Dörte Lyssewski

JIM RAKETE

Schauspielerin des Jahres

Dörte Lyssewski - Meisterin der Präzision

Die Burgschauspielerin Dörte Lyssewski war im Jahr 2024 gleich in vier Hörspielproduktionen zu erleben. Neben der Monika-Helfer-Trilogie zu Weihnachten wirkte sie bereits im Februar 2024 in Thomas Bernhards "Am Ziel" mit.

Dörte Lyssewski kommt mit dem Bus zum ORF-Zentrum. In der einen Hand eine Decke, in der anderen eine Lampe: „Weil die Beleuchtung bei euch erfahrungsgemäß nicht die Beste ist. Und warm habe ich es auch gern.“ Es ist der erste von drei Aufnahmetagen für eine Produktion, die mir sehr am Herzen liegt: Monika Helfers autobiografische Trilogie „Die Bagage“, „Vati“ und „Löwenherz“. Mit diesen drei Bänden hat sich die Schriftstellerin aus Vorarlberg endgültig in die Herzen ihres Publikums geschrieben.

Dörte Lyssewski als Monika Helfer

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Im ersten Teil erzählt sie von ihrer Großmutter Maria Moosbrugger, die im hintersten Tal in Vorarlberg gelebt hat - gemeinsam mit ihrem Mann Josef, vielen Kindern und wenigen Tieren. Die Familie war arm, wurde die Bagage genannt. Das Stück spielt Anfang des Ersten Weltkriegs. Im zweiten Teil beschreibt Monika Helfer die Beziehung zu ihrem Bücher liebenden Vater, der von den Kindern „Vati“ genannte werden wollte, im dritten Teil jene zu ihrem Bruder Richard, der sich mit 30 Jahren das Leben nahm.

Ich wusste schnell, dass Dörte Lyssewski die Rolle der Erzählerin, also jene von Monika Helfer, sprechen könnte. Sie sagte zu, stante pede - ohne die Hörspielmanuskripte gelesen zu haben. Denn auch sie kannte und liebte die Bücher von Monika Helfer. Ich durfte diese bearbeiten, alle Rollen besetzen und die aufgenommenen Stimmen dann mit Geräuschen und Musik verweben.

Am ersten Aufnahmetag nehmen Dörte Lyssewski und ich nebeneinander im Studio Platz. Der Toningenieur stellt ihre Stimme ein, richtet das Mikrofon, wir sprechen einige Worte, nicht zu viel, alle Energie soll in die Aufnahmen fließen, Ablenkung ist nicht gut. Dörte Lyssewski weiß, was sie tut und was sie braucht. Die Decke liegt um ihre Knie, die Lampe beleuchtet das Manuskript, das Glas Wasser steht rechts davon, noch einige Worte zur Probe und dann beginnt das, was ich auch nach 17 Jahren Hörspielregie als magische Momente bezeichne, weil ich zugleich Furcht, Respekt und Zuneigung zu ihnen empfinde: Die ersten Sätze fließen. Sie lauten: „Hier, nimm die Stifte, male ein kleines Haus, einen Bach ein Stück unterhalb des Hauses, einen Brunnen, aber male keine Sonne, das Haus liegt nämlich im Schatten!“

Was sich leicht liest, erfordert viel: Klarheit, Handwerk, Wärme, Hingabe. Und die hat Dörte Lyssewski.

Sie ist nicht nur eine Meisterin der Präzision - bei der jedes t am Ende eines Satzes hörbar wird, aber nicht schnalzt und jedes s zum Verständnis beiträgt, aber nicht zu scharf ist -, sie verschreibt sich auch mit ihrem Wesen dem Werk, sie schenkt sich. Und das wird hörbar, mit jedem Buchstaben. Denn das Mikrofon und der Gehörsinn verzeihen nichts. Jede kleinste Entrückung wird spürbar - jede Nuance, jede Vibration.

Dörte Lyssewski hat in zahlreichen Hörspielproduktionen mitgewirkt, um nur drei zu nennen: In dem Stück „Geh dicht, dichtig“, einem fiktiven Dialog zwischen der Dichterin Elfriede Gerstl und der Autorin Ruth Johanna Benrath, spielt sie Ruth Johanna Benrath. Das Hörspiel wurde von der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum "Hörspiel des Jahres 2019" gekürt. In Thomas Bernhards „Am Ziel“ spielt sie die Mutter, in dem Stück „Memory Garden“, nach Motiven aus dem Werk von Ilse Helbich, verleiht sie Ilse Helbich ihre Stimme. Das Hörspiel aus dem Jahr 2020 wurde in der Kategorie „Binaurale Produktion“ mit dem Grand Prix Nova in Gold ausgezeichnet.

In all ihren Hörspielarbeiten tut Dörte Lyssewski das, was in großen Lettern im Max Reinhardt Seminar steht: „Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung.“ Sie zeigt sich und ist dabei stets ihre stärkste Kritikerin. Wenn sie sich verhaspelt, landet ihre Faust leise auf dem Tisch. Wenn sie denkt, falsch betont zu haben, kommt sofort der Satz: „Nein, ich mache es noch mal.“ Wenn sie überzeugt ist, dann verhandelt sie ungern. Es ist ein schönes Arbeiten, weil auch die Reibung möglich ist.

Nach drei Aufnahmetagen verabschieden wir uns, wir stehen in der Sonne vor dem ORF-Zentrum. Jetzt wäre Raum für mehr Worte, für Privates - aber man ist noch so in der Welt, die Monika Helfer beschrieben hat. Und man kann und möchte sich kaum lösen von ihr, weil Dörte Lyssewski sie derart grandios vermittelt hat, dass man gern noch lang in ihr verweilt.

Gestaltung

  • Elisabeth Weilenmann