Thomas Wally

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Neue Musik auf der Couch

Unsuk Chin: Cello Concerto

Das Konzert für Cello und Orchester enthält eine der seltenen Bezugnahmen Unsuk Chins auf die musikalischen Traditionen ihrer koreanischen Heimat.

Insgesamt einer traditionellen Viersätzigkeit folgend weist das Cello Concerto von Unsuk Chin vielfache Querbezüge zwischen den einzelnen Sätzen auf. Solche Querbezüge können motivischen Charakter haben, zum Beispiel in Form einer wiederkehrenden melodischen Bewegung, aber auch satztechnischen Charakter, nämlich wenn sich etwa im Hintergrund des im Vordergrund stehenden Solocellos sukzessive ein Clusterklang entfaltet, oder auch wenn das Orchester als Begleitung einen flirrenden Klangteppich entwirft.

Oder auch in Form der Komposition mit einem Zentralton, was vor allem den ersten und den Beginn des dritten Satzes prägt. So ist der erste Satz durchzogen - wie mit einem roten Faden - durch das eingestrichene gis. Ein Ton, der oftmals am Beginn einer Phrase steht, aber auch ein Ton, in den die Musik zurückfließt. Gleich der Beginn etabliert Prinzipien, die im ersten Satz wirksam sind: Präsentiert von den beiden Harfen, dient in mehrfachem Ansetzen der Zentralton gis als Ausgangspunkt für melodische Entwicklung. Dreimal setzt das Violoncello ausgehend vom eingestrichenen gis an, beim zweiten und dritten Mal den Tonraum und die Intensität des vorhergehenden Mals überschreitend, bis sich schließlich die Musik im Nichts verläuft.

An einer bestimmten Stelle wird das gis als Zentralton nicht vom Orchester bereitgestellt, sondern vom Solocello selbst intoniert: auf der einen Saite dieses gis als durchgehenden Liegeton festhaltend, auf der benachbarten Saite dieses gis umspielend. Zweimal ist diese Idee präsent, beim zweiten Mal gesellen sich zu den Umspielungstönen natürliche Flageolett-Harmonien hinzu, welche die melodischen Umspielungstöne tonal einfärben.

"Aniri" heißt der erste Satz, und mit diesem Begriff spielt die Komponistin Unsuk Chin auf eine Tradition ihrer Heimat an, nämlich auf das koreanische sogenannte Pansori-Theater. Von einem Sänger-Akteur und einem Trommler aufgeführt, wechseln sich im Pansori-Theater gesungene Passagen mit Erzählpassagen, den sogenannten "Aniri", ab. Man kann, so die Komponistin, im Falle des ersten Satzes das immer wieder Neuansetzen des Soloparts vergleichen mit einer immer wieder ansetzenden Erzählung.

Dem ersten Satz, einem gewichtigen Kopfsatz, folgt ein knappes Scherzo. Zunächst werden zwei Ideen vorgestellt: knappe, wilde Gesten im Solocello und crescendierende Pulsationen im Schlagwerk. An einem bestimmten Punkt ergreift die Wildheit des Solocellos den gesamten Streicherapparat; rasche übereinander gelagerte Figuren prägen ab da den Satz bis zum Ende. Ein Querbezug zu anderen Sätzen entsteht in dem Moment, wo das Solocello eine weit ausgreifende Melodie intoniert, während die raschen Figuren in den Streichern eher als flirrender Untergrund denn als wildes Perpetuum Mobile wahrnehmbar sind.

Quasi als Nachhall eines Schlusses in G-Dur ist nun das eingestrichene g zu Beginn des dritten Satzes als Zentralton zu hören, allerdings nur als Einleitung des langsamen Satzes. Weite Strecken dieses Satzes sind geprägt von einer Melodik des Solocellos, welche von natürlichen Flageoletts der Streicher begleitet wird.

Während vor allem der zweite und der dritte Satz eine gewisse Geschlossenheit aufweisen, kippt im Laufe des Schlusssatzes das musikalische Geschehen. Zunächst sind wilde, dahin gefetzte, durch Generalpausen isolierte Gesten bestimmend. Dieser Zerrissenheit wird bald ein kontinuierliches, rasches Dahinhuschen des Solocellos beigesellt. Der Klangstrom des Violoncellos wird intensiver, das Abgehackte geht auch in die Gestik des Solocellos über. Diesem Allegro-Charakter steht die zu einem späteren Zeitpunkt sich entfaltende Musik gegenüber: Wieder ist eine weit geschwungene Melodie im Soloinstrument zu hören, die Begleitung durch die Streicher besteht aus wolkenartig dahinwabernden Glissandi. So ähnlich wie bei dahinziehenden Wolken sind auch hier immer wieder Gestalten wahrnehmbar, meist in Form von mikrotonal verbogenen tonal deutbaren Akkordgebilden.

Unsuk Chins Cello Concerto wurde von der BBC in Auftrag gegeben und 2009 vom BBC Scottish Symphony Orchestra unter der Leitung von Ilan Volkov mit Alban Gerhardt als Solocellist uraufgeführt. Der zweite Satz ist eine Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper und dem Seoul Philharmonic Orchestra. Die revidierte Fassung, ebenfalls mit Alban Gerhardt am Solocello, wurde 2013 unter der Leitung von Kent Nagano vom Bayerischen Staatsorchester in München erstmals aufgeführt.

Text: Thomas Wally

Übersicht