Gedanken für den Tag

von Christine Wiesmüller. "Nahrung für die Seele" - Mystik in der Literatur

Christine Wiesmüller ist Schriftstellerin.

Christine Wiesmüller versucht, anhand ausgewählter Werke der Weltliteratur einer Dimension jenseits des Alltäglichen nachzuspüren und meint, dass es angesichts des Zeitgeistes ein provokantes Unterfangen sei, Werke in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu rücken, die Gott als persönlichen Gott ansprechen.

Für sie selbst ist die Frage nach dem "tragenden Grund des Daseins" eine entscheidende Triebfeder ihres Schreibens, wie sie auch in ihrem Roman "Der Garten" zeigt. Karl Rahners ebenso provokanter Ausspruch "Der Christ des 21. Jahrhunderts wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein", zieht sich wie ein Leitmotiv durch diese Woche, die mit den Mystikerinnen von Helfta beginnt. Es folgen Werke von Droste Hülshoff, Le Fort, Joseph Roth und Dostojewski.

Joseph Roth - Hiob

Der Roman "Hiob" von Joseph Roth wirft die Frage nach dem Sinn des Leidens auf. "Jeden Morgen dankte Mendel Gott für den Schlaf, für das Erwachen und den anbrechenden Tag. Wenn die Sonne unterging, betete er noch einmal. .Sein Schlaf war traumlos. Sein Gewissen war rein. Seine Seele keusch", so beginnt dieses weltberühmte Werk.

"Hiob ist mehr als Roman und Legende, eine reine, eine vollkommene Dichtung, die alles zu überdauern bestimmt ist (...) An Geschlossenheit des Aufbaus, an Tiefe der Empfindung, an Reinheit, an Musikalität der Sprache kaum zu überbieten", sagte Stephan Zweig über diesen Roman, der vom Leben eines alltäglichen Menschen handelt, der nach allem, was er durchgemacht hat über sich sagen kann: "Alt bin ich geworden, ein paar Welten hab ich zugrunde gehen sehn, endlich bin ich klug geworden."
 
Joseph Roth verweist bereits mit dem Titel auf die alttestamentarische Geschichte von Hiob, der von Gott geprüft wird. Im Roman ist es der gläubige Jude, Mendel Singer, dessen Leben als Lehrer in einem ostgalizischen Dorf stetig dahin rinnt. Durch eine Reihe harter Schicksalsschläge wird er je aus der Bedeutungslosigkeit seiner Existenz gerissen. Gläubig und demütig nimmt er Unglück für Unglück als Prüfung Gottes hin: Beide Söhne fallen im Weltkrieg, seine Frau stirbt, seine Tochter verfällt dem Wahnsinn und dann gibt es noch den schwachsinnigen Sohn Menuchim. Aber es kommt ein Moment, wo Mendel an Gott verzweifelt. Von nun an lebt er still und betet nicht mehr. Doch gerade jetzt wird ihm die Gnade zuteil. Die Prophezeiung eines Rabbi bewahrheitet sich, sein Sohn Menuchim wird gesund. Als begnadeter Komponist und Dirigent nimmt er seinen Vater in Amerika zu sich. Zum Schluss heißt es: "Mendel schlief ein. Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder."

Service

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110401 Gedanken für den Tag / Christine Wiesmüller
Länge: 02:40 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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