
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Das Ö1 Popmuseum
Zwischen Mozarts Zauberflöte und Wagners Nibelungenopern vergingen 80 Jahre. Ebenso lang dauerte es von Brahms bis John Cage. Die Epochen, ob wir sie Klassik oder Neue Musik nennen, wirken unschärfer, je weiter sie zurückliegen. Was eben noch neu war und das Vorhandene und Gewohnte alt aussehen ließ, wird Teil eines trägen Kontinuums. Das gilt auch für die Popmusik, die sich dem Greisenalter mit rasendem Stillstand nähert.
23. Juni 2025, 12:06
Auch ihre Anfänge scheinen in sagenhafter Ferne zu liegen. Nimmt man die Erfindung des Rock’n’Roll als Startpunkt, diesen Zusammenfluss von Blues, Boogie, Country und Swing, der wie der Mississippi zu einem breiten Strom mit immer neuen Zuflüssen anwuchs, so hat man die frühen Fünfzigerjahre als Startpunkt: Fats Domino in New Orleans, Elvis Presley in Memphis, Chuck Berry in Chicago.
Urkonstellation der Rockmusik
Das fällt mit dem Siegeszug der E-Gitarre zusammen. Was in Jazzgruppen als Rhythmusinstrument Ensembledienste leistete, wurde nun zu einem wuchtigen, den Raum füllenden Signature-Sound. Beim Bluesmann T-Bone Walker waren die elektrisch verstärkten Soli noch von swingenden Bläsersätzen gerahmt. Spätestens mit den kompakten Besetzungen von Chuck Berry oder Buddy Holly formte sich das, was bis heute Gitarrenrock genannt wird: Lead-, Rhythmus- und Bassgitarre plus Schlagzeug.
Diese Urkonstellation, gewissermaßen die Streichquartett-Einheit der Rockmusik, blieb erstaunlich konstant und prägt seither hartnäckig neue und angeblich neue Stile, von Beat über Punk oder Grunge. Klangerfindungen wie Synthesizer, Elektrobeat oder Techno änderten wenig daran, dass in der Popmusik die heroischen Anfänge weiterhin präsent bleiben. Der markante Körper der Fender-Gitarre wurde zum Logo einer ewigen Jetztzeit und zugleich zu einem Symbol einer schon lange mit Nostalgie angereicherten Aufbruchsdynamik.
Pop ist ein Growing-up-Phänomen
Wie lange uns die „longue duréé“ der Popgeschichte erscheint, hängt vom persönlichen Erinnerungsradius ab. Eigentlich wird man ausschließlich im Teenager-Alter zum begeisterten Popfan mit generations- und zeittypischer Herzensmusik. Dieses Zeitfenster öffnet sich nur kurz, Popgenerationen wechseln einander nach nur wenigen Jahren ab. Und doch Zeit die Begeisterung für Methusalems wie die Stones, dass diese Jahrzehnte lang anhalten kann.
Pop ist ein Growing-up-Phänomen. Lange glaubte man, Popfans würden mit neuen Lebensphasen ihre Lieblingsmusik in die Spielzeuglade werfen. Heute wissen wir, dass persönliche und emotionale Initiationen ins weitere Leben mitgenommen werden, vor allem dann, wenn sie die Identitätsbildung mitprägen. Aus Jugendromantik, Gegenkultur und Distinktionszeichen wurde Kulturgut.
Entweder man wird mit der ersten Musikliebe alt und polstert den Alltag mit gut abgehangenen Oldies aus oder man entwickelt das Grundmodell weiter und bleibt aufmerksam für überraschende Variationen, Metamorphosen und genreübergreifende Erweiterungen. So oder ähnlich stellen sich Kuratoren eines Popmuseums ihr fachkundiges Publikum vor. Oder erliegen sie damit einer Illusion?
Jedenfalls triggert jeder Stilwandel und jeder aktuelle Kontext auch Erinnerungen an bereits historische Songs und Sounds. Und auch die Musik holt ihre Impulse permanent aus kreativen Rückbezügen. „Re-Make/Re-Model“ heißt ein Stück von Roxy Music ein Stück, mit dem die Gruppe um Bryan Ferry im fernen Jahr 1971 einen Schritt zurück und zwei nach vorne sprang.
Das Ö1 Popmuseum, Jeden Dienstag, 16:05 Uhr, 1. Juli bis 26. August 2024