Gedanken für den Tag

"Die Schule und andere mittelwichtige Sachen" von Paulus Hochgatterer

Paulus Hochgatterer ist Schriftsteller und Kinderpsychiater

Von manchen Dingen glauben wir, dass sie zum naturgegebenen Fundament unseres Daseins gehören. Die Schule ist eines von ihnen, ganz besonders Anfang September. Anhand der Äußerungen von Kindern soll diese Annahme überprüft werden und eine Annäherung an die Frage erfolgen, was denn nun im Leben tatsächlich Bedeutung hat: Freunde, der Lehrsatz des Pythagoras, die große Pause oder Abercrombie & Fitch. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Lauras erster Schultag
Laura kommt im Pyjama zum Frühstück, ungewaschen, die Zähne nicht geputzt.
Laura ist gut sechs Jahre alt, sechs Strichpunkt vier, sagt ihre Mutter, sechs Jahre und vier Monate. Sechs Strichpunkt vier, so schreibt man das. Lauras Mutter ist Psychologin, die kennt sich aus.

Laura kommt also zum Frühstück, um drei vor sieben ungefähr, im Pyjama mit den boxenden Murmeltieren drauf. Den hat sie am liebsten. Ungewaschen kommt sie, ungekämmt, die Zähne nicht geputzt. Das war so nicht ausgemacht, sagt ihre Mutter, du gehst heute nämlich in die Schule, zum allerersten Mal. Zuerst ins Bad, waschen, kämmen, Zähne putzen, dann in die Kleider, dann erst zum Frühstück, so war das ausgemacht, sagt Lauras Vater, - Ordnung muss sein. Lauras Vater ist ein GRIM, Ge Er I Em, General Risk Manager, so heißt das auf Englisch. Was das bedeutet, weiß Laura nicht, aber ihr Vater kennt sich mit Ordnung aus, das weiß sie.

Wenn man in die Schule geht, muss man ungewaschen zum Frühstück kommen, sagt Laura. So ein Unsinn, sagt ihr Vater. Wer behauptet das? fragt die Mutter. Pippi Langstrumpf, sagt Laura. Pippi Langstrumpf liege verkehrt herum im Bett, den Kopf unter der Tuchent, die Füße auf dem Polster, sie frühstücke manchmal am Morgen und zumindest genauso oft am Nachmittag und wasche sich zirka zweimal pro Jahr. Dann stinkt sie aber, wenn sie in die Schule kommt, sagt Lauras Vater. Sie geht nur zweimal im Jahr, sagt Laura, - immer, wenn sie sich gewaschen hat. Lauras Mutter kriegt ein ungutes Gefühl. Schulverweigerung könnte so beginnen. Wie kommst du überhaupt auf Pippi Langstrumpf? fragt sie. Weil du sie mir immer vorliest, sagt Laura.

Ordnung muss sein, sagt Lauras Vater, außerdem ist Pippi Langstrumpf schon vor ewig vielen Jahren geschrieben worden. Als es noch keine Schule gab? fragt Laura. Doch, sagt ihre Mutter, - ab ins Bad! Später sieht sie nach, wann ´Pippi Langstrumpf` tatsächlich geschrieben wurde: 1944. Schule gab's damals schon, denkt sie, und eine spezielle Beziehung zur Ordnung auch, dort und da zumindest. Als sie am Badezimmer vorbeikommt, hört sie Laura singen: Meine Ordnung muss sein.

Meine Ordnung muss sein. - Das ist Lauras Botschaft für den Montag.

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