseren heutigen Gast zu: Nico Langmann, Jahrgang 1997, braucht nicht viel mehr als einen mit gelbem Filz ummantelten Ball, einen Schläger und einen Sportrollstuhl, um seiner Leidenschaft nachgehen zu können. Er zählt zu den erfolgreichsten Rollstuhl-Tennisspielern Österreichs und hat bislang zweimal an den Paralympics teilgenommen. Das dritte Mal steht unmittelbar bevor, denn von 28. August bis 8. September 2024 finden die Paralympischen Spiele in Paris statt. Diesmal unterstützt meine Kollegen Christoph Dirnbacher und mich Gastmoderatorin Lara Egger. Die Wiener Gymnasiastin ist 16 Jahre alt und radiobegeistert. Seit fünf Jahren gestaltet sie Beiträge und Sketches für das Schulradio FM-U18. Das Gespräch mit dem Tennis-Profi führt sie mit uns zusammen, denn Lara steht selbst einmal in der Woche am Tennisplatz. Die Liebe zum Tennis verdankt sie ihrer älteren Schwester, bei Nico war es sein älterer Bruder. Nicht die einzige Gemeinsamkeit, wie sich herausstellen wird. Wir sprechen über Nico Langmanns Biografie, wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen. Das Buch ist 2023 im Brandstätter Verlag erschienen. Nico erzählt von einem Ärzte-Marathon in seiner Kindheit und von Diskriminierung im Alltag. Im Gespräch geht es aber auch um Sexualität mit Behinderung und natürlich die Liebe zum Tennis-Sport. Zu Beginn erfahren wir, was Tennis mit einem Boxkampf gemeinsam hat.

Was gefällt euch beiden denn so am Tennis?
Darf ich der Lara da den Vortritt geben?

Boah, schwierig. Dass man immer aktiv bleiben muss, dass man sehr aktiv ist. Das ist sehr cool. Eigentlich ist Tennis eher ein anstrengender Sport, weil man muss viel rennen und immer den Ball im Blick haben. Aber sonst? Ich weiß nicht, Adrenalin kickt so wirklich in dir raus und deswegen kann man...
Kann ich unterstreichen. Ich wüsste selbst gar nicht, wie ich es beschreiben kann. Aber ich kann mich noch gut erinnern: Ich habe zirka ein Jahr Tennis gespielt und habe auch immer mit meinem älteren Bruder gespielt. Einfach diesen gelben Ball im Spiel zu behalten, hat mir so viel Freude bereitet. Und bis heute macht es einfach richtig viel Spaß. Also ich glaube, die Frage, warum gefällt es mir, ist, weil es mir gefällt.

Und was gehen euch beiden für Gefühle durch den Kopf, wenn ihr am Platz steht? Wenn ihr euch sozusagen mitten im Spiel bewegt und versucht, dem Gegner oder der Gegnerin das eine oder andere schwieriger zu machen, um nicht zu sagen reinzuwürgen?

Ja, also die Tennis Competition, also das Tennismatch, ist ja dann natürlich schon ein Kampf, wo man dem anderen oder dem Gegner oder der Gegnerin Schaden zufügen will, so blöd das klingt. Viele Tennisspieler vergleichen ihren Sport oder unseren Sport mit einem Boxkampf, weil man eben mit dem Schläger dem Gegner Schaden zufügt. Das ist halt Gott sei Dank nicht so mit Schmerz, sondern nur mit psychischem Schmerz verbunden eigentlich. Aber das ist sozusagen ein Gefühl, da muss man sich auch erstmal anfreunden, weil die Person gegenüber vom Netz will ja dir selbst auch schaden auf eine gewissen Art und Weise. Aber wenn man es nur als Leistungsvergleich sieht und das ist so wie ich es sehe, sozusagen ich habe trainiert, ich habe diese Leistung, die ich heute abrufe und ich hoffe sie reicht, um dieses Match heute zu gewinnen, dann ist es nicht ganz so martialisch.

Aber eigentlich gehen sehr viele Gefühle in mir los, man muss aber immer einen klaren Kopf haben bei Tennis, man muss immer fokussiert bleiben.

Es ist so vielseitig, oder?

Ja, genau. Vielseitiger Sport. Es ist auch ein cooler Sport, weil wenn du nach Hause gehst, kannst du dann wirklich stolz sein auf dich, denke ich. Wenn du wirklich einen Tag gefunden hast, wo du wirklich gut Tennis gespielt hast, dann ist es immer so ein gutes Gefühl, dann kannst du auch immer sehr stolz auf dich sein, dann weißt du, dass du dich auch gut bewegt hast. Auch immer gute Kommentare vom Trainer zum Beispiel zu hören, das ist auch immer gut.

Es kann eine Achterbahnfahrt im Gefühl sein, oder?

Du bist ja gerade vom Training gekommen. Wie oft trainierst du zurzeit?

Mein Brotberuf ist es ja, Tennisspieler zu sein. Das heißt, ich sollte den lieben langen Tag nichts anderes machen, außer am Platz zu sein und auf einen gelben Ball draufzudreschen. Mehr oder weniger ist das auch mein Leben. Also wir sind jetzt vier Stunden pro Tag am Platz, ich muss natürlich auch meinen Körper fit halten, um diese Belastungen auszuhalten. Das heißt Krafttraining, Ausdauertraining. Das ist natürlich dann auch noch dazu geplant und dann muss man gut regenerieren, dehnen, zur Physiotherapie gehen, gut essen, gut schlafen und dann ist der Tag auch schon wieder vorbei. Natürlich dreht sich in meinem Leben alles um diesen kleinen gelben Ball. Das ist nun mal mehr oder weniger der Preis, den man bezahlt als Leistungssportler.

Apropos gelb, was darf man essen? Weil Bananen sind offenbar hoch im Kurs, habe ich gesehen, oder was sonst noch?

Stimmt, Bananen sind anscheinend der beste Energielieferant während einem Tennismatch. Wurde mir zumindest so beigebracht. Es kommt immer ein bisschen darauf an, was du gerade für eine Art von Belastung hattest, um dann darauf passend zu essen. Willst du zum Beispiel Muskeln aufbauen, sollte man proteinreicher essen, hast du deine Kohlenhydratespeicher aufgebraucht durch lange Belastungen, solltest du die wieder auffüllen. Aber im Endeffekt ist es relativ schnell zusammengefasst mit viel Nudeln, viel Gemüse und ein bisschen Protein dazu dann auch.

Und Lara, wie oft kommst du zum Spielen momentan in der Schule?

Einmal in der Woche zwei Stunden.

Cool. Hoffentlich dann auch schon genug Zeit, um Woche für Woche Fortschritte zu sehen, oder?

Ja, schon. Auch bei Aufschlägen und so.

Aufschläge sind so eine schwierige Sache beim Tennis. Das ist, habe ich einmal gehört, anscheinend koordinativ eine der absolut schwierigsten Bewegungen, die es im gesamten Sport gibt.

Das ist immer so ein Auf und Ab. Manchmal bin ich gut, manchmal bin ich schlecht.
So geht es mir auch jeden Tag, keine Angst.

Und stärkere Rückhand oder Vorhand?

Sogar das variiert. Früher hätte ich immer gesagt Vorhand, aber mittlerweile sagen meine Gegner, sie spielen mir nur noch auf die Vorhand, weil meine Rückhand relativ gut geworden ist, weil ich versucht hab, an meiner Schwäche zu arbeiten. Deswegen kann ich das jetzt gar nicht mehr so beantworten.

Und bei dir, Lara?

Vorhand.
Sehr, sehr cool.

Aber bist du Linkshänder oder Rechtshänder?

Rechtshänder. Und du?

Rechtshänder. Ich hasse es auch ein bisschen, gegen Linkshänder zu spielen. Einfach der Ball fliegt anders.

Rafael Nadal ist Linkshänder, genau.

Wahrscheinlich der berühmteste und erfolgreichste der Welt.

Du hast vorher die Fortschritte angesprochen, ein Vokabel, das dir im Lauf deiner Biografie relativ häufig begegnet ist. Warum?

Da muss ich fast weit ausholen. Wenn es das ist, worauf du mich ansprichst, wenn ich kurz meine Biografie zusammenfassen darf. Ich hatte einen Autounfall im Alter von zwei Jahren und bin seitdem querschnittgelähmt. Ich erzähle dir das, weil ich mich selbst nicht daran erinnere. Das, was ich dir gerade erzähle, wurde mir auch nur erzählt. In meinem Kopf bin ich einfach mit Behinderung aufgewachsen, kenn es nicht anders. Und habe dadurch nie den Vergleich ziehen müssen oder können: Wie wäre es, gehen zu können? Trotzdem war es natürlich damals eine sehr schwierige Zeit, vor allem für meine Eltern, die in ihrem Aufwachsen mit dem Thema Behinderung nichts zu tun hatten. Und plötzlich wird ihnen gesagt: Hey, dein zweijähriges Kind hat eine Behinderung und wird sein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt sein und all diese großartigen Formulierungen, die wir alle nicht mehr hören wollen und können. Für sie war das mehr oder weniger eine Hiobsbotschaft oder das Schlimmste, was sie hätten hören können. Sie wollten das Beste für ihr Kind und das Beste in ihren Augen war, diese Behinderung zu überwinden und alles dafür zu tun, dass ich irgendwann aus dem Rollstuhl aufstehen kann. Aus Liebe zu mir und sie wussten auch nicht, dass ich auch im Rollstuhl sozusagen meinen Platz im Leben sehr gut finden kann. Das war dann eigentlich das bestimmende Thema in meinem Aufwachsen: Hey Nico, du musst irgendwann wieder aufstehen, du musst irgendwann aus dem Rollstuhl heraus und wir werden alles dafür tun. Und wir haben da die verrücktesten Sachen gemacht, weil Querschnittlähmung ist nun mal unheilbar. Wir haben uns dann an Leute gewandt, die uns dann trotzdem versprochen haben, ihr werdet das schaffen und wir werden das schaffen. Und wir waren da bei Schamanen in Indien, bei Heilern in Brasilien, die mittlerweile lebenslang im Gefängnis sitzen. Da wurde immer wieder eingefordert: Hey Nico, um jetzt die Frage zu beantworten, wann ist eigentlich der nächste Fortschritt, wann ist es so weit, dass du irgendwann wieder gehen kannst? Weil wir sehr, sehr viel dafür tun. Und ja, der Fortschritt ist nie gekommen, ich sitze noch immer im Rollstuhl.

Nur bei einigen Fortschritten hast du ja auch mitgeholfen, oder?

Ich hab in meinem Aufwachsen natürlich gemerkt: Hey, meine Eltern wollen unbedingt, dass ich wieder gehen kann, und als Kind ist man sozusagen ein Befehlsempfänger und versucht, deine Eltern glücklich zu stellen. Und ich habe dann oft bei diversen Therapien habe ich die Tricks angewendet, um vorzugaukeln, dass ich da sozusagen schon Verbesserungen habe. Also ich habe da Spiegelungen in Fenstern oder in Fernsehern, die ausgeschalten waren, genutzt, wenn dann wieder der Test war: Nico, mach die Augen zu! Wir berühren dich jetzt sozusagen und du musst zeigen, wo du berührt wirst. Dann habe ich die Augen zugemacht. Beziehungsweise habe ich mich weggedreht und habe aber über die Spiegelung genau gesehen, wo er mich berühren wird. Das heißt, ich bin am Bauch gelegen, habe mich zum Fernseher gedreht und habe über die Spiegelung gesehen: Hey, der berührt mich am linken Unterschenkel. Dann wurde ich gefragt: Nico, wo bist du berührt? Dann sage ich: Ja, ganz einfach, linker Unterschenkel. Und alle waren super happy: Hey, er spürt, er spürt mehr, er spürt mehr und es wird, es wird immer mehr. Nur ja, das waren leider nur meine Schausteller-Tricks, die da nicht wirkliche Fortschritte waren.

Du startest das Buch «Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen» mit einem Traum, der mit einem Rollstuhl zu tun hat und auch mit dem Bild vom Rollstuhl. Weil Rollstuhl galt für viele in deinem Umfeld als etwas, was dich zurückhält. Aber für dich war das ja anders, oder? Was ist der Rollstuhl für dich?

Der Rollstuhl ist ein großartiges Hilfsmittel, was mich mein Leben lang begleitet, auf die beste Art und Weise. Weil ich mit dem Rollstuhl im gleichen Tempo von A nach B komme, wie Menschen, die gehen können. Der Rollstuhl ist natürlich so dieses Symbolbild für Behinderung. Also wir sehen es auch bei Parkplätzen. Auch wenn nicht nur Rollstuhlfahrer diese Parkplätze benutzen dürfen, dieses Symbolbild für Behinderung ist nun mal der Rollstuhl. Das verbinden Leute dann in ihrem Kopf sehr schnell: Hey, sozusagen sobald jemand im Rollstuhl sitzt, dann ist das die schlimmste Form, die man annehmen kann. Und für mich ist es aber die größte Befreiung.

Mich würde trotzdem noch interessieren: Wie war dann dieser Moment des sozusagen Offenbarens? Du beschreibst das im Buch echt gut, dass du etappenweise vorgegangen bist bei der Enthüllung einer schamungslosen Wahrheit. Aber wie war es denn?

Ich bin eben in diesem Aufwachsen, das ich vorher beschrieben habe, dann irgendwann trotzdem zu dem Punkt gekommen, wo ich mir selbst begonnen habe, Fragen zu stellen. Es gab dieses ungeschriebene Gesetz in unserer Familie, dass das Lebensziel vom Nico sein soll, dass er wieder gehen wird. Irgendwann hat man sich dann trotzdem Fragen gestellt, wo man sagt: Hey, warum investiere ich eigentlich so viel Zeit darin? Warum ist das das große Ziel, was ich verfolgen muss? Weil ich habe schon gemerkt, ich habe jeden Tag aufs Neue meine Eltern enttäuscht, weil ich diesem Traum nicht näher gekommen bin. Ich habe auch jeden Tag aufs Neue mich selbst enttäuscht, weil ich diesen Traum nicht erreicht habe und bin da wirklich in so einer Negativspirale gefangen gewesen, wo ich keinen Ausweg gefunden habe und habe dann mir diese entscheidende Frage gestellt: Warum eigentlich? Warum will ich wieder gehen können? Und habe dann sehr schnell die Antwort darauf gefunden, für mich selbst im Alter von 16 Jahren, wahrscheinlich in meiner Pubertät, wo man eben einmal beginnt zu reflektieren und habe gemerkt: Ich will eigentlich gar nicht wieder gehen können. Weil, wenn ich morgen wieder gehen könnte, was wäre der große Unterschied? Ich wäre noch immer der gleiche Nico, der in die gleiche Schule geht, der der gleiche faule Schüler gewesen wäre, mit den gleichen Freunden. Vom Tennis, Beinarbeit hatte ich keine Ahnung, deswegen hätte ich das auch alles neu lernen müssen. Und es würde mich als Person, und um das geht's, nicht ausmachen, ob ich jetzt gehe oder roll. Deswegen habe ich für mich sozusagen diese Entscheidung getroffen. Und du hast richtig gefragt, es war dann gar nicht so einfach, das in meinem Umfeld irgendwie auch mitzuteilen dann.

Du hast gesagt, das war glaube ich im Rahmen von Streits, also als es dann eigentlich quasi nicht mehr ging.

Ja, also ich habe von mir selbst aus nicht die Energie gehabt oder genug Motivation gehabt oder genug Mut eigentlich gehabt, um es mitzuteilen. Weil natürlich meine Eltern auch sehr, sehr viel Zeit und Energie investiert hatten und auch mir gegenüber mehr oder weniger so formuliert haben: Hey, wir haben jetzt so viel Zeit investiert, wann kannst du denn endlich gehen? Mehr oder weniger. Und da ist es natürlich schwer zu sagen: Hey, die letzten 15 Jahre, die ganze Zeit, die ganze Energie, die wir gemeinsam investiert haben, um diesem Traum nachzueifern, ich will das gar nicht mehr mitmachen. Deswegen waren es dann zweimal, also mit meiner Mutter und meinem Vater jeweils in einem Streitgespräch, wo es um Therapien ging, wo es um meinen Misswillen oder meinen Unwillen ging, dort mitzumachen, in dem Ausmaß, wie sie es gerne gehabt hätten, wo ich dann irgendwann gesagt hab: Hey, lass uns mal kurz über das ganze Ding reden, weil ich glaube, ich will einfach nicht mehr mitmachen. Und sobald das ausgesprochen war, ist plötzlich sehr viel Konfliktpotenzial weggenommen worden, weil meine Eltern auch gemerkt haben: Hey, wir haben da echt sozusagen einfach nur Sachen verfolgt, ohne das wirklich zu reflektieren. Und seitdem sind wir auch als Familie viel, viel besser zusammengewachsen, viel, viel besser auch zusammen am Arbeiten.

Als jemand, der schon lang mit einem Rollstuhl lebt: Hast du eine Vorstellung davon, warum alle anderen so einen Hype ums Gehen machen?

Ich liebe die Frage. Ich habe immer gedacht, ich werde mein Leben oder meine Lebensqualität nicht davon abhängig machen, ob ich jetzt in der Lage bin, mit meinen eigenen zwei Beinen die Treppen raufzugehen oder ob ich den Aufzug verwenden muss. Das Ergebnis ist im Endeffekt das gleiche: Ich bin im ersten Stock oder im dritten. Ich glaube auch nicht, dass mein Lebensinhalt groß anders wäre, wenn ich das großartige Gefühl hätte, mit meinen eigenen zwei Beinen in den ersten Stock gegangen zu sein.

Und die Liebe zum Tennis hast du über deine Familie bekommen?

Über meinen älteren Bruder eigentlich vor allem. Der eben ganz ähnlich wie bei der Lara auch Tennis gespielt hat. Und als kleines Geschwisterkind will man einfach immer das machen, was die älteren Geschwister tun. Und deswegen hab ich da sehr schnell auch … zumindest wollte ich Tennis unbedingt ausprobieren und dann hat's mir sehr schnell sehr gut gefallen.

Und Lara, wenn wir schon beim Tennis sind: Hast du eine Tennisfrage vielleicht?

Ja, ich wollte nur fragen: Wurde dein Tennislehrer jemals in dieses Thema eingeweiht, dass deine Eltern versucht haben, dass du wieder gehen kannst? Hat er oder sie versucht, dir jemals die Vorteile zu geben, wie es wäre, ohne Rollstuhl Tennis zu spielen?

Das ist eine gute Frage. Das war damals nach außen hin nicht so kommuniziert. Das war ein familieninternes Thema, was bei uns ungeschriebenes Gesetz war. Ich weiß nicht, ob man das heutzutage noch hat, aber ich hab zu Hause vor kurzem gefunden so Freundesbücher, wo man die wichtigsten Sachen reinschreibt. Und ich hatte anscheinend damals nicht viele Freunde, weil in meinem Freundesbuch waren nur mein Bruder und meine beiden Cousinen. Einer der Punkte, die man ausgefüllt hat, war, was ich mir von der Zukunft wünsche. Und da hab ich geschrieben, dass ich wieder gehen kann. Mein älterer Bruder hat geschrieben, dass der Nico wieder gehen kann. Meine Cousine hat geschrieben, dass der Nico wieder gehen kann. Meine kleine Cousine hat geschrieben, ein Pferd. Aber es war sozusagen ein Familienthema bei uns. Und nach außen hin haben wir das nicht wirklich getragen, deswegen hat mein Tennis-Trainer jetzt die ganze Aufwachsthematik eigentlich erst mitbekommen, als ich ihm das Buch geschenkt hab und gesagt hab: Hey, schau Oliver, da bist du auch vorgekommen, vielleicht willst du es mal lesen.

Da du ja schon so eifrig deinen Bruder erwähnst: Hattest du eine gute Bindung mit ihm, also eine gute Kindheit verbracht?

Also ich glaub, mein Bruder war sozusagen mein, wie sagt man, mein Tor in die normale Welt. Von diesem Takt der Therapien, in denen mein Leben normal vorgegeben wurde, war mein Bruder wirklich derjenige, der mich auch mal rausgeholt hat und der eben im Zug seines Freundeskreises mich mitgenommen hat und wir dann so verrückte Sachen gemacht haben, wie wir gemeinsam am Fußballplatz gestanden sind, wo ich dann eben einfach der Verteidiger war, der sich dem Stürmer in den Weg gestellt hat und im besten Fall in ihn reingefahren ist, wenn er den Ball hatte. Wie gesagt, hab wegen ihm auch Tennis begonnen zu spielen, hab mit ihm eben all diese Sachen machen können, die Kinder nun mal machen wollen, und zwar Spielen und Spaß haben. Ich glaub, dass sozusagen mein Bruder da einfach für mich die wichtigste Person war, um meinen jetzigen Platz im Leben zu finden.

Spielt ihr immer noch gemeinsam Tennis?

Ja, also mein Bruder wohnt mittlerweile leider in München, deswegen seh ich ihn nicht mehr so oft. Er hat auch nicht unbedingt das gleiche Trainingspensum wie ich im Tennissport, weil der hat sein Leben anderen Sachen gewidmet. Ich spiele aber trotzdem auch sehr, sehr gerne miteinander, allerdings muss ich sagen, leider zu selten.

Was würdest du gerne deinem jüngeren Ich sagen wollen?

Das ist natürlich eine schöne Frage, auf die man eigentlich eine sehr schöne Antwort auch parat haben sollte, die ich aber nicht habe. Deswegen lass mich ganz kurz nachdenken. Natürlich einerseits auf die ganze Thematik wieder gehen können und auch auf das, was eben damit zusammenhängt war ja eigentlich, dass ich das Gefühl hatte, dass ich so, wie ich gerade bin und zwar ein Mensch mit Behinderung, ich nicht okay bin. Weil mir ja immer wieder gesagt wird: Hey, dein Ziel muss es sein, dich zu ändern, dein Ziel muss es sein, wieder aufstehen zu können. Und deswegen glaube ich, ist das Wichtigste, was ich dem kleinen Nico gerne sagen würde, dass er okay ist so wie er ist und dass er gut ist so wie er ist und dass er auch glücklich sein kann so wie er ist und liebenswert sein kann. Und ich glaube, das ist das, was ich ihm sagen werde.

In deinem Buch beschreibst du ja auch vieles, was man auch unter dem Wort Ableismus zusammenfassen kann. Aber wir werden das ein bisschen zerlegen, zum Beispiel, dass es am Anfang gar nicht so leicht war, eine Tennishalle zu bekommen, weil dann der Vorwurf kam, du würdest mit dem Rollstuhl den Tennisplatz kaputt machen. Ist dir das schon gelungen inzwischen?

Ich probiere jeden Tag, arbeite sehr hart daran, aber ich habe es bis jetzt noch nicht geschafft, einen Tennisplatz zu ruinieren Ja, ich habe prinzipiell sicher auch die Erfahrung gemacht in meinem Aufwachsen, dass man ja als Mensch mit Behinderung, dass da oft nicht die Initiative da ist, , nicht einmal diesen Extra-Aufwand sondern irgendeine Art von Aufwand zu machen, dass man integriert wird. Also es war ganz schwierig eben, einen Platz zu finden, wo ich spielen durfte. Es war auch so, dass ich in der Volksschule, weil ich unbedingt in die gleiche Schule gehen wollte wie mein älterer Bruder, auch dort wurde ich sozusagen ursprünglich angenommen. Wie sich dann aber genug „normale Kinder“ angemeldet hatten, hat es dann trotzdem plötzlich geheißen: Hey, Nico, such dir eine neue Schule, wir haben jetzt deinen Platz mit einem nicht behinderten Kind aufgefüllt. Und das sind dann schon einige Momente gewesen einfach im Aufwachsen mit Behinderung, wo man gemerkt hat: Hey, nur weil ich von A nach B rolle oder nur weil ich halt eine andere Art und Weise habe, mein Leben zu meistern, werde ich da oft so ausgegrenzt. Und das ist sicher etwas, wo jeder Mensch mit Behinderung seine Erfahrungen sammelt.

Das Lustige ist ja, du beschreibst diese Direktorin im Buch als Dolores Umbridge, weil was ihr zwei auch gemeinsam habt: Ihr mögt Harry Potter.

Oh, ist Harry Potter noch in? Das freut mich sehr.

Wen hättest du gerne gehabt als Lehrer von Hogwarts?

Natürlich ist Dumbledore die sehr offensichtliche Wahl, aber ich fand auch Professor McGonagall immer cool. Snape ist natürlich der tragische Held der Geschichte und wenn man die ganze Geschichte kennt, ist er natürlich eigentlich die coolste Person von der ganzen Geschichte. Aber ich würd sagen, dass Mad-Eye Moody auch cool gewesen wäre, auch wenn er im vierten Teil natürlich nicht wirklich er der Lehrer war, sondern ein anderer, aber trotzdem cool.

Und bei dir, Lara?
Also eh McGonagall oder halt eh Dumbledore auch. Eh diese Dreiergruppe Dumbledore, McGonagall oder Snape, die bilden eine gute Lehrergruppe.

Da kann man nur cool werden.

Welcher Zaubersprache hätte euch am besten getaugt oder welche Fähigkeit?

Leviosa oder wie geht der Spruch?

Wingardium leviosa? Ja voll, das ist was Harmloses, weil alles andere ist so brutal.

Außer das Fliegen, also das Fliegen find ich schon cool.

Stimmt, voll. Aber das Wingardium Leviosa lässt ja Sachen fliegen. Vielleicht kann man sich gegenseitig einfach fliegen lassen.

Wo die Hermione den Ron ja so ausbessert.

Genau.

Und Lieblingsfiguren, wenn wir das einfach abschließen?

Boah, das ist schwierig.

Ich hab vor allem die Bücher wirklich gefressen, hab jedes Buch wirklich 6 bis 7 mal gelesen. Meine Eltern haben sich schon Sorgen gemacht, weil ich nur diese Bücher lese. Und ich war immer verliebt in Ginny Weasley.

Also eh ein süßes Paar: Ginny Weasley und Harry Potter.
Ja, aber ich finde in den Filmen haben sie nicht so die Chemie gehabt, sie hatten halt wenig Zeit auch auf dem Screen.

Die kamen ja dann eher so am Schluss so zusammen.

Ja genau.

Ich bin ja ein Fan von der Luna, die ist auch super cool.

Ich hab unseren Hund nach Luna Lovegood benannt.

Echt, den ganzen Namen?

Naa, sie heißt einfach Luna. Ich weiß nicht, haben Hunde Nachnamen? Ich weiß es nicht.

Wir waren vorhin auch gerade bei diesen Vorstellungen, die Menschen ohne Behinderung über Menschen mit Behinderung haben. Eine Szene, die mir sich auch eingebrannt hat aus deinem Buch war: Du warst unterwegs einen Hügel hinauf, ich glaube, mit deiner Freundin. Und dir haben dann Leute zugerufen: Hopp, Hopp, Hopp! Wieso ist das so, deiner Meinung nach? Ist das einfach, weil es zu wenig Berührungspunkte gibt? Oder wie kommen solche teilweise im Nachhinein eh lustigen, aber absurden Situationen zusammen?

Ja, also du hast es schon ein bisschen vorweggenommen. Natürlich einerseits gibt es wenig Berührungspunkte. Und andererseits weil es, glaube ich, so wenig Berührungspunkte gibt, ist es dann oft so, dass sich Menschen vielleicht bemüßigt fühlen, dieses Anderssein von mir zu betonen. Und sei es dann auch nur durch etwas Positives. Also meine Freundin kommt eigentlich aus Tirol und ist sozusagen eine Berggams und geht eben gerne Spazieren und vor allem auch Wandern in den Bergen. Ich habe am Anfang gedacht, dass sie sich den schlechtesten möglichen Freund dazu ausgewählt hat, weil die großen Wandertouren können wir nicht machen, dachte ich. Wir haben dann trotzdem irgendwie Wege gefunden, wo man eben über Forststraßen trotzdem cool auf den Berg raufkommt. Und das ist halt, glaube ich, vor allem dort nicht der gewöhnlichste Anblick, wenn dann halt der Rollstuhlfahrer sich komplett abplagt, um da irgendwie an den Hügel raufzukommen. Und da fühlen sich dann Leute einfach bemüht, das zu kommentieren. Und es ist dann wirklich so, jede einzelne Person der wir begegnen und die uns sozusagen entgegenkommt, ist es entweder ein Daumen hoch oder sozusagen großartig, was nett und cool gemeint ist und ich bin ja auch dann sehr dankbar. Aber wenn halt dann auf einen Zeitraum von 2 Stunden jede einzelne Person einfach nochmal betonen muss, du bist behindert und bist trotzdem da, dann denke ich mir irgendwann, es könnte auch einfach normal und selbstverständlich sein und bitte lasst mich auch einfach in Ruhe!

Solche Situationen hast du auch erlebt?

Mitunter. Wobei ich schon auch an Szenen in deinem Buch denke, wo dir jemand Geld zusteckte oder dergleichen mehr. Das heißt, das Ganze hat nicht immer nur eine lustige oder motivierende Dimension, sondern kann mitunter auch andere Gefühle wecken. Ich weiß nicht, welche das bei dir sind, würd mich interessieren.

Als Kind, muss ich ehrlich sagen, hab ich mich darüber gefreut, weil ich es nicht verstanden hab und hab mir einfach Süßigkeiten gekauft. Aber jetzt in der Retrospektiv ist es natürlich das Schlimmste, was dir passieren kann, dass dir das Bild gegeben wird: Hey, du bist auf Hilfe von anderen angewiesen, hier hast du Geld! Deswegen ist es natürlich bis heute oft so, dass diverse Situationen aufkommen, wo man einfach einen Grant kriegt auch weil man doch eigentlich die Erwartung hat an die Gesellschaft, dass wir sehr viele Entwicklungen eigentlich schon durchgegangen sind und man von Leuten auch mal ausgehen kann, dass sie nicht beim Thema Inklusion auf dem Wissensstand null sind und überhaupt nichts von dieser Thematik wissen.

Apropos Wissensstand null, weil ich hab schon überlegt, wie ich die nächste Frage einleite, und du hast mir das perfekte Stichwort gegeben: Ich hab nämlich überhaupt keine Ahnung von Tennis. Und ich hab das Buch gelesen, aber ich hab immer noch keine Ahnung von Tennis. Ich würde jetzt gern wissen: Du beschreibst deinen Sport einerseits als Kopfsache, andererseits spielen aber viele andere Faktoren auch mit. Was macht in deinen Augen einen guten Tennisspieler aus? Das würd mich interessieren.

Es gehört natürlich die athletische Komponente dazu oder wie auch immer, dass eben der Körper einfach gewohnt ist, den Schläger zu halten und auf den Ball draufzuhauen. Aber auf der anderen Seite gehört eine unglaubliche Coolness im Schädel dazu, um die ich andere Leute sehr oft beneide. Natürlich dieser Wille, alles aus sich herauszuholen, aber vor allem auch die Coolness, dass man auch in brenzligen Situationen ruhig bleibt. Und das ist etwas, an dem ich jeden Tag arbeite.

Du hast auch mal beschrieben: Du denkst während du spielst darüber nach, was sich die Zuschauer, die dir zuschauen, denken, während sie dich spielen sehen. Hab ich sehr kompliziert gefunden und wollte deswegen mal nachfragen: Hast du diesen Knoten inzwischen schon gelöst?
Ich arbeite an diesem Knoten und er ist noch einiges kleiner geworden. Aber ich glaube, dass das auch wieder zu einem gewissen Grad, und das soll keine Ausrede sein, sondern nur ein Herleitungsversuch, meiner Biografie geschuldet ist. Weil ich bin 1997 geboren, 1999 hatte ich meinen Autounfall und bin Anfang der 2000er in einer Welt aufgewachsen, wo Behindertensport nicht unbedingt in den Medien vertreten war. Da gab es keine Fernsehberichte, keine Radioberichte, da gab es nichts darüber. Und plötzlich stehe ich jetzt in einer Welt, wo ich live im Fernsehen spiele. Wo Leute den ORF andrehen können und auf ORF Sport+ live ein Match von mir sehen. Und da habe ich immer noch einen Minderwertigkeitskomplex, wo ich mir denk: Was denken die dann über diese Sportart? Was denken die dann über mich? Denken die, kann man beim Rollstuhl-Tennis überhaupt zuschauen, ist das vielleicht ein zacher Sport? Warum wird das überhaupt übertragen? Ich versuche das natürlich dann bestmöglich zu verkaufen, mache mir da dann natürlich auch einen extra Druck und spiele deswegen dann vielleicht dann trotzdem drei Klassen schlechter als ich es eigentlich kann. Deswegen ja ist das eine Sache, an der ich arbeiten will und an der ich arbeiten werde und wo ich hoffentlich dann bald auch eine super Lösung dafür präsentieren kann.

Am besten vor Paris oder? Weil wir haben vorhin gerade ein bisschen drüber geredet am Anfang: Du strebst an, bei den Paralympischen Spielen in Paris anzutreten.

Genau, also diesen Sommer ist das das große Highlight für die ganze Sportwelt, für die Sommersportwelt zumindest. Dort ist das nächste große Event, wo dann trotzdem wieder eine große Aufmerksamkeit auch ist. Das merkt man schon, dass alle vier Jahre bei den Paralympischen Spielen dann diese mediale Aufmerksamkeit am Behindertensport schon sehr groß ist und ungewohnte Ausmaße annimmt. Und da muss man dann sicher auch damit umgehen lernen, aber ich habe schon zweimal es sozusagen erfahren dürfen und deswegen hoffe, ich das alle guten Dinge drei sind und ich jetzt komplett gechillt dann das ganze über die Bühne bringen werde.

Und was ist das Coolste, bei den Spielen anzutreten? Was macht am meisten Spaß oder wie ist die Atmosphäre als Sportler?

Also ich war jetzt in Rio 2016 und in Tokio während der Corona-Pandemie. Und das waren natürlich zwei diametral verschiedene Spiele, aber trotzdem zwei wunderschöne Spiele. Und ich hab‘s sowohl in Rio bei der Eröffnung im Maracanã-Stadion vor 80.000 Leuten als auch in Tokio in einem leeren Stadion, bei der Eröffnungszeremonie, jedes Mal wenn das Feuer entfacht wird, und du denkst, wie crazy es ist, dass du da dabei sein darfst. Da hab ich jedes Mal die Tränen vergossen. Und ich kann mich erinnern: In Tokio ist mein Doppelpartner zu mir gekommen, da bin ich nach der Eröffnungsfeier in das Essenszelt im Paralympischen Dorf, wo du 24 Stunden am Tag einfach Essen bekommst, bin ich dort gesessen und hab mir Sushi geholt und hab einfach begonnen zu weinen. Und er ist dann zu mir und hat gefragt, ob eh alles okay ist oder ob in der Familie irgendwas vorgefallen ist. Und ich hab einfach schluchzend gesagt, es ist so schön. Und er hat mir dann auf die Schulter geklopft und hat gemeint, wenigstens ist nicht nur er so nah am Wasser gebaut.
Der Platz, den du jetzt grad einnimmst, ist dir ja durchaus vertraut. Deswegen würde mich noch interessieren: Gibt es Fragen von Journalisten, die dich wirklich nerven, wo du fast an die Decke gehst? Oder bist du da mittlerweile gelassener?

Gute Frage. Also ich glaub, die Frage, die ich am unauthentischsten beantworte jedes mal, ist einfach die: Was ist dir passiert, warum sitzt du im Rollstuhl? Weil ich einfach in meinem Hirn diese Tonspur einschalte, die ich jedes mal einfach erzähle. Und wo ich mir auch denke, dass genau solche Sachen eigentlich nicht mehr großer Platz bei dem Interview sein sollten. Weil erstens: google es! Zweitens will ich nicht, dass das das ist, was mich ausmacht. Und drittens und das ist ein neuer Aspekt, auf den mich vor kurzem eine Tennisspieler-Kollegin gebracht hab, dass solche Schilderungen von Unfällen ja auch eigentlich ein Trigger sein könnten für Leute, die vielleicht noch dramatischeer Erfahrungen mit ähnlichen Sachen gemacht haben. Diese Frage, die ist mir nicht unglaublich recht.

Ich wollte fragen: Hast du eine gute Freundschaft zu Dominic Thiem?

Ja, also ich durfte über drei Jahre lang in der Akademie von seinem Papa trainieren, also vom Wolfgang Thiem. Ich war sozusagen auf eine sehr coole Art und Weise eingebunden, weil du dort keine anderen Menschen mit Behinderung hattest. Es war sozusagen Österreichs Tennis-Elite, eben Dominic Thiem, Sebastian Ofner, Lukas Miedler, die waren da alle sozusagen am Trainieren. Und ich war eben der Rollstuhlfahrer, der dort mittrainiert. Fand ich auch ein sehr cooles und unaufgeregtes Beispiel der Inklusion, weil wir haben das nicht an die große Glocke gehängt. Das war halt so: Okay, das ist halt Tennis, und Nico, du musst genau die gleiche Leistung bringen. Und wenn ich den Ball ins Netz gespielt hab wurde ich genauso angeschrien. Also das war eine coole Art und Weise Freestyle- Inklusion. Da habe ich natürlich den Dominic auch kennengelernt oder näher kennengelernt und bin sozusagen davor natürlich ein großer Fan gewesen. Und jetzt umso mehr, weil uns auch eine coole Freundschaft verbindet und wir uns da auch gegenseitig dann natürlich in unseren Tenniskarrieren … Dass er eher mir helfen kann als ich ihm, aber dass dann schon cool ist, wenn man auf so einem Niveau austauschen kann.

In den Osterferien war ich auf Mallorca und habe auch noch die Akademie von Rafa Nadal besucht. Das zweite Mal. Und mein Traum ist es halt, aber das kann man halt nicht so leicht verwirklichen, weil es halt sehr teuer ist, dort zu spielen, aber halt dort zu spielen. Und ich sehe halt immer so nur Kinder, die halt im Normalzustand sind und immer so spielen. Wie wäre es halt jetzt. wenn ich als einzige Kleinwüchsige Rollstuhlfahrer oder sowas ähnliches dort sehen würde. Und was würden Sie halt machen, weil es ja blöd ist, wenn du heute das einzige Mädchen bist mit einer Einschränkung, halt dort zu spielen. Was würde sozusagen der kleine Nico dazu denken?

Ja ich glaub, dass es eine ganz, ganz große Portion Mut braucht, um für sich selbst auch da einzustehen und zu sagen: Hey, egal welche Form oder welche Art und Weise mein Körper vielleicht anders ist im Vergleich zu anderen, ich will jetzt trotzdem dabei sein. Und ich glaub, dass sozusagen das irgendwie so in der Verantwortung von der Gesellschaft ist, um einem das angenehmer zu gestalten. Aber ich befürchte, dass wir so ein bisschen für uns selber einstehen müssen und sagen: Hey, es ist ja wurscht, ich bin jetzt da am Platz und ich werde genauso Gas geben und genauso viel Spaß haben. Und lustigerweise gibt es nächste Woche in der Rafael-Nadal-Akademie ein Rollstuhltennisturnier. Und wenn das schon möglich ist, dann werden andere Sachen auch möglich sein.

Du hast den Mut angesprochen. Ich habe aufmerksam gelesen. Und das Kapitel über Sexualität, Beziehung und auch die intimeren Dinge des Lebens, ohne jetzt zu spoilern, war doch ein Kapitel, wo ich mir gedacht hab: mutig! War das von Anfang an so geplant oder wie kam es denn dazu?

Das war von Anfang an so geplant, aber ich hab von Anfang an bzw. auch bis zum Ende nicht begriffen, wie öffentlich das dann alles sein wird. Hab ich nie in meinem Hinterkopf gehabt: Meine Oma kann das auch lesen. Das war erst bei der Veröffentlichung und da war es schon zu spät, deswegen war es weniger mutig als einfach naiv. Aber ich bin eigentlich dann trotzdem jetzt sehr stolz drauf und habe auch die Rückmeldung bekommen von Menschen, die das Buch gelesen haben, dass genau diese ungeschönte Offenheit da ein bisschen dem Buch den Charakter gibt.

Interessehalber: Hat's die Oma gelesen oder nicht?

Ja voll, aber sie hat mich nicht drauf eingesprochen.

„Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen“, so heißt ja deine Biografie. Was sind eigentlich deine Träume derzeit?

Also natürlich bin ich als Tennisspieler irgendwo verpflichtet, das ist ja auch mein Job, meinen Träumen nachzufeiern, die sind sportlicher Natur. Aber das Coole, was ich in meinem Leben erfahren durfte, ist, dass ich trotzdem auch Projekte mit meiner Karriere, ich würde gar nicht sagen neben der Karriere, sondern mit meiner Karriere realisieren darf. Zum einen habe ich einen gemeinnützigen Verein gegründet, die Nico Langmann Foundation. Die gibt es jetzt seit zwei Jahren und da kaufen wir Sportrollstühle für Kinder, die sich das nicht leisten können. Weil es einfach unglaublich teuer ist, mit Behinderung Sport auszuüben, weil man oft Hilfsmittel braucht und die nicht übernommen werden. Und da bin ich sehr froh und stolz darauf, dass wir da einigen Menschen schon helfen konnten, viele Projekte realisieren konnten. Deswegen ist da ein großer Traum, das weiter und größer zu machen. Und auf der anderen Seite bin ich sehr froh, zum Beispiel mit dem Buch, dass es auch so gut läuft, wenn ich jetzt so ungeniert sein darf. Weil eben die Buchverkäufe, der Erlös, den ich bekommen würde, fließt auch in die Foundation. Also ich verdiene mit dem Buch gar nichts, deswegen bewerbe ich es so schamlos. Ja, das sind sozusagen lauter coole Projekte, die ich neben meiner aktiven Karriere als Tennisspieler irgendwie angehen darf. Und ich glaube, dass uns da noch einige coole Sachen einfallen werden.

Macht man sich als Sportler Gedanken, was wird nachher sein? Also könnte es sein, dass du vielleicht nachher Trainer wirst oder so etwas?

Oh, das hoffe ich nicht, ganz ehrlich. Ja, sicher mache ich mir viele Gedanken. Aber das, was ich gerade angesprochen habe, ist etwas Langfristiges auch. Also zum Beispiel will ich auch die Nico Langmann Foundation nach meiner Karriere noch weiter wachsen lassen. Und ich glaube, dass daraus auch viele Sachen entstehen können. Ich sehe mich selbst in meiner unbescheidenen Meinung auch in einer gewissen Form von Vertreterrolle für Menschen mit Behinderungen, versuche das zumindest so gut wie möglich zu erfüllen, und will das auch nicht aufhören, wenn ich mit Tennis aufgehört habe. Also ich glaube, dass ich mich eher in dieser Richtung sehe. Mehr als Aktivist als als Tennistrainer. Nichts gegen Tennistrainer, ich liebe meinen Coach.

Das wird ihn freuen zu hören, oder?

Ich weiß nicht, ja, ich weiß nicht, ob er sich’s anhört.

Hast du Vorbilder? Du bist sicherlich schon Vorbild für einige geworden.

Das ehrt mich, wenn das Leute zu mir sagen. Ich fühl mich noch einiges zu jung, um ein Vorbild zu sein. Aber tennismäßig gibt es natürlich viele Vorbilder. Da finde ich Dominic Thiem ein großes Vorbild. Als Kind habe ich auf irgendeine Art und Weise Andre Agassi immer cool gefunden. Auch wenn ich eigentlich zu jung bin, um seine aktiven Zeiten wirklich miterleben zu können. Aber ich versuche trotzdem oder ich habe in meinem Leben immer so ein bisschen meinen eigenen Weg aufbauen müssen. Weil es wirkliche Vorbilder im Bereich des Behindertensports nicht so lange gab. Ich glaube, Thomas Geierspichler ist sein Name, den man als allererstes als professioneller Behindertensportler in Österreich wahrgenommen hat. Das war sicher auch ein großer Vorreiter. Und deswegen versuche ich dann in meiner kleinen Rolle als Rollstuhltennis-Spieler ein Vorreiter zu sein für die nächste Generation.

Das Gespräch mit Nico Langmann führten Lara Egger, Christoph Diernbacher und Sandra Knopp. Nico Langmanns Biografie mit dem Titel „Wie man einen Traum aufgibt, um ein Leben zu gewinnen“ ist im Jänner 2023 im Brandstätter Verlag erschienen. Das Gespräch mit Nico Langmann haben wir Ende April aufgezeichnet, kurz bevor Dominik Thiem seinen bevorstehenden Rückzug aus dem Tennissport angekündigt hat. Für die Paralympics in Paris drücken wir Nico Langmann die Daumen. Das war FreakCasters für heute. Mehr zu uns und unseren Sendungen findet ihr auf freakcasters.simplecast.com. Dort stehen mehr als 70 Episoden zum Nachhören bereit. Darunter etwa ein Interview mit dem Comedian David Stockenreitner, der Behindertenanwältin Christine Steger oder mit Profischwimmer und Moderator Andreas Onea. FreakCasters ist auch Teil des Ö1 Inklusionspodcasts „Inklusion gehört gelebt“. Jeden Mittwoch erscheint eine neue Folge. Jede Folge steht samt der zugehöriger Transkription einen Monat lang zum Nachhören bereit. Den Podcast „Inklusion gehört gelebt“ findet ihr auch auf sound.orf.at in der Rubrik Gesellschaft. Sowohl FreakCasters als auch der Ö1 Inklusionspodcast sind auf allen gängigen Plattformen verfügbar. Hört doch mal rein! Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.

Das war Freak Radio für heute. Das gesamte Interview mit Nico Langmann könnt ihr auf freakcasters.simplecast.com nachhören. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.