Big Bags mit Pflastersteinen

PICTUREDESK.COM/WILLFRIED GREDLER-OXENBAUER

Österreich als Herausforderung für Mediengründer

Hartes Pflaster für Start-ups

Das neue Online-Magazin "Jetzt" steht vor einer entscheidenden Woche. Bis zum 12. Juni müssen 5.000 Abonnenten gewonnen werden, um den Start zu sichern. Chefredakteurin Elisalex Henckel-Donnersmarck setzt auf innovative Formate und prominente Unterstützung, doch die Herausforderungen auf dem österreichischen Medienmarkt sind denkbar groß.

Für "Jetzt" geht es um alles oder nichts. Noch eine Woche ist Zeit, um das selbst gesteckte Ziel von 5.000 Mitgliedern zu erreichen. Und es fehlen immer noch Hunderte, die bereit sind, für seriösen Journalismus zu zahlen. Das neue Medium soll 17,90 Euro im Monat kosten. Einen Plan B gibt es nicht, wenn bis 12. Juni nicht genügend Abo-Zusagen hereinkommen, will "Jetzt" nicht starten.

Elisalex Henckel-Donnersmarck

JETZT/PHILIPP HORAK

Elisalex Henckel-Donnersmarck

Das Hoffen auf den Vertrauensvorschuss

Unterstützung zu finden für etwas, das es noch gar nicht gibt, ist schwierig. Da kann man nur auf einen riesigen Vertrauensvorschuss hoffen, räumt auch "Jetzt"-Chefredakteurin Elisalex Henckel-Donnersmarck ein. Die renommierte Journalistin hat ihren Job als Blattmacherin beim Monatsmagazin "Datum" hingeschmissen und versucht nun, eine Idee zu verkaufen. "Wir wollen uns darauf konzentrieren, wovon es unserer Meinung nach noch zu wenig gibt", sagt Henckel-Donnersmarck.

Das seien zum einen einordnende Nachrichtenformate, die auch junge Menschen erreichen. Und hintergründige, investigative Recherchen. Henckel-Donnersmarck sieht eine "unglaubliche Sehnsucht nach einem angenehmen Austausch", weshalb bei "Jetzt" der Kontakt mit den Mitgliedern großgeschrieben werden soll. Auf einer eigens entwickelten App soll man direkt mit der Redaktion debattieren können.

Investigativ-Star Grozev dockt bei "Jetzt" an

Diese Woche wurde bekannt, dass auch Investigativ-Journalist Christo Grozev an Bord ist. Grozev gilt als Putins Staatsfeind Nummer eins. Der gebürtige Bulgare hat mit seinen Recherchen schon russische Auftragskiller entlarvt und aufgedeckt, von wem Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vergiftet wurde. Für "Jetzt" will Grozev über russische Spionage-Netzwerke mitten in Österreich berichten. "Ich persönlich kann es nicht erwarten, die Geschichten-Vorschläge, die er schon gemacht hat, in die Tat umzusetzen", so Elisalex Henckel-Donnersmarck.

Großes Vorbild und strategischer Partner von "Jetzt" ist das dänische Online-Magazine "Zetland", das in den vergangenen zehn Jahren mehr als 40.000 zahlende Mitglieder für sich gewinnen konnte. Für Henckel-Donnersmarck ein Beweis, "dass das gehen kann".

Skandinavier sind stärker zahlungsbereit

Eine Erfolgsgeschichte, die sich aber nicht so einfach auf Österreich umlegen lässt. Denn im Vergleich zu Ländern wie Dänemark ist Österreich für Medien ein viel härteres Pflaster, wie Medienforscher Andy Kaltenbrunner weiß. Während in Skandinavien rund die Hälfte der Bevölkerung angibt, bereit zu sein für Journalismus und Nachrichten online zu bezahlen, sind es in Österreich je nach Erhebung bis zu 15 Prozent.

Geschuldet sei das den "Versäumnissen der Vergangenheit", so Kaltenbrunner. Die Medienpolitik unterstütze seit Jahren fast ausschließlich nur etablierte Medien. Wer Innovationen wage, werde hingegen bestraft. Die digitale Transformation sei verschlafen worden. Von den üppigen Fördermillionen haben die großen Player profitiert, Neue schauen oft durch die Finger.

Österreich, ein rückständiger Nachzügler

Österreich sei "rückständig" und im internationalen Vergleich ein "Nachzügler", sagt Kaltenbrunner, der in einer vor kurzem veröffentlichten Analyse gerade erst die Förderschienen in Dänemark, Norwegen und den Niederlanden mit jener in Österreich verglichen hat. Für die Medienvielfalt und damit schlussendlich für die Demokratie sei das fatal. Vorreiter und Vorbilder, die Schwung in die festgefahrene Medienbranche bringen, wären wichtig. "Aus der Forschung wissen wir, dass Innovation bedeutet, dass es einen Cluster, einen Schwarm an Erneuerern geben muss", so Kaltenbrunner. Je größer das Angebot, desto eher wächst auch die Nachfrage nach digitalem Bezahl-Journalismus.

Frühes Aus für "tageins" nach zwei Jahren

Wie schwierig es ist, hat Dominik Ritter-Wurnig am eigenen Leib erfahren. Das von ihm gegründete Online-Medium "tageins" hat im Mai nach rund zwei Jahren den Betrieb einstellen müssen. Es ist schlicht nicht gelungen, ausreichend Unterstützer zu finden, die für den konstruktiven Journalismus von "tageins" zahlen wollen.

800 waren es zuletzt, trotz Kampagnen, das ehrgeizige Projekt noch einmal zu retten. Das deutsche Online-Magazin "Krautreporter" sollen die Marke nun übernehmen, inklusive der bestehenden Abos. Für all jene, die das nicht wollen, soll ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt werden. Ritter-Wurnig bilanziert selbstkritisch. "Uns haben die Persönlichkeiten gefehlt, die man kennt. Uns haben die Scoops gefehlt, die die Reichweite bringen." Man sei wohl in vielen Annahmen zu optimistisch gewesen.

Das inklusive "andererseits" startet durch

Den Beweis, dass es gelingen kann, selbst als kleines österreichisches Medien-Start-up, liefert "andererseits". Das inklusive Online-Medium aus Wien hat gerade seinen fünften Geburtstag gefeiert. Im Vorjahr ging eine gemeinsame Recherche mit dem "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann on air. Und auch mit einer kritischen Dokumentation über die ORF-Spenden-Aktion "Licht ins Dunkel" hat "andererseits" aufhorchen lassen. Die Redaktion hat mehrere Preise gewonnen.

Clara Porák, Gründerin und Geschäftsführerin von "andererseits", glaubt, dass die Nische ein Teil des Erfolgs ist. "Wir versuchen nicht, die Dinge besser zu machen als die anderen, sondern wir versuchen, sie anders zu machen", sagt Porák. Zwölf Teilzeit-Angestellte mit und ohne Behinderung gibt es mittlerweile.

Vorzeigeprojekt für "Media Forward Fund"

So schwer der Start für "andererseits" war, so gut sieht es jetzt aus. Der "Media Forward Fund" unterstützt das Vorzeigeprojekt mit 400.000 Euro. Eine Chance, sich in den nächsten Jahren finanziell so aufzustellen, dass man künftig auch ohne Förderungen bestehen kann, sagt Porák. Bis Ende 2026 sollen 7.000 Abos abgeschlossen werden. Aktuell sind es 2.500.

Für alle anderen, die in Österreich Neues probieren wollen, gilt: den Kopf nicht in den Sand stecken. Dominik Ritter-Wurnig, der es mit "tageins" probiert hat, glaubt, dass es irgendwann einem neuen österreichischen Medium gelingen wird, "den Code zu knacken". Und auch Elisalex Henckel-Donnersmarck von "Jetzt" sagt: "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

Übersicht