Gedanken für den Tag

von Barbara Kovar. "Irrgärten, Leuchtschriften"

Barbara Kovar ist Studentin und Ö1 Hörerin.

Die Wiener Studentin Barbara Kovar sieht im modernen Leben in der Großstadt mit ihren Leuchtreklamen und Möglichkeiten ein Sinnbild für ihre eigene Lebensphase: die Jugend. Geprägt ist diese Lebensphase für sie vom Bedürfnis, auch in diesem Alter schon Spuren zu hinterlassen, die eigene Erfahrungswelt auszuloten, der Suche nach Sinn, die manchmal auch im Unsinn gipfelt. Jung zu sein, kann auch bedeuten, dass das eigene Leben noch nicht in fixen Bahnen verläuft, dass man Entscheidungen treffen muss zwischen oft sehr unterschiedlichen Lebenskonzepten. Diese Phase, in der noch so viele Möglichkeiten offen zu stehen scheinen, mag vielen Erwachsenen beneidenswert erscheinen.

Von vielen jungen Menschen wird sie aber auch als Belastung empfunden: Welches Lebenskonzept passt zu mir? Wie nütze ich die Chancen und Möglichkeiten, die sich mir bieten, am besten? Richtungsweisende Entscheidungen, die oft Bedeutung für das ganze weitere Leben haben, wollen getroffen werden. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Atempausen, nach Entlastung und Muße - und sei es nur einmal ein paar Stunden in einem Flugzeug zu sitzen, abgeschnitten von Handy und Laptop. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Aufzuwachen in dem Wissen, man habe verschlafen, ist ein schreckliches Gefühl, vor allem dann, wenn man sich gerade von diesem Tag so einiges erwartet hat. So beginnt dieser Morgen also mit einer Niederlage, vor diesem Tag, vor mir selbst, vor all den anderen, die die Früh zu nutzen wussten, bin ich heute also von Anfang an gescheitert? Gescheitert in einer Gegenwart, die wenig Platz zum Scheitern lässt; soll man doch immer wissen, was man will und wozu, nur ja nicht vage bleiben, sich beständig an eine Welt anpassen, die selbst an Beständigkeit verliert. Was also nun? Wieder finde ich mich am Fuße eines Berges unendlicher Möglichkeiten diesen Tag - obwohl ich verschlafen habe - und mein weiteres Leben zu gestalten, da ich nicht recht weiß, wo anzufangen, würde ich am liebsten noch ein bisschen liegen bleiben. Was nämlich, wenn ich die falsche Entscheidung treffe? Wenn alle Bestrebungen, Ziele und Pläne, alle Versuche, sich selbst zu erklären, im Laufe der Zeit in einer Sackgasse enden? Vielleicht aber liegt gerade in diesen Spekulationen das eigentliche Scheitern, entdeckt man doch keine Erdteile ohne den Mut, alle Küsten aus den Augen zu verlieren, wie es beim französischen Schriftsteller André Gide heißt. Das Laufen gegen Wände bringt immerhin das Wissen um deren Undurchdringbarkeit, das Stehenbleiben dagegen heißt, einen nicht abschätzbaren Verlust auf sich zu nehmen: Den Verlust des Gewinns, den ein solches Wagnis möglicherweise eingebracht hätte. Unsere Ausweglosigkeit macht ja auch immer neue Wege breit: Wenn das eine nicht geht, fängt das andere an. Oder, um es mit Bob Dylan zu sagen "There is no success like failure - es gibt keinen größeren Erfolg als zu scheitern". In jedem Fall will ich morgen früher aufstehen.

Service

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Sendereihe

Playlist

Titel: Ansage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

Titel: GFT 110526 Gedanken für den Tag / Barbara Kovar
Länge: 02:42 min

Titel: Absage "Gedanken für den Tag"
Länge: 00:10 min

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