Bücherstapel

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Kontext

Sachbücher und Themen

Von den Krisenherden dieser Welt über Entdeckungen der Neurowissenschaften bis zu den schönen Künsten. "Kontext" bietet Orientierungsservice im Sachbuch-Dschungel. Reportagen, Diskussionen, Rezensionen, Studiogespräche, Hintergrundberichte zu spannenden Büchern über Zeitgeschichte, Wirtschaft und Wissenschaft. Und ab und zu darf auch gelacht werden.

Frank Vorpahl: "Aufbruch im Licht der Sterne"

Der Berliner Historiker Frank Vorpahl forscht seit 25 Jahren nicht nur über Heinrich Schliemann und das Gold von Troja. Er beschäftigt sich auch seit vielen Jahren intensiv mit den beiden Weltreisenden Georg Forster und James Cook und mit ihren Südseeexpeditionen. Der Chef vom Dienst beim ZDF-Kulturmagazin "Aspekte" ist seinen Idolen über viele Jahre nachgereist, war während seiner Recherchen oft in der Südsee und kuratierte Ozeanien-Ausstellungen in Deutschland und Tonga. Er hat nun rekonstruiert, welchen Anteil die drei Polynesier Tupaia, Maheine und Mai am Erfolg der Südseeexpeditionen von James Cook hatten. Und er geht der Frage nach, weshalb die drei Polynesier in den europäischen Reiseberichten nur selten auftauchten.

Frank Vorpahl, "Aufbruch im Licht der Sterne - Wie Tupaia, Maheine und Mai Captain Cook den Weg durch die Südsee erschlossen", Galiani

Maicke Mackerodt

"Canceln"

Die Cancel Culture prägt zunehmend den Kulturbetrieb und beschränkt sich dabei längst nicht mehr auf Gegenwartskunst und Popkultur. Uminterpretierte Theaterstücke oder umgeschriebene Klassiker der Weltliteratur sind Ausdruck einer neuen Orthodoxie. Welche Wörter in Kinderbüchern getilgt werden sollten oder nicht, wird seit Beginn der 2010er Jahre mal mehr mal weniger aufgeregt diskutiert. Die Auseinandersetzung um Literatur für den Nachwuchs ist so etwas wie die Keimzelle der Cancel-Debatten. Ein Sammelband beleuchtet nun den Einzug totalitärer Denkmuster und den moralischen Absolutismus im Kulturbetrieb.

Adrian Daub, Mithu Sanyal, Daniela Strigl u.a., "Canceln - Ein notwendiger Streit", Hanser Verlag

Holger Heimann

Daniela Brodesser: "Armut"

Die Armen sitzen faul vor dem Fernseher und wollen an ihrer Situation gar nichts ändern. Auch Daniela Brodesser hat einmal so gedacht. Bis sie aufgrund zweier Erkrankungsfälle in ihrer sechsköpfigen Familie selbst zu den Armen zählte. Erst spart man alles Mögliche ein, versucht mitzuhalten mit seinem Umfeld, bis eine Reparatur oder Nachzahlung nicht mehr aufzubringen ist. Dann kommen die Beschämungserfahrungen und man zieht sich immer mehr zurück. Nimmt prekäre Jobs an, die die Armut nur verfestigen. Nur durch Glück, weil es die Gesundheit wieder zulässt, ist sie heute wieder über der Armutsgefährdungsschwelle. Auch weil sie auf Twitter als "Frau Sonnenschein" offensiv mit ihrer Armutserfahrung umgegangen ist.

Daniela Brodesser, "Armut", Kremayr & Scheriau

Studiogespräch: Wolfgang Ritschl

Flavia Guerrini: "Vom Feind ein Kind"

Wie es war, als Kind in den ersten Nachkriegsjahren aufzuwachsen, kann man aus heutiger Perspektive nur mehr schwer nachvollziehen: Wohnungen und Straßen waren zerstört; es mangelte an Nahrung und alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Hinzukamen gesellschaftliche Konventionen, die einengend und belastend sein konnten. Viele Kinder kamen unehelich auf die Welt und störten so das bürgerliche Familienideal. Unter ihnen besonders geächtet waren die rund 30.000 sogenannten "Besatzungskinder". Die Kinder alliierter Soldaten wurden als Kinder des Feindes betrachtet. Wie das den Alltag dieser Kinder geprägt hat, das hat die Sozialwissenschaftlerin Flavia Guerrini erforscht.

Flavia Guerrini, "Vom Feind ein Kind - Nachkommen alliierter Soldaten erzählen", Mandelbaum

Juliane Nagiller

Männerfaust, in der Unschärfe eine Frau

DPA/JÖRG LANGE

Susanne Kaiser: "Backlash"

Bei den Frauenmorden liegt Österreich im oberen europäischen Drittel, 28 Femizide waren es im Vorjahr. Der Frage "Was ist nur los mit Österreich?" wird dann in Diskussionsrunden nachgegangen. Was ist nur los mit manchen Männern? Wäre wohl eine bessere Fragestellung. Denn es ist ein internationaler Trend, dass Frauen, je stärker sie werden, auch umso mehr bedroht werden. Man denke nur an den US Supreme Court, der das Recht auf Abtreibung verbietet oder an die Proteste in Polen gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Dieser Backlash ist eine Reaktion auf die zunehmende Gleichberechtigung, ist die Journalistin Susanne Kaiser überzeugt. Sie recherchiert seit über zehn Jahren zu diesem Phänomen, sie hat mit Betroffenen gesprochen und analysiert das Problem gesellschaftlich, politisch und privat.

Susanne Kaiser, "Backlash - Die neue Gewalt gegen Frauen", Tropen Verlag

Wolfgang Seibel

Franziska Grillmeier: "Die Insel"

Moria war die Schande Europas. Bis zu zwanzigtausend Menschen waren in dem viel zu kleinen Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos unter katastrophalen Bedingungen zusammengedrängt. Die Behörden waren von der großen Zahl an Asylanträgen überfordert. Die leichten Zelte boten unzureichend Schutz gegen Wind und Regen. Es fehlte an Hygieneartikeln, Nahrungsmitteln und an psychologischer Hilfe für die vielen Traumatisierten. So erschütternd, so bekannt waren diese Gegebenheiten auch, als die freie Journalistin Franziska Grillmeier im Sommer 2018 eine Wohnung auf Lesbos mietete, um über Moria zu berichten.

Franziska Grillmeier, "Die Insel - Ein Bericht vom Ausnahmezustand an den Rändern Europas", C.H. Beck Verlag

Georg Renöckl

Silke Ohlmeier: "Langeweile ist politisch"

Langeweile ermüdet, laugt aus, macht antriebslos. Kaum aber jemand gibt zu, von Langeweile geplagt zu sein. Langeweile ist eines der größten Tabus unserer Zeit, findet die Soziologin Silke Ohlmeier. Sie stellt die Frage, ob das Leiden an der Langweile nicht daher kommt, dass wir sie als individuelles Problem verstehen, statt die größeren gesellschaftlichen Mechanismen dahinter zu begreifen. Langeweile hat für die Forscherin viel mit den Ungleichheitsdimensionen Klasse, Gender und Race zu tun. Kein Wunder, dass von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossene Jugendliche in den Pariser Vorstädten angeben, Langeweile sei ihr größtes Problem.

Silke Ohlmeier; 2Langeweile ist politisch - Was ein verkanntes Gefühl über unsere Gesellschaft verrät", Leykam Verlag

Studiogespräch: Wolfgang Ritschl

Wolfgang Struck: "Flaschenpost"

Beschriebene Zettel, die in Flaschen auf dem Meer treiben: Alles Mögliche kann da drauf stehen, ein Ruf nach Rettung von einer einsamen Insel, ein Liebesschwur oder ein Kochrezept. Kindern etwa bringt der Hase Felix in einem Buch charmant die Küchen der Welt nahe durch Rezepte in Flaschenposten. In der Realität kommen Botschaften nicht so einfach an den gewünschten Empfänger, denn Meeresströmungen, der Wind und andere Unbill treiben die Nachrichten vielleicht in eine gänzlich falsche Richtung. Dass das auch nützlich sein kann, zeigt ein legendäres Experiment, das den Kern des Buches „Flaschenpost“ von Wolfgang Struck ausmacht.

Wolfgang Struck, "Flaschenpost - Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment", Mare Verlag

Uli Jürgens

Demonstrant auf einer Anti-Corona-Demo, provokanter Jackenschriftzug

APA/FLORIAN WIESER

Julia Ebner: "Massenradikalisierung"

Die Politologin Julia Ebner ist eine ungewöhnliche Forscherin: Um die ebenso gefährliche wie bizarre Welt gewaltbereiter Internet-Extremisten zu erkunden, hat sich die gebürtige Wienerin unter verschiedenen Identitäten Zugang zu extremistischen Gruppen verschafft - von den rechtsextremen Identitären bis hin zu einer streng geheimen Hackertruppe des "Islamischen Staats". Die Ergebnisse ihrer Forschungen hat Julia Ebner - die seit einigen Jahren in London lebt - im Jahr 2019 in ihrem Buch "Radikalisierungsmaschinen" präsentiert. Jetzt hat die 31-Jährige im Suhrkamp-Verlag einen Folgeband über Massenradikalisierung nachgelegt.

Julia Ebner, "Massenradikalisierung - Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt", aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann, Suhrkamp

Günter Kaindlstorfer

Natascha Strobl: "Solidarität"

Energiekrise, Inflation, Pandemie, der Krieg in der Ukraine und dazu und über allem noch die Klimakrise. Die Krise ist zur Normalität geworden. Wie aber begegnen wir diesen sich überlappenden Krisen? Nicht optimal, findet die Politologin Natascha Strobl. Sie hat einen Essay über den Begriff der Solidarität verfasst, der sich als Mittel gegen Fatalismus, Zynismus und Defätismus versteht. Eine bessere Welt ist möglich, dazu will die Autorin Mut machen.

Natascha Strobl, "Solidarität", Kremayr & Scheriau

Studiogespräch: Wolfgang Ritschl

Eva Demski: "Mein anarchistisches Album"

Das rätselhafte spitze A im Kreis: An Hauswände gesprayt provoziert es Kinderfragen, was das bedeuten soll. Den Erwachsenen fällt dann meist Regellosigkeit ein und dass die schwer zu leben sei. Im Hinterkopf weiß man, dass Anarchismus weit mehr bedeutet, aber wie soll man das vermitteln? Vielleicht anhand von Geschichten. Was genau Anarchismus ist, welche Ideen dahinterstecken, wer sie hatte und wer sie wann wie umsetzte –die deutsche Schriftstellerin Eva Demski hat dies recherchiert und ein persönliches Album zusammengestellt, das die spannende Geschichte des Anarchismus durchstreift.

Eva Demski, "Mein anarchistisches Album - Eine persönliche Erkundung der Geschichte des Anarchismus", Insel Verlag

Anna Masoner

Eine Computertastatur

AFP

Jamie Susskind: "Digital Republic"

Algorithmen definieren, wer einen Kredit bekommt, welche Waren uns angeboten werden und wessen Bewerbung Erfolg hat. Die Menschen, die die dafür nötigen Codes schreiben, stellen zunehmend die Regeln für alle auf. Softwareentwickler sind aufgestiegen zu Gesellschaftsentwicklern. Was keine gute Sache ist, denn, so der Politologe Jamie Susskind, die gigantische Macht der Tech-Unternehmen ist eine kaum zu unterschätzende Gefahr für unsere Demokratie. Jamie Susskind plädiert er für neue Gesetze.

Jamie Susskind, "Digital Republic - Warum unsere neue Welt eine neue Ordnung braucht", übersetzt von Heike Schlatterer und Sigrid Schmid, Hoffmann und Campe

Madeleine Amberger

Maria Pettersson: Frauen, die Regeln brachen

Im Englischen gibt es den treffenden Kunstbegriff der "herstory" - er soll darauf aufmerksam machen, dass in der offiziellen Geschichtsschreibung, der "history", Frauen nach wie vor zu wenig Platz eingeräumt wird. Nicht umsonst erscheinen in regelmäßigen Abständen Bücher über Frauen, die vergessene Pionierleistungen hervorheben. Genau das tut auch die Journalistin Maria Pettersson: Die geschichtsbegeisterte Finnin hat außergewöhnliche Frauen aus Wissenschaft und Sport, Kunst und Politik dem Vergessen entrissen.

Maria Pettersson, "Anführerinnen, Agentinnen, Aktivistinnen - Außergewöhnliche Frauen, die Regeln brachen", übersetzt von Maximilian Murmann, Knaur

Marlene Nowotny

Hausbichler/Maan: "Geradegerückt"

Stellen wir uns vor, was gewesen wäre, wenn es sich bei Paris Hilton um einen männlichen jungen Hotelerben gehandelt hätte: Wäre seine Feierei als "Herumludern" betitelt worden? Wäre ihm ständig zwischen die Beine fotografiert worden? Eine junge Frau, die feiert, verdient jede noch so erdenkliche Respektlosigkeit, diese Lehre könnte man den Medien entnehmen. Aus Medienberichten über Camilla Parker-Bowles lernen wir: So sollte eine Frau nicht aussehen, so sollte sie sich nicht verhalten, so sollte sie nicht sein, wenn sie nicht beleidigt werden will. Immer wieder werden Frauen vorverurteilt, skandalisiert und verleumdet.

Beate Hausbichler und Noura Maan (Hrsg.), "Geradegerückt - Vorverurteilt, skandalisiert, verleumdet: Wie die Biografien prominenter Frauen verzerrt werden", Kremayr und Scheriau

Studiogespräch: Wolfgang Ritschl

Bas Kast: "Kompass für die Seele"

Teuerung, Krisen, Stress: Zeiten wie diese sind enorme Herausforderungen für unser psychisches Wohlbefinden. Doch was tun gegen alltägliche Überforderung, chronische Erschöpfung oder depressive Verstimmung? Mit seinem "Ernährungskompass", für den Bas Kast akribisch sämtliche relevante Studien der letzten Jahrzehnte durchforstet hat, gelang ihm ein Millionen-Bestseller. Für sein neues Buch hat Bas Kast auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und zahlreicher Selbstversuche zehn alltagstaugliche Strategien für "mehr Energie, Ausgeglichenheit und Freude im Leben" zusammengestellt.

Bas Kast, "Kompass für die Seele - Das Fazit neuester Studien zu Resilienz und innerer Stärke", C. Bertelsmann

Ivo Kaufmann

Service

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