Radiokolleg - Angeklagt: Das Wort

Bücher vor Gericht (3). Gestaltung: Sabrina Adlbrecht und Ulrike Schmitzer

"Was einmal gedruckt ist, gehört der ganzen Welt auf ewige Zeiten. Niemand hat das Recht, es zu vertilgen" - diese Ansicht hat Gotthold Ephraim Lessing mit aufklärerischer Vehemenz vertreten; durchgesetzt hat sie sich nie. Totalitäre politische Systeme setzen nach wie vor auf Zensur als Instrument für Kontrolle und Machterhalt.

Aber auch moderne, demokratische Staaten sind bis heute nicht frei von Eingriffen in literarisches Schaffen. Der Schutz der Persönlichkeit und des Urheberrechtes steht über der Freiheit der Kunst. Jüngster Fall: der Roman "Esra" von Maxim Biller. Darin erkannten sich eine ehemalige Lebensgefährtin des Schriftstellers und deren Mutter und klagten. Thomas Bernhards Roman "Holzfällen" wurde schlagartig berühmt durch ein zeitweises Publikationsverbot, das der Komponist Gerhard Lampersberg vor Gericht erwirkte, weil er sich in einer Figur wiederkannte und ehrenrührig porträtiert fühlte.

Immer wieder haben Bücher die Gerichte beschäftigt: In "Mephisto", dem Roman über einen Karrieristen in der NS-Zeit, erkannte sich der Schauspieler Gustaf Gründgens wieder, sein Sohn klagte gegen die Veröffentlichung. Und es gibt natürlich all die Fälle "unzüchtiger" oder als "pornografisch" bewerteter Literatur aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die bis weit in unsere Zeit hinein auf dem Index standen.

Was Verbote von Büchern widerspiegeln, sind immer auch die geltenden Normvorstellungen und Ideologien einer Gesellschaft. Mit ihnen wandeln sich auch die Motive, in Literatur maßregelnd einzugreifen.

Was waren und was sind die Argumente für solche Eingriffe? Wo endet die Freiheit der Kunst, wo beginnt der Schutz des Individuums oder auch der ganzen Gesellschaft?

Service

Anja Ohmer: Gefährliche Bücher? Zeitgenössische Literatur im Spannungsfeld zwischen Kunst und Zensur. Nomos Verlag 2000.

Stefan Neuhaus/ Johann Holzner (Hrsg): Literatur als Skandal. Fälle - Funktionen - Folgen. Hg. zus. mit Johann Holzner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007.

Gerhard Ruiss und Johannes A. Vyoral: Der Zeit ihre Kunst - Der Kunst ihre Freiheit - Der Freiheit ihre Grenzen?: Zensurversuche und -modelle der Gegenwart. Autorensolidarität 1990.

Gerhard Ruiss: Schwarz.Buch Edition Selene 1999.

Frank Schäfer: Zensierte Bücher. Verbotene Literatur von Fanny Hill bis American Psycho. AREA Verlag, Erftstadt 2006. (Derzeit vergriffen, Neuauflage in Arbeit)

Therese Nickl, Heinrich Schnitzler (Hg.): Liebe, die starb vor der Zeit: Arthur Schnitzler und Olga Weissnix. Ein Briefwechsel. Verlag Molden, Wien, München, Zürich, 1970.

Alfred Pfoser/Kristina Pfoser-Schweig, Gerhard Renner: Schnitzlers Reigen. Zehn Dialoge und ihre Skandalgeschichte. Analysen und Dokumente. 2 Bde., Verlag Fischer a.M., 1993.
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil. Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen. Luchterhand Literaturverlag, München 1982.

Gerhard Haderer: Das Leben des Jesus. Wien, Ueberreuter, 2002.

Arthur Schnitzler: Reigen. Zehn Dialoge. dtv, München 2004

Anonym.: Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne / von ihr selbst erzählt. Ungekürzter Nachdruck der Erstausgabe, Wien 1906. - München: Schneekluth, 1990 (Die erotische Bibliothek).

Cleland, John: Fanny Hill, Memoiren eines Freudenmädchens. Albatros, Düsseldorf 2005.

Paulin Réage: Die Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy. Verlag Herbig, München 1994.

Günter Grass: Katz und Maus. Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied-Berlin, 1961.

Susan Sontag: Die Pornographische Phantasie. In: Dies.: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 1982

Thomas Mann: Bilse und ich. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in zehn Bänden. S. Fischer, Frankfurt/Main 1925, Bd. 9, S. 3-17

Thomas Bernhard: Holzfällen. Eine Erregung. Suhrkamp Verlag 1986

Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007

Maxim Biller. Esra. Kiepenheuer & Witsch 2003.

Sendereihe