Ö1 Gebäude, rote Sessel, ORF, Küniglberg, Enzis

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Alle Jahre wieder

Sommergespräche forever young

Im Sommer-Interview der ARD auf einer Terrasse im Berliner Regierungsviertel musste AfD-Chefin Alice Weidel gegen Schmählieder linker Demonstranten auf der gegenüberliegenden Seite der Spree ankämpfen. Die ORF-Sommergespräche hatten bisher maximal mit Tierstimmen zu kämpfen. Elefantentröten aus einem Lautsprecher machte subtil Werbung für ein Kakaogetränk, quakende Enten und blutsaugende Mücken am Set. Das ging in die Annalen des TV-Formats ein, aber die Sommergespräche sind mehr als diese Fußnoten.

Josef Seethaler von der Akademie der Wissenschaften hat das Format untersucht, er sagt: "Die Sommergespräche sind ein relativ stabiles Format, und quer über die Jahrzehnte gelingt es, einen hohen Sachthemen-Bezug mit diesem eher lockeren, persönlichen Bezug zu verbinden, ohne dass die Qualität der Diskussion leidet."

Alice Weidel beim ARD-Sommerinterview

ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel in Berlin

PICTUREDESK.COM/ACTION PRESS/BERND ELMENTHALER

Die herkömmliche Medienlogik gelte nur eingeschränkt: Typische Effekte wie Negativismus, Konflikthaftigkeit und Darstellung der Politik als Match mit Gewinnern und Verlierern - das habe man in vielen Studien nur in sehr geringem Ausmaß beobachten können. Die Politiker antworten auf die Fragen, während sie sonst eher versuchen, sie zu umschiffen.
Seethaler verleiht den Sommergesprächen sogar ein Gütesiegel: "Da wage ich von einem aufklärerischen Potenzial zu sprechen, da kann man wirklich für sich aus diesem Gespräch etwas herausholen, das einen selbst zum Nachdenken bringt und zur Bildung einer eigenen Meinung."

Ein TV-Format mit aufklärerischem Potenzial

Ein Anspruch, der vor allem auch die Interviewerinnen und Interviewer fordert. Diesmal ist es Klaus Webhofer, Chef des multimedialen ORF-Innenpolitik-Ressorts. Er will - natürlich - News machen, Spitzenpolitiker stünden für ihre Politik und müssten sich vor der Bevölkerung erklären. "Aber durch die Länge gibt es die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen und im besten Sinne aufklärerisch zu wirken. Da ist man aber letztlich von den Gästen abhängig, ob die bereit sind, sich mehr zu öffnen als sonst."

Webhofers roter Faden: die Neuaufstellung in der Innenpolitik mit der Bildung der Dreierkoalition. Fast alle Parteichefs sind in neuen Rollen, die FPÖ wäre fast zur Kanzlerpartei geworden: "Dieser Rollenwechsel ist die Klammer des Ganzen. Und wie sie die neuen Rollen jetzt ausfüllen."

Klaus Webhofer

Klaus Webhofer

ORF/KLAUS TITZER

Inhalte, Inszenierung und viel Aufmerksamkeit

Die Inhalte sind das eine, die Inszenierung ist das andere. Der ORF hat die Sommergespräche erfunden, Mitbewerber haben sie nachgemacht. Corinna Milborn, Info-Chefin von Puls24 sagt: "Sommergespräche sind die Gelegenheit, ein bisschen zurückgelehnt mit Parteichefs und Parteichefin zu sprechen und sich eine Stunde Zeit zu nehmen. Wobei in den letzten Jahren die innenpolitische Schlagzahl so hoch war, dass dieses Zurückgelehnte da eigentlich ziemlich verloren gegangen ist."

Was bleibt, ist die Aufmerksamkeit, die das Format bekommt. Susanne Schnabl hat schon zweimal die Sommergespräche moderiert. Sie sagt: "Die Aufmerksamkeit ist enorm. Also das ist dem ORF über Jahre schon gelungen. Es ist die Berichterstattung immens. Und dann das Hochamt. Alle sitzen vor dem Fernseher und schauen: Wie ist es diesmal?"

Eine gut geölte Maschinerie mit Mehrwert

Hinter den Kulissen der Sommergespräche läuft eine gut geölte Maschinerie, die der Sendungs-Verantwortliche Alexander Sattmann so beschreibt: "Wir beschäftigen uns jetzt schon seit Wochen mit den Sommergesprächen. Das ist wirklich eine gut vorbereitete Sendung, wo die ganze Redaktion daran arbeitet und recherchiert." Der entscheidende Punkt sei, was man mehr bieten könne als bei einem "normalen" Interview.

Sattmann ist auch für den neuen Sonntagabend-Talk "Das Gespräch" und für die ZIB-Talks unter der Woche zuständig, die haben gerade Pause. Der Start im ersten Halbjahr war vielversprechend, man habe die Ziele sowohl bei der Reichweite als auch bei der Relevanz erreicht, sagt er. Im Schnitt 363.000 Zuschauerinnen und 20,4 Prozent Marktanteil für "Das Gespräch" mit Susanne Schnabl, durchschnittlich 222.000 Zuschauer und 14,8 Prozent Marktanteil für den ZIB-Talk (April bis Juni).

Neue ORF-Talks mit stolzen Marktanteilen

"Damit liegen wir weit vor allen anderen österreichischen Talk-Formaten und brauchen auch den Vergleich mit deutschen Größen wie Lanz oder Miosga nicht zu scheuen. Die kommen in Deutschland auf 11 bis 15 Prozent Marktanteil", so Sendungs-Chefredakteur Johannes Bruckenberger.

Claudia Reiterer

Claudia Reiterer

ORF/HANS LEITNER

Dass "Im Zentrum" Ende des Vorjahres abgedreht wurde, hat Moderatorin Claudia Reiterer im Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" so kommentiert: "Ich habe - auch schriftlich - die Frage nach dem Grund gestellt: Ist es das Aussehen? Das Alter? Die Leistung? Oder gibt es politische Wünsche? Natürlich kann es nur um die Leistung gehen – weil die anderen drei Sachen gehen theoretisch nicht. Mir wurde vom Chefredakteur gesagt, sie müssen keinen Grund nennen."

"Im Zentrum" war am Ende des Lebenszyklus

Im #doublecheck-Interview nennt Bruckenberger den Grund sehr wohl. "Die Sendung war am Ende des Produkt-Lebenszyklus. 'Im Zentrum' war von den Zuschauerzahlen her immer noch sehr okay. Aber ich glaube, da hat es einfach neue Impulse gebraucht, weil sich der Talk-Markt in den vergangenen Jahren massiv verändert hat. Es gibt viel mehr Formate von Servus, aber auch von anderen privaten Anbietern wie Puls 24, und Podcast-Formate haben den Markt zum Teil auch verändert."

Corinna Milborn sagt, Talks seien für den Info-Sender Puls24 elementar. Stolze 1.150 Stunden haben sie im vergangenen Jahr produziert. Sendungen dieser Art sind relativ günstig herzustellen. Milborn: "Es ist aber nicht nur ein Kostenfaktor, warum wir das machen. Wir könnten auch anderes Programm reingeben. Aber wenn es darum geht zu verstehen, was an dem Tag passiert ist, gerade vom Nachrichtensender wie Puls24, dann ist ein Gespräch oft die beste Möglichkeit, um besser zu verstehen."

Corinna Milborn

Corinna Milborn

BERNHARD EDER

Puls24 hat 1.150 Stunden Talk produziert

Auf fixe Paarungen in den Talks habe man bewusst verzichtet, sagt Milborn. "Aus dem Grund, weil es uns ein bisschen zu show-mäßig vorgekommen ist für die Informationssendungen. Wenn man quasi so fixe Paarungen hat, wo es vor allem darum geht, wie sie sich in die Gosch‘n zu hauen, um es klar zu sagen."

Ein Prinzip, von dem der Sender oe24 geradezu lebt. Das Kult-Duo, in der Regel moderiert und provoziert von Gründer Wolfgang Fellner persönlich, sind dabei die Ex-Politiker Josef Cap von der SPÖ und Peter Westenthaler von der FPÖ. oe24-Chef Niki Fellner hat auf Interview-Anfragen nicht reagiert. Wer gern über seine Auftritte dort redet, ist Josef Cap.

Cap und Westenthaler singen Zarah Leander

Cap legt Wert auf die Feststellung, unterhaltsam, aber seriös zu informieren. Zum Abschiedsparteitag der ÖVP für Sebastian Kurz etwa habe man auf Sendung Zarah-Leander-Lieder angestimmt und damit auf YouTube 400.000 Klicks gehabt. Die Zeiten, als Cap in der Spitzenpolitik war und echte Spitzenquoten bei Auftritten im ORF hatte, die sind lange vorbei. Er habe dabei viel gelernt, sagt Cap.

Auch Alexander Sattmann und Susanne Schnabl lernen von Woche zu Woche, speziell was die Diskurskultur in Österreich betrifft. Er könnte massenweise Sendungen füllen mit Menschen, "die nicht kommen wollen, weil sie vielleicht gerade mit einer Person nicht reden wollen", sagt Sattmann. Da sei viel Überzeugungsarbeit erforderlich, betont Schnabl.

Bei Diskurs-Kultur ist noch viel Luft nach oben

Und das sei für das erste halbe Jahr gut gelungen. "Ich hoffe, das lässt sich so etablieren, dass da weiterhin die Bereitschaft ist, dass sich eine Ministerin halt dann mit einem Wirtschaftstreibenden hinsetzt, der eine frontale oppositionelle Meinung vertritt." Susanne Schnabl spricht die Sendung mit Sozialministerin Korinna Schumann von der SPÖ und SPAR-Aufsichtsratschef Gerhard Drexel an, eine erfrischende Mischung.

Bevor es im Herbst mit möglichst überraschenden Runden weitergeht - das ist laut Schnabl das Ziel - gehen jetzt aber die Sommergespräche über die Bühne. Promotion sei gut und wichtig, sagt Interviewer Klaus Webhofer. Aber es mache auch etwas mit einem. "Natürlich spürst du den Druck, und das hat zu einem gewissen Teil mit dem ganzen Drumherum zu tun und das ist eine große Herausforderung. Ich sehe das auch mit viel Respekt kommen. Aber inzwischen muss ich ehrlich sagen, bin jetzt schon langsam froh, wenn es losgeht."

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