Da capo: Im Gespräch

"Jedes Buch lasse ich als notdürftig aufgeräumte Baustelle zurück". Michael Kerbler spricht mit Daniel Kehlmann, Schriftsteller (Erstsendung am 5. Februar 2009)

"Jetzt beginnt für Sie die Zeit, wo alle mehr über Sie wissen als Sie selber", so sprach Günter Grass bei einer Geburtstagsfeier für Siegfried Lenz recht väterlich nach dem sensationellen Erfolg von "Die Vermessung der Welt" zu Daniel Kehlmann. Viele Hunderttausend Exemplare verkauften sich bisher von diesem Roman, der in gut vier Dutzend Sprachen übersetzt wurde, z. B. ins Katalanische, ins Arabische und sogar auf Hindi.

Er wolle keine Kopie seines erfolgreichen Romans nachliefern, betonte der Schriftsteller, als der Rowohlt Verlag im Vorjahr Kehlmanns Buch "Ruhm" herausbrachte. Der Inhalt - kurz zusammengefasst: Ein Mann kauft ein Mobiltelefon und bekommt Anrufe, die einem anderen gelten; nach kurzem Zögern beginnt er ein Spiel mit dieser fremden Identität. Ein Schauspieler wird von einem Tag auf den nächsten nicht mehr angerufen, als hätte jemand sein Leben an sich gerissen. Ein Schriftsteller macht zwei Reisen in Begleitung einer Frau, deren größter Alptraum es ist, in einer seiner Geschichten vorzukommen. Ein verwirrter Internetblogger wiederum wünscht sich nichts sehnlicher, als einmal Romanfigur zu sein. Eine Krimiautorin geht auf einer abenteuerlichen Reise in Zentralasien verloren, eine alte Dame auf dem Weg in den Tod hadert mit dem Schriftsteller, der sie erfunden hat, und ein Abteilungsleiter in einem Mobiltelefonkonzern verliert über seinem Doppelleben zwischen zwei Frauen den Verstand.

Die neun Episoden des Buches ordnen sich nach und nach zu einem romanhaften Gesamtbild, zu einem raffinierten Spiel mit Realität und Fiktionen: eine Art Spiegelkabinett entsteht. Und natürlich geht es um Ruhm - um Menschen, die ihn haben, und solche, die sich vergeblich danach sehnen. Dieses Buch handelt aber auch vom Verschwinden, von Wahrheit und Täuschungen - und es steckt voller unvorhersehbarer Wendungen.

Daniel Kehlmann schätzt die Schriftsteller der "Gruppe 47" und den "sehr ernsten Spötter" Georg Kreisler. Jedes Buch lasse er - Kehlmann - als "notdürftig aufgeräumte Baustelle" zurück. Für so eine "notdürftig aufgeräumte Baustelle" hat der Autor, der zwischen Wien und Berlin pendelt, unter anderem den Thomas-Mann-Preis erhalten. Wie bei Thomas Mann finde sich auch im Werk Kehlmanns immer wieder die "mehrfache Erzählbarkeit der Welt", die Vermischung von Fantasie und Meta-Fantasie, von Fiktion und mehrerer möglicher Realitäten, sagte der Vizepräsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, Heinrich Detering, damals in seiner Laudatio. Vor Kehlmann haben unter anderem Günter Grass und Siegfried Lenz diesen Preis erhalten.

Aufgezeichnet wurde dieses Gespräch im Wiener Akademietheater im Rahmen der Ö1-Reihe "Zeitgenossen im Gespräch".

Service

Folgende Bücher von Daniel Kehlmann sind im Rowohlt-Verlag erschienen:

"Ruhm" - ein Roman in neun Geschichten

"Die Vermessung der Welt"

"Wo ist Carlos Montúfar?"



Weitere Buch-Tipps

Gunther Nickel (Hrsg.), "Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt". Rohwolt

Daniel Kehlmann und Sebastian Kleinschmidt, "Requiem für einen Hund", Matthes & Seitz

Roberto Bolano, "2666", Hanser Verlag

Jean Baudrillard, "Warum ist nicht alles verschwunden", Matthes & Seitz

Gerhard Kaiser, "Wozu noch Literatur? - über Dichtung und Leben", Königshausen & Neumann

Günter Burkart, "Handymania - wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat", Campus Verlag

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