Patina - Kostbares aus dem Archiv

"In fünfzig Jahren ist alles vorbei". Eine Erinnerung an Otto Reutter, zu seinem 80. Todestag (1. Teil von 2). Gestaltung: Roland Knie

Der Berliner Klavierhumorist Otto Reutter gehört zu den "unbekannten Erfindern" der Unterhaltungsbranche. Er, der aus der hintersten brandenburgischen Provinz stammte und als entlaufener Kaufmannslehrling nach Berlin kam, wurde ebendort binnen kurzer Zeit zum berühmtesten Klavierentertainer seiner Epoche. Und das war keineswegs deshalb "keine Kunst", weil es dieses Genre bis dahin nicht gegeben hatte - ganz im Gegenteil: Was der kleine, dickliche Provinzler im zu knappen Frack da aufführte, war die allerhöchste erreichbare Kunst überhaupt, nämlich die, die ihr Publikum blendend unterhielt, indem sie sich selbst erschuf. Das war noch vor dem Ersten Weltkrieg. Als Reutter starb, am 3. März 1931, war er der allererste Schallplattenmillionär - jedenfalls in dieser seiner selbsterfundenen Branche.

Dieser Otto Reutter war, trotz seinen vielen Ausritten ins Volkstümliche, nicht nur der Archetyp aller Klaviersänger in den Kabaretts für die nächsten zwanzig, dreißig, vierzig Jahre - bis hin zum neuen Wiener Musik-Kabarett um Gerhard Bronner (der Otto Reutter übrigens freimütig seinen Lehrmeister nannte) und weiter ... bis dahin, wo sich das Chansontexten und Klavierspielen in unseren Kabarettbreiten leider aufgehört hat; er war auch der quicklebendige Beweis dafür, dass Unterhaltungsprogramme nur dann etwas taugen, wenn sie nicht durch vorherige Befragung des Publikums zustandekommen ...

Sendereihe