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doublecheck | 05 12 2024
Weiter wie bisher in der Medienpolitik
Medien, die sich an keine Regeln halten, gewinnen immer mehr die Oberhand gegenüber journalistischen Medien. Demokratie wird durch Desinformation und Propaganda unterwandert. Das öffentlich-rechtliche Modell könnte ein Schlüssel sein, um diese Entwicklung zu stoppen. Aber ist es stark genug aufgestellt? Und wenn nein, tun die Regierungsverhandler alles, um das zu ändern? #doublecheck hat einen Blick hinter die Kulissen geworfen, und der ist ernüchternd.
5. Dezember 2024, 19:30
Es war eine paradoxe Intervention des Wiener Bürgermeisters. "Ich mache mir große Sorgen, dass in Zukunft bis zu 2,5 Milliarden Euro abfließen Richtung internationaler Internetgiganten. Und es geht darum, Lösungen zu finden, um wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass elektronische, aber auch Printmedien in Zukunft funktionieren", so Michael Ludwig. Mit den 2,5 Milliarden sind die Werbebuchungen gemeint, die 2024 aus Österreich an Google & Co. fließen dürften. Das ist mittlerweile deutlich mehr als die klassischen Medien bei uns mit Werbung verdienen - vor zwei Jahren hat sich das gedreht und es verschärft sich. Die kryptische Ansage von Michael Ludwig war eine Botschaft an die Koalitionsverhandler der NEOS und sie lautete: Übertreibt es nicht.
Feilschen um Status quo macht nicht zukunftsfit
Für den Medienwissenschafter Matthias Karmasin, der an der Akademie der Wissenschaften und an der Uni Klagenfurt forscht, ist das, was aus den Verhandlungen bisher nach draußen dringt, ein zukunftsvergessenes Feilschen. "Was ich im Moment beobachte, ist ein Bargaining-Prozess, der den Status quo in die eine oder andere Richtung verändert, ohne überhaupt eine grundlegende Diskussion: Wohin wollen wir? Was sind die Ziele, die ich zu erreichen gedenke? Und überprüfe ich, ob ich diese Ziele erreiche?" Um das Mediensystem, Karmasin spricht gern von der "Infrastruktur der Demokratie", zukunftsfit zu machen, dafür müssten Ziele definiert werden.
Der Experte, der auch Mitglied des ORF-Publikumsrats ist, fordert nicht mehr und nicht weniger als: Tabula rasa. "Diese Ziele können zum Beispiel sein: Förderung von Wertschöpfung in Österreich, Medienförderung genauso wie Inseratenvergabe nach klaren, nachprüfbaren und definierbaren Kriterien, Förderung von qualitätsvollem, unabhängigem Journalismus, der nach professionellen Standards betrieben wird."
NEOS als Reformmotor und Gottseibeiuns
Die NEOS sehen sich als Reform-Motor in genau dieser Richtung. Mit Ex-Mediensprecher Niko Alm als einem der Verhandler, der den ORF drastisch stutzen will - "auseinandernehmen" hat Alm es vor Jahren einmal genannt - würden es die NEOS aber übertreiben, meint der "Falter"-Herausgeber und Medienkritiker Armin Thurnher. "Einerseits meinen sie es, glaube ich, gut - demokratiepolitisch. Andererseits sind sie in den Ideen gottverlassen, weil sie nämlich glauben, der Feind ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Und der Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist durchaus mehr als kritikwürdig. Ja, in vielen Dingen. Aber das Prinzip Öffentlich-Rechtlich ist sozusagen das, was die Demokratie stützt."
Wer macht Schluss mit dem Inseraten-Unwesen?
NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter, die die Verhandlungen für ihre Partei führt und vehement bestreitet, dass man dem ORF schaden wolle, will auch mit dem Inseratenunwesen der öffentlichen Hand aufräumen. Das Geld - das mit Masse an den Boulevard gehe - sollte besser in Medienförderung nach klaren Kriterien fließen. Die Stadt Wien spiele da eine unrühmliche Rolle und füttere den Boulevard verlässlich mit Inseratengeld. Dass dann ausgerechnet der dafür verantwortliche Michael Ludwig ausrücke, um den Status quo zu verteidigen, entbehre vor diesem Hintergrund nicht einer gewissen Pikanterie.
Ganz aktuell hat der Wiener Stadtrechnungshof dem Presse- und Informationsdienst PID diese Woche bescheinigt, an allen Transparenzregeln vorbei die Begründung für nicht unerhebliche Inseraten-Ausgaben einfach zu verweigern.
"Die Demokratie ist durch Medien in Gefahr"
Die Medienwelt steht Kopf und wir machen also Business as usual? Von wegen "Kein Weiter wie bisher". Armin Thurnher bringt die dramatische Lage, in der wir uns befinden, auf den Punkt: "Die Demokratie ist tatsächlich in Gefahr, und zwar durch Medien." Soziale Medien und Plattformen, die nicht Journalismus machen, sondern Desinformation und Propaganda verbreiten, sind im Vormarsch.
Das US-Magazin "The New Republic" nennt diese Kanäle die neuen Mainstream-Medien. Sie seien - bildlich - von der Größe eines Golfballs zu einem Basketball gewachsen, während die traditionellen Medien von Wasserball-Größe zu einem Volleyball geschrumpft seien. Armin Thurnher rundet das Bild für Österreich ab: "Die Entwicklung ist durchaus dramatisch und wird in Österreich nur deswegen etwas langsamer wahrgenommen, weil wir noch einen hohen Zeitungsleserinnen-Anteil haben. Und diese Leute sind alt. Das ist eine Frage von wenigen Jahrzehnten, bis das auch bei uns auf Tischtennisball-Größe schrumpft."
Öffentlich-rechtliches Bollwerk gegen toxische Medien
Wer, wenn nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann da dagegenhalten? Für Thurnher eine rhetorische Frage. "Das kann doch nur ein Medium sein, das nicht im Besitz von reichen Menschen ist, die damit machen, was sie wollen, also nicht im Besitz von Autokraten oder Despoten ist, sondern im Besitz der Öffentlichkeit. Auf Deutsch: von uns allen. Der ORF gehört uns allen und müsste dann sozusagen ein Bollwerk gegen diese Entwicklungen sein und müsste auch von allen gestützt werden. Das heißt, jeder, der den ORF reduzieren will, aus welchen Motiven auch immer - sei es aus fehlgeleiteten politischen oder aus Profitmotiven wie die Verleger - schadet der Demokratie."
Verlegern bleibt ORF im Netz ein Dorn im Auge
Stichwort Verleger: Der Verband Österreichischer Zeitungen kurz VÖZ hat gemeinsam mit der Journalisten-Gewerkschaft ein Forderungspapier mit vier Punkten an die Regierungsverhandler gerichtet, drei davon betreffen mehr Geld für die Verlage - und ein Punkt lautet: Schärfung des öffentlich-rechtlichen Online-Auftrags, sprich: Man will den ORF im Netz wieder beschneiden. Frage an VÖZ-Präsident Maximilian Dasch: Ist das vor dem Hintergrund des Drucks von außen gescheit? "Da nehmen wir nach wie vor eine kritische Position ein, weil wir digitale Abo-Modelle sehr schwer entwickeln können, wenn wir eine Wettbewerbssituation haben, die natürlich sehr stark vom Öffentlich-Rechtlichen definiert oder auch dominiert wird."
Also weiter wie bisher - obwohl viele Studien besagen, dass eine Schwächung des ORF im Netz die Zeitungen dort nicht stärkt. Matthias Karmasin zitiert eine ganz aktuelle Studie dazu. "Crowding-out findet eigentlich nicht statt. Also diese simplifizierte Vorstellung der kommunizierenden Gefäße, wenn es dem Öffentlich-Rechtlichen schlecht geht, wenn ich dem Werbung oder Online-Möglichkeiten wegnehme, dann wird es den anderen gut gehen, lässt sich zumindest über 28 europäische Länder, in denen das untersucht wurde, nicht erhärten."
Regierungswerbung: VÖZ will Qualitätsbonus
Verleger-Präsident Maximilian Dasch, er ist Geschäftsführer der "Salzburger Nachrichten", will auch die öffentlichen Inserate nicht antasten, obwohl mehrere Inseratenaffären gezeigt haben, dass dieses Thema Gift für Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit ist. Was sich Dasch wünscht, das ist eine Art Bonus für Qualitätszeitungen. "Ein klares Gebot, wo Werbung, von der öffentlichen Hand finanziert, sozusagen ausgespielt wird und dass man mit Werbebotschaften oder Werbeleistung nicht Hate Speech, Desinformation und Manipulations-Kampagnen auch noch unterstützt."
Zurück zum ORF. Den Zeitungen ist er zu dominant, "Falter"-Mitbegründer Armin Thurnher findet, der ORF müsste sein öffentlich-rechtliches Gewicht viel mehr ausspielen und die Gefahren für die Demokratie klarer benennen. "Wir reden da in dieser schönen Radiosendung #doublecheck für eine kleine Öffentlichkeit über Themen, die in Wirklichkeit das Schicksal der Demokratie bestimmen, und zwar in naher Zukunft, vielleicht sogar blitzartig. Und ich bin sicher, dass die große Mehrheit der Leute keine Ahnung davon haben."
Weißmann warnt vor dem "erhobenen Zeigefinger"
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann dazu: "Da gibt es tatsächlich eine Revolution durch die sozialen Medien. Da muss man sich dem Thema aus meiner Sicht schon nähern. Ehrlicherweise stehen wir noch ein wenig in den Kinderschuhen, wie man das macht. Was ein Problem ist, glaube ich: Wenn es darum geht, mit dem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen, das erzeugt eher Gegenreaktionen." Die Forderungen der Verleger sieht Weißmann gelassen - nach dem Gesetz sei vor dem Gesetz, spielt Weißmann auf wiederkehrende ORF-Novellen an. Seine Hand sei wie schon immer ausgestreckt, etwa für neue Kooperationen bei der Technik. Der ORF-Chef hofft auch auf eine gemeinsame Content-Plattform mit ARD, ZDF und der SRG - der Anstoß und die Einladung dazu sei von den Deutschen gekommen, der ORF mache mit.
Weißmanns Wunsch an die Regierungsverhandler: "Rahmenbedingungen zu schaffen, die für alle wichtig sind, äußert zum Beispiel einen Schulterschluss, was die Werbung betrifft, gegen die Googles und Facebooks dieser Welt durchaus einen KI-Schulterschluss. Man kann sich Dinge überlegen, die für alle Medien wichtig sind. Zum Beispiel die Auffindbarkeit von Sendern, von Apps, von Content insgesamt. Da kann man schon Rahmenbedingungen machen."
Thurnher für starkes öffentlich-rechtliches Modell
Ein zentrales Thema in den Verhandlungen um die Dreier-Koalition von ÖVP, SPÖ und NEOS ist die Reform der ORF-Gremien. Die muss jedenfalls kommen, weil der Verfassungsgerichtshof entschieden hat, dass der Einfluss der Bundesregierung auf die Beschickung von Stiftungsrat und Publikumsrat zu groß sei. Die bestehende Regelung läuft Ende März 2025 aus, um eine neue Regelung wird gerungen.
Armin Thurnher sieht hier den Schlüssel für die Zukunftsfrage. "Der öffentlich-rechtliche Gedanke hat das Problem bei uns, dass die Parteikontrolle zu stark ist und dass sich die Parteien nicht trauen, den ORF in die Eigenverantwortung zu entlassen bzw. ihn so zu organisieren, dass es eine politische Kontrolle gibt und vielleicht auch sogar gewisse Teile des Stiftungsrates politisch besetzt werden. Das kann man alles diskutieren, aber dass trotzdem nicht dieses direkte Eingreifen von Parteien da ist, es dazu führt, dass dann das Führungspersonal einfach von Partei Günstlingen besetzt wird, ob rot, schwarz oder eines Tages blau."
Für NEOS ist die Gremienreform eine rote Linie
Parteien raus aus den ORF-Gremien, das fordert auch der ORF-Redaktionsrat seit Jahr und Tag, man ist aber immer auf taube Ohren gestoßen. Die NEOS wollen dem Vernehmen nach jetzt eine Gremienreform durchsetzen, die diesen Namen verdient. Eine echte rote Linie soll das sein, die am Ende möglicherweise von den Parteichefs entschieden werden muss.
Die SPÖ und noch mehr die ÖVP - die mit ihrem Freundeskreis über die Mehrheit im Stiftungsrat verfügt - sind da zurückhaltender. Es sind gut eingespielte Abläufe, den Stiftungsrat gibt es in der Form jetzt seit gut zwanzig Jahren, das will man sich nicht wegreformieren. Man ist unter sich. Und das so sehr, dass man nicht einmal erkennt, was für ein verheerendes Bild das abgibt, wenn SPÖ und ÖVP jeweils ORF-Stiftungsräte in den Reihen ihrer Parteien-Verhandlungsteams haben.