Gedanken für den Tag

"Gottesgaben" - Mit Leidenschaft die eigenen Talente nützen. Von Leopold Stieger

Leopold Stieger ist Pionier der Personalentwicklung in Österreich und Gründer der Plattform "Seniors4success" für ältere Menschen, die ihre Fähigkeiten weiterhin im Arbeitsmarkt einbringen möchten.

Gerade in diesen Tagen beginnen die Universitäten und Fachhochschulen wieder mit ihrem Betrieb. Was soll ich studieren, diese Frage stellen sich viele. Mit welcher Fachrichtung habe ich die größten Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden? Oder soll ich doch das studieren, was mein Lebenstraum ist oder wäre?

An dieser Stelle ist es wichtig, auf die innere Stimme und die eigenen Talente zu hören, empfiehlt der Pionier der Personalentwicklung in Österreich, Leopold Stieger. Denn was man gerne macht, macht man meist auch mit der nötigen Leidenschaft, um darin erfolgreich zu sein. Eine Haltung, die man mit dem Pensionsantritt nicht ablegen muss. "Es geht auch im Alter darum, immer noch zu entdecken, was ich kann und nicht, was die anderen können. Meine Talente sind mein Kapital", empfiehlt Leopold Stieger. Gestaltung: Alexandra Mantler.

Vor einiger Zeit rief mich ein junger Mann an und fragte mich, ob ich ein Seminar empfehlen kann, bei dem er alle seine Schwächen, seine Defizite sammeln könne. Was werden Sie dann mit dieser Liste tun, fragte ich ihn. "Dann mache ich mir einen Plan", sagte er, "und baue Schwäche für Schwäche ab, bis ich damit fertig bin." Vermutlich schwebte ihm vor, dann der vollkomme Mensch zu sein.
 
Das ist vielleicht ein wenig krass, sicherlich aber das Ergebnis seiner Erziehung. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, dann wurde ich - so erinnere ich mich noch recht deutlich - danach beurteilt, wie wenige Fehler ich in einer Schularbeit gemacht habe. Der Lehrer ging also auf die Suche nach meinem Defizit und je mehr er gefunden hat, desto schlechter war meine Einstufung bei ihm. Um meine eher schlechten Noten zu kompensieren, habe ich bei mir zwei Stärken entdeckt: Das eine war Fotografieren. Da habe ich für das gesamte Gymnasium, für alle Klassen, fotografiert und z.B. bei einer hausinternen Theaterveranstaltung mehrere hundert Fotos an die Mitschüler vertrieben. Um dies günstiger machen zu können, habe ich damals - vor mehr als 50 Jahren - die Fotos im Ausland vervielfältigen lassen. Und dann habe ich das Buchbinden gelernt. Das haben alle anderen Schüler bei uns im Handwerksunterricht auch gelernt, ich habe es aber fast professionell für mehrere Klassen und viele Mitschüler betrieben. Denn damals übernahm man von älteren Schülern die gebrauchten Schulbücher, die dann verständlicherweise nicht mehr ganz fit waren.
 
Erst viel später ist mir bewusst geworden, dass ich dadurch gelernt hatte, meine Talente zu nützen und mich nicht von den Urteilen anderer über meine Defizite irritieren zu lassen. Heute ist dies meine innere Überzeugung und Lebensphilosophie geworden, das zu nützen, was ich habe, was ich, wenn man so will, geschenkt bekommen habe,  und nicht auf das zu starren, was ich nicht habe.

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