Gedanken für den Tag

18. Februar 2011, 06:57

Christine Hubka ist evangelische Theologin, Pfarrerin i. R. und Schriftstellerin.

Rote Rosen und Lebkuchenherz sind mögliche Zeichen für Liebe. Es kann aber auch Liebe sein, wenn der große Bruder zum kleinen sagt: "Du darfst ganz lange nicht mehr in mein Zimmer kommen." Denn Liebe treibt bunte Blüten.
Am Valentinstag und an den darauffolgenden Tagen erzählt Christine Hubka Alltagsgeschichten, die - vielleicht erst auf den zweiten Blick - von der Liebe handeln. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Schneechaos in Wien. Geschätzte 20 Züge der Straßenbahn stehen hintereinander aufgefädelt. Die Oberleitung hat keinen Strom. Nichts bewegt sich. Eine Stunde soll es dauern, bis der Betrieb wieder aufgenommen werden kann.
 
Henni, die kleine Erstklasslerin, muss um Punkt Zwölf von der Schule abgeholt werden. Zu Fuß stapfe ich eilig und schwitzend durch den Schnee. 40 Minuten brauche ich für den Weg, den ich sonst in einer viertel Stunde mit der Straßenbahn zurücklege.
 
Beim Rutschen, Schwitzen, Schnaufen, stelle ich mir vor, wie Henni vor der Schule steht. Nach und nach werden alle Kinder abgeholt. Nur sie bleibt übrig. Frierend. Allein. Sie kennt sich nicht aus. Vielleicht geht sie ja zu ihrer Lehrerin. Und wenn nicht? Was macht sie dann? Sicher wird sie Angst haben. Weinen..
 
Ich beschleunige meine Schritte, rutsche noch mehr. Komme endlich mit einer halben Stunde Verspätung vor der Schule an. Henni ist nicht da. Ich gehe ins Schulhaus. Laufe die Stiegen hinauf in die Aula.
 
Da steht Henni und lacht mich an. "Wo bleibst du denn so lang?" Neben ihr stehen ein Mädchen in Hennis Alter mit langem Zopf und eine Frau mit Kopftuch, ein Baby am Arm, an der Hand ein weiteres Kind. Sie sagt: "Ich bin die Mama von Leila. Die beiden sitzen in der Klasse nebeneinander. Ich wollte Henni nicht allein lassen, wie ich gesehen habe, dass sie nicht abgeholt wird."
 
Ich bin sprachlos. Eine fremde Frau hat mit ihren drei Kindern eine halbe Stunde bei einem anderen Kind ausgeharrt, obwohl sie mit ihren eigenen drei Kindern sicher genug zu tun hat.
 
Liebe erkennt, was jetzt gerade am nötigsten zu tun ist.

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