Gedanken für den Tag

"Über das Wunder der Seele" - Zum 750. Geburtstag von Meister Eckhart. Von Cornelius Hell

Cornelius Hell ist Literaturkritiker und Übersetzer.

Umstritten in seiner Zeit, ist Meister Eckhart bis heute eine der kreativsten und faszinierendsten Gestalten des Christentums. Er wurde als Mystiker und Freigeist verstanden, war Dominikanermönch und wurde als Häretiker verurteilt. Als Philosoph und Theologe nahm er an den intellektuellen Debatten von Paris am Ende des 13. Jahrhunderts teil, als Mönch und Prediger zeigte er neue Wege zur Selbsterkenntnis und zu einer Lebensführung, in deren Mittelpunkt die Gelassenheit, das Loslassen steht. Für diejenigen, die Meister Eckhart lesen, mag er einen subjektiven Zugang zum Göttlichen und zum "Wunder der Seele" vermitteln. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Irgendwie freut es mich, dass wir von Meister Eckharts Leben so wenig wissen. Um 1260 in Thüringen geboren, trat er vermutlich als junger Mann in das Dominikanerkloster in Erfurt ein und studierte wohl in Köln; abgeschlossen hat er sein Studium jedenfalls in Paris, wo er 1302 auch die Lehrerlaubnis erhielt - in damaliger Terminologie war er damit "Magister", auf Deutsch ein "Meister". Davor und danach hatte Eckhart wichtige Positionen in der Ordensleitung inne. Ab 1311 lehrte er wieder in Paris, ab 1314 dürfte er in Straßburg gewesen sein. Letzte Station seines Lebens war Köln, wo der Erzbischof ein Inquisitionsverfahren gegen ihn eröffnete, wogegen Eckhart Berufung beim Papst in Avignon einlegte. Dort ist er vermutlich Anfang des Jahres 1328 gestorben.

Viele Vermutungen also, und kein einziges Bild. Entweder wurde Meister Eckhart von niemandem porträtiert, oder dieses Bild ist verloren gegangen. Mich freut es, dass wir so wenig von ihm wissen, denn so kann er nicht zum Objekt der heute grassierenden Biografitis werden - oft erscheinen zu runden Jahrestagen dicke Wälzer, die mehr über Familienbeziehungen und Sexualleben informieren als über das Werk eines Denkers. Von Eckharts Leben wissen wir zu wenig - also müssen wir uns einlassen auf das, was er gesagt hat: zum Beispiel über das Leben.

Es ist erstaunlich, wie oft Eckhart, einer der höchst gebildeten Intellektuellen seiner Zeit, auf das Leben als Argument zurückgreift - am schönsten vielleicht in der folgenden Passage:

Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: "Warum lebst du?" - könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: "Ich lebe darum, daß ich lebe." Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum eben darin, daß es sich selbst lebt.

"Ohne Warum" - in Eckharts Mittelhochdeutsch "âne warumbe" - ist ein Schlüsselwort für Eckharts Lebensauffassung. Er meint damit nicht die dumme Gedankenlosigkeit, sondern das In-Sich-Ruhen eines Menschen, der aus seinem eigenen Grund lebt.

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 101214 Gedanken für den Tag / Cornelius Hell
Länge: 02:41 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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