Gedanken für den Tag

"Thomas Bernhards Frömmigkeit" - Zum 80. Geburtstag des österreichischen Schriftstellers. Von Susanne Gillmayr-Bucher

Susanne Gillmayr-Bucher ist Professorin für alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz.

Die lyrischen Anfänge des literarischen Werks von Thomas Bernhard entfalten eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Leben. Dabei stehen sich die Sehnsucht nach einer heilen Welt, wie sie in der Tradition und Religion erfahrbar werden kann, und die radikale Kritik von Gesellschaft und Kirche scheinbar unversöhnlich gegenüber. Zwischen Faszination und Ablehnung, zwischen großen Hoffnungen und enttäuschten Erwartungen entfalten die Gedichte Bernhards ein zorniges Ringen auf der Suche nach Sinnpotenzialen des Lebens. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Ich will meinen Kampf beten, den großen Kampf um meine Seele
Thomas Bernhard, der vor allem mit seinen Theaterstücken und Prosawerken weit über Österreich hinaus bekannt wurde, begann seine schriftstellerische Laufbahn als Lyriker. Bereits die Gedichte sprechen aus einer Perspektive, die sich kritisch mit ihrer Umgebung auseinandersetzt und dabei an ihr zu zerbrechen droht. Trotz der scheinbaren Ausweglosigkeit stellt sich seine Lyrik in immer neuen Anläufen dieser Welt gegenüber und nimmt das Leben mit all seinen dunklen Seiten als eine große Herausforderung an. So heißt es im ersten seiner Psalmgedichte:

"Ich will meinen Kampf beten, den großen Kampf um meine Seele."

Die überraschende Kombination von Kampf und Gebet steht in Spannung zu gängigen Vorstellungen des ruhigen, alles überantwortenden Betens. Nimmt man jedoch ernst, dass sich diese Aussage in einer Gedichtsammlung findet, die mit Psalmen betitelt ist, so eröffnet sich parallel zu den biblischen Psalmen eine Gebetswelt, die sehr wohl um das harte Ringen um die eigenen Lebensmöglichkeiten weiß. Ähnlich den biblischen Psalmen beschreiten die Psalmgedichte Thomas Bernhards diesen Weg und lassen sich dabei auch auf das Wagnis der Auseinandersetzung mit Gott ein.

ich bin arm ...
alle haben mich vergessen,
aber ich sehe den Tisch und den Wein, den ich trinken werde.
Es ist der Wein Gottes, der schwarze Wein für mein rotes Hirn,
den ich trinken werde in der Nacht

Es ist keine billige Erlösung, die hier gesucht wird, und von einem alles verändernden Eingreifen Gottes ist ebenfalls nicht die Rede. Ganz im Gegenteil, auch der Wein Gottes erscheint als ein Teil der dunklen, schwarzen Welt von der allein das "rote Hirn" des Ichs dieses Psalms noch nicht ergriffen zu sein scheint. Doch der Einsamkeit und der Armut zum Trotz, beginnt nun ein Ringen um das eigene Selbst.
Beten, das ist in diesem Gedicht kein passives Sich-Fügen sondern ein emphatisches Ringen um nichts Geringeres als die eigene Seele und somit um das Zentrum der eigenen Lebenskraft und Lebensperspektive.

Service

Buch, Volker Bohn (Hg.), Thomas Bernhard. Gesammelte Gedichte, Suhrkamp Verlag

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