Gedanken für den Tag

"Lob des Zweifels und der Hoffnung" von Martin Urban

Martin Urban ist Wissenschaftspublizist in München.

Der Diplomphysiker, Gründer und langjährige Leiter der Wissenschaftsredaktion in der Süddeutschen Zeitung widmet sich in seinem "Ruhestand" auf durchaus anregende Weise theologischen, philosophischen und psychologischen Themen. Seine jüngsten Bücher tragen nicht von ungefähr Titel wie "Warum der Mensch glaubt. Von der Suche nach dem Sinn", "Wer leichter glaubt, wird schwerer klug. Wie man das Zweifeln lernen und den Glauben bewahren kann" oder "Die Bibel - Eine Biographie".

Zufall und Hoffnung
Der blinde Zufall ist eine Kraft. Zufall und Notwendigkeit bestimmen die Gesetze der Evolution. Erstaunlicherweise kennt die Bibel nicht einmal das Wort Zufall - ebenso wenig den Begriff Schicksal.
Die Bibel kennt die Frage aller Fragen: Warum? Warum ist die Welt so böse und ungerecht? Warum geht es den Guten schlecht und den Schlechten gut?
Die Verfasser der biblischen Bücher wussten darauf ebenso wenig eine befriedigende Antwort wie wir heute. Denn die Erklärung: Wegen der Ursünde Adams ist die Welt böse, ist unbefriedigend und wird von historisch-kritisch arbeitenden Forschern heute nicht mehr geteilt.
Menschen der Bibel, wie Hiob, der Empfänger von lauter "Hiobsbotschaften", fragten ihren Gott: Warum? Doch auch Hiob erfährt nur, dass er keine Antwort bekommt.
Man kann darüber verzweifeln. Man kann aber auch ein Dennoch! wagen. Dies auf unterschiedliche Weise. Indem man das unbegreifliche Schicksal des Menschen beklagt, und daraus ein Kunstwerk entsteht. Etwa Hyperions Schicksalslied von Friedrich Hölderlin, mit den Schlusszeilen:

"Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab."

Oder man erfährt das Leid wie der Verfasser des 22. Psalms: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" So schrie wohl auch Jesus am Kreuz. Dahinter steckt in aller Verzweiflung die Hoffnung, doch einmal etwas zu verstehen. Mehr haben wir bis heute nicht.

Service

Buch, Martin Urban, "Die Bibel. Eine Biographie", Verlag Galiani

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