Da capo: Im Gespräch

"Je mehr sich Frauen emanzipieren, desto entbehrlicher fühlen sich viele Männer". Michael Kerbler spricht mit Walter Hollstein, Soziologe und Männerforscher

Über Jahrhunderte galt der Mann als Schöpfer von Zivilisation und Kultur. Er war für den Fortbestand des Gemeinwesens verantwortlich. Will man eine profunde Auskunft über das "männliche Prinzip" erhalten, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts Gültigkeit hatte, dann empfiehlt sich die Lektüre von Albert Camus "Die Pest". Mut, Fürsorge, Willenskraft, Verantwortung, Güte, Risikobereitschaft, Nachsicht, Altruismus, Ritterlichkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit in Form der Zurückstellung eigener Bedürfnisse sind die Qualitäten, die die handelnden Männer auszeichnen. Dieses - ideale - Bild vom Mann ist spätestens mit dem Auftreten des Feminismus und dem Kampf gegen das Patriachat in Brüche gegangen. Elisabeth Badinter, angesehene französische Philosophin und Soziologin, sagt: "Der Feminismus hat die ideologische Schlacht gewonnen. Er verfügt heute über eine beträchtliche moralische Macht und die Fähigkeit, Schuldgefühle zu erzeugen."

In der ersten Phase des "Bildersturms" wurde der Mann ganz grundsätzlich als Unterdrücker, Ausbeuter und Vergewaltiger dargestellt, in der zweiten Phase "sukzessive entwertet" und einer "Verlächerlichung" preisgegeben, belegt der schweizerische Soziologe und Männerforscher Walter Hollstein in seinem Buch "Was vom Manne übrig blieb".

Faktum ist: die gesellschaftliche Position des Mannes hat sich in den zurückliegenden vierzig Jahren nachhaltig verändert. Erstaunlich ist der Umstand, dass es offenbar in den vergangenen vierzig Jahren niemand ein Bedürfnis war, zu untersuchen, wie selbst die durchaus positiven Veränderungen für die Frau sich auf das Selbstbild, das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein des Mannes ausgewirkt haben. Mehr noch: welche weitreichenden Folgen die Implosion des alten Männerbildes zum Beispiel auf Erziehung und Ausbildung der Buben heute hat? Ein Leitsatz aus der Frauenzeitschrift EMMA - verfasst Mitte der 1980er Jahre - umreißt das Problem: "Wenn wir wollen, dass es unsere Töchter einmal leichter haben, müssen wir es unseren Söhnen schwerer machen."

Was ist also vom Mann übrig geblieben? Wann ist heute "ein Mann ein richtiger Mann". Welche Konturen nimmt das neue Männerbild an? Und warum ergreifen Männer - so wie die Frauen dies erfolgreich vorexerziert haben - nicht Partei für ihre eigene Sache? Nur aus Schuldgefühl?

Service

Walter Hollstein, "Was vom Manne übrig blieb. Krise und Zukunft des "starken" Geschlechts", Aufbau

Elisabeth Badinter. "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter", C.H.Beck

Elisabeth Badinter, "XY. Die Identität des Mannes", Piper

Simone de Beauvoir, "Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau", Rowohlt

Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl, "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht", Hoffmann und Campe

Jana Hensel, Elisabeth Raether , "Neue deutsche Mädchen", Rowohlt

Tilman Spengler, "Wenn Männer sich verheben. Eine Leidensgeschichte in 24 Wirbeln", Rowohlt

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