Salzburger Nachtstudio
Geschwisterbande. Analyse einer lebenslangen Verbindung. Gestaltung: Martin Gross
1. Dezember 2010, 21:00
Es beginnt mit dem "Entthronungs-Schock". Wenn aus einer Einzelkind- eine Mehrkindfamilie wird, bringt das für alle, und wesentlich auch für das ältere Kind, eine große Umstellung mit sich. Das Leben als und mit Bruder oder Schwester beginnt.
Zu etwa 50 % Prozent mit demselben genetischen Erbgut ausgestattet, beginnt der Abwehrkampf oder eine symbiotische Beziehung. Eineiige Zwillinge sind ja vom Erbgut her betrachtet völlig ident. Was heißt das für ihre individuelle Entwicklung, und wie wird diese von den Eltern beeinflusst? Erst recht dann, wenn sich diese trennen und neue "Halbgeschwister samt Stiefmutter oder Stiefvater" mitmischen?
Über Erstgeborene, Sandwichkinder und Nesthäkchen haben sich vor allem Psychoanalytiker/innen und Therapeut/innen Gedanken gemacht. Doch auch die historische Familienforschung kann zum Verständnis von guten und schwierigen Geschwisterbeziehungen Aufklärendes beitragen. Sozialwissenschafter/innen haben herausgefunden, dass die Ältesten durchschnittlich einen höheren Intelligenzquotienten als später Geborene aufweisen. Die Erklärung liegt in der Zuwendung, die Eltern ihren Erstgeborenen geben.
Was heißt das nun für die moderne Familie, was für Kinderbetreuungseinrichtungen und die Entwicklung künftiger Generationen? Einige Forschungsergebnisse haben Vorurteile bereits ausgeräumt. Etwa dass die Mittleren, die "Sandwichkinder", am meisten Probleme bereiten, wird durch Untersuchungen nur bedingt bestätigt. Ganz im Gegenteil, oft sind sie diplomatischer und pragmatischer als ihre Geschwister.
Doch auch Geschwisterliebe muss erarbeitet werden, kann nicht vorausgesetzt werden. Wie jede, muss auch diese besondere Beziehung wachsen, muss gefördert werden. Bruderzwist, Geschwisterneid, Schwesternkonkurrenz sind in die Literatur eingegangen und führen mitunter zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, vor allem bei Erbstreitigkeiten. Noch komplexer wird die Situation durch den Umstand, dass durch das "Deine-Meine-Unsere-Prinzip" der immer häufiger werdenden Patchwork-Familien Geschwisterbeziehungen unter völlig neuen Vorzeichen und mit ganz anders gearteten Dynamiken entstehen.
Service
Horst Petri, Geschwister - Liebe und Rivalität: Die längste Beziehung unseres Lebens, (Buch Kreuz-Verlag)
