Radiokolleg - Die Faszination des Bösen
Jenseits von Ethik, Moral und Gesetz (2). Gestaltung: Sabine Nikolay
12. Oktober 2010, 09:05
Was meinen wir, wenn wir vom "Bösen" sprechen? Wann ist ein Mensch "böse"? Im Deutschen kann alleine das Wort zwei Bedeutungen haben: Einerseits ist da das Böse als philosophisches Konzept, als Gegenteil des Guten, in einem allgemeinen Sinn; andererseits gibt es die Gefühlsregung, die wir von Kindesbeinen an erklärt bekommen: Wenn du das machst, wird die Mama böse! Oder: Du bist ein böses Kind! Oder auch: Geh mir aus den Augen, jetzt bin ich böse! In letzterem Fall meinen wir eine Gefühlsregung - am ehesten wohl starken Ärger, der sich in Wut entlädt.
Diese Komponente des Bösen ist uns zutiefst vertraut. Sie steckt in uns allen. Unfassbar - im wahrsten Sinne des Wortes - wird das Böse, wenn es scheinbar gefühllos auftritt. Der Serienmörder, der sich geplant und mit Vorsatz seine Opfer sucht. Der Kinderschänder, der jahrelang unentdeckt bleibt und nicht einmal von seinen Opfern verraten wird - so groß ist die Angst, die er hervorruft. Kaltblütige Täter wie Josef Fritzl, der 24 Jahre lang den biederen, geselligen Nachbarn spielte, während er seine Tochter und die gemeinsamen Kinder im unterirdischen Verlies gefangen hielt.
Diese Komponente des Bösen ist es, die Angst macht, ebenso wie die grausamen Entgleisungen ganzer Staatssysteme, in denen Menschen zu Tausenden vertrieben, verletzt und ermordet werden. Immer wieder stellt sich uns die bange Frage: Wie hätte ich mich verhalten? Was würde ich tun, um nicht zum Täter zu werden, aber trotzdem meine Familie und mein eigenes Leben nicht zu gefährden?
Sabine Nikolay begibt sich auf die Suche nach dem Ursprung des Bösen, untersucht seine Ausformungen und die Versuche, es durch Ethik, Moral, Religion und Gesetz in Schach zu halten.
Service
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 2006
Hannah Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, München 2006
Charles Baudelaire, Les Fleurs du mal, Reclam 1992
Hans-Georg Beer, Fast eine Kindheit. Frankfurt 2002
Elias Canetti, Masse und Macht, Fischer 1960, 1980, 1994
Donatien Alphonse Francois Marquis de Sade, Ausgewählte Werke Teil 4, Die neue Justine, fischer tb 1972
Donatien Alphonse Francois Marquis de Sade, Juliette, Ullstein 1989
Donatien Alphonse Francois Marquis de Sade, Philosophie im Boudoir, Heyne tb 1977
Reinhard Haller, Das ganz normale Böse, ecowin 2009
Paulus Hochgatterer, Das Matratzenhaus, Deuticke 2010
Paulus Hochgatterer, Die Süße des Lebens, Deuticke 2006
Primo Levi, Ist das ein Mensch? dtv 1992
Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, dtv 1963
Susan Neimann, Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie, suhrkamp tb 2006
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, reclam 1988
Rüdiger Safranski, Das Böse oder Das Drama der Freiheit, fischer tb 2008
Robert J. Stoller, Perversion. Die erotische Form von Hass, Psychosozial Verlag, Neuauflage 2004 (Erstausgabe: 1978)