Da capo: Im Gespräch
"Man muss nicht alles verstehen, aber ein Versuch kann nicht schaden". Michael Kerbler spricht mit Hans Magnus Enzensberger, Schriftsteller und Essayist
29. Oktober 2010, 16:00
Hans Magnus Enzensberger zählt zu den wichtigsten Intellektuellen Deutschlands. Die deutschsprachigen Gazetten des November 2009 - jenem Monat, in dem Enzensberger 80 Jahre alt wurde - spiegeln das Ansehen wider, das Enzensberger im deutschsprachigen Raum und weit darüber hinaus genießt: von der "Ikone Enzensberger", dem "Meister des Worts", dem "elegantesten Salon-Anarchisten" und dem "streitbaren Dichter" ist da die Rede.
Faktum ist: das Werk Enzensbergers ist nahezu unüberschaubar. Der Ruhelose, dem - so mutmaßte einmal sein Schriftstellerkollege György Konrad - "vor der Langeweile noch mehr graut als vor der Hölle", hat unzählige Bücher publiziert, Gedichte, Essays, Prosatexte, Theaterstücke, Reportagen, Libretti, Übersetzungen, Anthologien. Schon allein was Enzensberger in frühen Jahren fürs Radio geschrieben hat, könnte als ein halbes Lebenswerk durchgehen.
Aber er hat noch mehr geschrieben: Sein Oeuvre ist größer als wir ahnen, nämlich um jene stattliche Anzahl von Werken, die er unter Pseudonymen publiziert hat. Darin nach Autobiografischem zu suchen, ist allerdings müßig. Denn Hans Magnus Enzensberger versteht es, zu vielen Themen spannend und radikal, geschliffen und punktgenau zu schreiben - verweigert aber konsequent, sich in die Karten schauen zu lassen. Selbst mit dem Wort "ich" geht er äußerst sparsam um, meist findet sich das Wort "man", wenn ihn etwas angeht.
Allerdings hat er in einer schwachen Minute einen Hinweis gegeben, wo er zu finden ist. In seinen Gedichten. "In den Gedichten ist mein Privates gut aufgehoben", hat er einmal zugegeben. "Sie zu schreiben entlastet mich. Das bleibt diskret. Ich bin gern unauffällig." Der da von einer Deckung in die nächste huscht, beschreibt sich in "Coda" als "ein Vorübergehender, / der vorübergehend beobachtet, was der Fall ist, / der nur redet (de rebus quae geruntur), / und der kaum etwas ausrichtet".
Am 22. und 23. Oktober war Hans Magnus Enzensberger bei "Literatur im Nebel" in Heidenreichstein zu Gast. Nach Salman Rushdie, Amos Oz, Jorge Semprún und Margaret Atwood war er der fünfte Ehrengast dieses Literaturfestivals im nördlichen Waldviertel.
Michael Kerbler hat Hans Magnus Enzensberger besucht.
Service
Hans Magnus Enzensberger, "Gedichte 1950-2010", Gedichtband als Taschenbuch bei Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Hammerstein oder Der Eigensinn: Eine deutsche Geschichte", gebundene Ausgabe und auch als Taschenbuch bei Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Aussichten auf den Bürgerkrieg", Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Mausoleum - siebenunddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts", Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Die Elixiere der Wissenschaft - Seitenblicke in Poesie und Prosa", Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Meine Lieblings-Flops", ab Ende Dezember bei Suhrkamp
Hans Magnus Enzensberger, "Album", ab Ende Dezember bei Suhrkamp
Literatur im Nebel
