Gedanken für den Tag

von Klara Obermüller. "Man möchte gehört werden" - zum 100. Geburtstag von Max Frisch

Klara Obermüller ist Schweizer Journalistin, Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin.

Mit Theaterstücken wie "Biedermann und die Brandstifter" oder "Andorra" sowie mit seinen drei großen Romanen "Stiller", "Homo faber" und "Mein Name sei Gantenbein" erreichte der Schweizer Schriftsteller und Architekt Max Frisch ein breites Publikum und fand Eingang in den Schulkanon. Die Auseinandersetzung mit sich selbst steht im Zentrum von Frischs Werk und deutet doch über das eigene Selbst hinaus. Viele der dabei aufgeworfenen Probleme können als typisch für den postmodernen Menschen gelten: Finden und Behaupten einer eigenen Identität in Auseinandersetzung mit den festgefügten Bildern anderer, Geschlechterrollen und ihre Auflösung sowie die Frage, was mit Sprache überhaupt ausgedrückt werden kann und was im letzten "unsagbar" bleibt.

Die Schweizer Journalistin Klara Obermüller arbeitete unter anderem im Feuilleton der NZZ, der Weltwoche und der FAZ sowie bei der Kunst- und Kulturzeitschrift "du". Sie war Mitglied des Literarischen Quartetts und arbeitete als Moderatorin beim Schweizer Fernsehen in der Sendung "Sternstunde Philosophie". Heute ist sie als freie Publizistin, Moderatorin und Referentin tätig. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

"Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er ist. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen." (Max Frisch: "Tagebuch 1946-1949")
 
Max Frisch war ein großer Liebender. Frauen spielten in seinem Leben wie in seinem Werk eine zentrale Rolle. Die Liebe war das Thema, das ihn umtrieb und bis zu seinem Tod nicht losließ. Denn in der Liebe - und nur in ihr - sah er die Möglichkeit, lebendig zu bleiben und sich nach allen Seiten hin zu entfalten. Nur wenn wir lieben, so betonte er immer wieder, sind wir bereit, einander anzunehmen, wie wir sind. Von denen, die er liebte, erwartete Frisch, dass sie ihm diesen Freiraum gewährten, und er war bereit, ihnen ein Gleiches zuzugestehen. Doch die Ansprüche waren hoch, und er wusste, wie schwer es war, ihnen zu genügen. Seine literarischen Figuren und auch er selbst sind nicht selten an der Liebe gescheitert. Vielleicht, weil er sie überforderte.

Max Frisch hat nichts so gefürchtet in seinem Leben wie die Fixierung. Und er hat alles getan, um ihr zu entgehen. "Du sollst dir kein Bildnis machen", notierte er in seinem Tagebuch und meinte nicht Gott damit, sondern den Menschen. Das Bildnis legt fest und engt ein. In der Liebe sah er die Gegenkraft: "Liebe befreit aus jeglichem Bildnis", heißt es einmal. Liebe hält lebendig. Liebe lässt Veränderung zu. Liebe ermöglicht uns, offen zu bleiben für die Vielfalt an Möglichkeiten, die in uns angelegt sind. Frisch forderte diese Offenheit ein und versuchte sie denen zu gewähren, die er liebte. "Unfassbar ist der Mensch, den man liebt", schrieb er und wusste: "Nur die Liebe erträgt ihn so."

Service

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110510 Gedanken für den Tag / Klara Obermüller
Länge: 02:41 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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