Diagonal - Radio für Zeitgenossen
Stadtporträt Reykjavik. Die amerikanischste Stadt Europas. Präsentation: Johann Kneihs
20. November 2010, 17:05
Reykjavik sammelt Superlative. Als nördlichste Hauptstadt der Welt und westlichste Europas, außerdem am schnellsten gewachsene und im Verhältnis zur Bevölkerung wohl ausgedehnteste Hauptstadt Europas: 200.000 Menschen, fast zwei Drittel der Isländer, leben auf den tausend Quadratkilometern der Hauptstadtregion - die allerdings baumlose Berge und Lavafelder mit einschließt. Als "kleinste Metropole der Welt" betrachten die Bewohner ihre Stadt mit zwei Dutzend Museen, mehreren Theatern und kosmopolitischer Kunst- und Kulturszene. Eine von Manhattan inspirierte Skyline wollten Reykjaviks Stadtväter in den Jahren des Booms auf der Hauptstadt-Halbinsel entstehen lassen. Davon blieben nach dem Bankenkrach vor zwei Jahren Neubauruinen.
"Wir haben uns verhalten, als seien wir ein Land von 300 Millionen Menschen und nicht eines von 300.000", sagt der Sänger und musikalische Ex-Partner von Björk, Einar Örn Benediktsson, neuerdings Stadtrat. Im Mai 2010 errang eine Bürgerliste, angetreten aus Protest gegen die Rolle der Parteien beim Finanzdesaster, die Mehrheit. Bürgermeister wurde der Kabarettist und Schauspieler Jón Gnarr. Er kommuniziert mit den Einwohnern über Facebook, wünscht sich gegen die Langeweile Eisbären für den städtischen Haustierzoo und verspricht, jedes Wahlversprechen zu brechen, aber sich und seine Angehörigen aus dem öffentlichen Haushalt gut zu versorgen. Und ernsthafter: Anstelle des Finanzsektors sollen kreative Initiativen in Architektur, Kunst und Medien die Stadt entwickeln, die Autostadt Reykjavik soll ökologische Vorzeigestadt werden.
Service
Jens Willhardt/ Christine Sadler, "Reiseführer Island", Michael Müller Verlag
Einar Már Gudmundsson, "Wie man ein Land in den Abgrund führt. Die Geschichte von Islands Ruin", Hanser Verlag
Halldór Gudmundsson, "Wir sind alle Isländer. Von Lust und Frust, in der Krise zu sein", btb Verlag
Wolfgang Müller, "Neues von der Elfenfront. Die Wahrheit über Island", Suhrkamp Verlag
Hallgrimur Helgason, "101 Reykjavik", Verlag Klett-Cotta