Roy Haynes

EPA/PICTUREDESK/JAZZ EN LA COSTA

Spielräume - Nachtausgabe

Der Jahrhundertschlagzeuger: Roy Haynes

Am 13. März 2025 hätte Jazzschlagzeug-Legende Roy Haynes seinen 100. Geburtstag.

Am 2. August 2010 gastiert der Pianist Chick Corea zusammen mit dem Saxofonisten Kenny Garrett und dem Bassisten Christian McBride bei dem Jazzfestival im französischen Marciac. Am Schlagzeug sitzt der damals 85-jährige Roy Owen Haynes. Der Altersunterschied zwischen Haynes, dem ältesten Musiker auf der Bühne, und McBride, dem jüngsten, beträgt 46 Jahre. Sehen oder gar hören lässt sich, die Performance und das Energielevel betreffend, diese Differenz nicht.

Als dritte Nummer des Konzerts wird Steps gespielt von dem epochalen Chick-Corea-Album „Now He Sings, Now He Sobs“ aus dem Jahr 1968, auf dem Haynes ebenfalls die Trommeln gerührt hat. McBride eröffnet a cappella, die Band spielt das Thema, dann folgt ein großartiges Klaviersolo von Corea über diesen Blues in Moll. Kenny Garrett legt auf seinem Altsaxofon noch das berühmte Schäuferl nach, eine weitere Steigerung scheint nicht möglich.

Minutenlanger Applaus von Kollegen und Publikum

Bis Roy Haynes zu seinem Schlagzeugsolo ansetzt. Seine Musikerkollegen haben zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre in vielen Konstellationen auf höchstem musikalischen Niveau agiert. Dennoch können weder die Personen auf der Bühne noch das Publikum fassen, was der tatsächlich nur auf dem Papier alte Mann hier veranstaltet. Am Ende seines Solos versammeln sich Corea, Garrett und McBride rund um das Schlagzeugset und beklatschen zusammen mit dem Auditorium minutenlang das Solo von Haynes. Dieses herzerwärmende Ton- und Bilddokument ist auf dem Videoportal YouTube zu finden.

„Snap Crackle“

Roy Haynes wird am 13. März 1925 in Boston geboren. Er hat den Jazz ab 1945 entscheidend mitgeprägt und ist seit der Bebop-Revolution durch Altsaxofonist Charlie Parker und Trompeter Dizzy Gillespie einer der herausragenden Taktgeber des Jazz. Mit beiden spielt Haynes als 20-Jähriger, aber auch mit dem Trompeter Miles Davis, dem Pianisten Thelonious Monk, der Sängerin Sarah Vaughan, dem Gitarristen Pat Metheny, eigentlich praktisch allen Größen des Jazz.

„Snap Crackle“ ist sein Spitzname, der sich auf seinen charakteristischen Klang auf der sogenannten Snare Drum bezog, der Trommel mit Schnarrsaiten am Resonanzfell. (Die Snare Drum ist Nachfolger der Marschtrommel im Schlagzeugset.) Ob Swing, Bebop, Fusion oder Avantgarde: Haynes, der übrigens 1960 im Magazin Esquire auf einer Liste der bestangezogenen Männer neben Fred Astaire und Miles Davis angeführt wird, spielt immer den perfekten Rhythmus. Mit seinem komplexen, aber frei fließenden Schlagzeugspiel in diesem Trio wird Haynes zu einer Inspirationsquelle für unzählige nachfolgende Drummer.

Ein Jahrhundertmusiker

Nicht zuletzt in seiner eigenen Familie: Sein Sohn Craig wird ebenfalls Schlagzeuger, und sein Enkel Marcus Gilmore ist einer der herausragenden Drummer seiner Generation. Zeitlebens ist Roy Haynes an den neuen Sounds des Jazz interessiert, in seinem Spiel ist aber immer die tiefe Verwurzelung in der afroamerikanischen Musiktradition spürbar.

Mit hipper Kleidung und einem kantig-verwegenen Lächeln, so kann man den Schlagzeuger noch als Neunzigjährigen auf der Bühne erleben. 2008 übernimmt er eine Sprechrolle in dem Videospiel Grand Theft Auto IV als Moderator eines Radiosenders, dessen Motto augenzwinkernd lautet: "Jazz aus einer Zeit, bevor er zur Fahrstuhlmusik wurde“. Einer der wichtigsten Drummer der Jazzgeschichte ist zweifellos ein Jahrhundertmusiker. Im realen Leben ist es sich dann doch nicht ganz ausgegangen. Am 12. November 2024 ist Roy Haynes im Alter von 99 Jahren in Nassau County, New York, nach kurzer Krankheit friedlich entschlafen.