Gedanken für den Tag

von Peter Strasser. "Es gibt solche Tage ..." - Gedanken eines Philosophen

Der Himmel ist der Himmel - was sonst? - mit Wolkentupfern drauf. Wenn man aber Philosoph ist, kann es durchaus vorkommen, dass man am Frühstückstisch - mit Blick auf den Himmel - beginnt, über die "Transzendenz des Ego" nachzudenken. Oder beim Warten auf Frau und Tochter vor einem Modegeschäft beim samstäglichen Einkaufsbummel taucht plötzlich die Frage nach Sein oder Nichts auf.

Peter Strasser ist Professor am Institut für Rechtsphilosophie der Karl-Franzens-Universität in Graz und beschäftigt sich in seiner Arbeit unter anderem mit den philosophischen Grundlagen der Kriminologie und der praktischen Ethik sowie der Religionsphilosophie. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Das wirklich Wirkliche
Nervöser Einkaufssamstag. Ich stehe im Regen. Meine Frau und meine Tochter sind in einem Modegeschäft verschwunden. Gelangweilt denke ich an Heidegger, der sich über die tiefe Langeweile verbreitete. In der tiefen Langeweile, sagt Heidegger, treffen wir auf das Sein. Oder auf das Nichts? Ich versuche, mir die tiefe Langeweile auszumalen.
Das fällt mir aber schwer, denn während ich mir die tiefe Langeweile auszumalen versuche, indem ich auf meine regennassen Hände starre, schwindet meine Langeweile dahin. Dennoch bin ich, im Starren auf meine regennassen Hände, missgestimmt. Wie konnte ich vergessen, worauf wir laut Heidegger im Zustand der tiefen Langeweile stoßen, auf das Sein oder das Nichts?
Ich stehe da. Kein Sein, kein Nichts. Stattdessen heftiges Treiben, banale Einzelheiten. Mir kommt vor, Heidegger hat alles herbeigeredet. Das Sein, das sich entbirgt. Das Nichts, das nichtet. Der Mensch als Sorge. Da höre ich hinter mir, endlich, meine Frau und meine Tochter. Aus dem Modegeschäft kommend, rufen sie mir gutgelaunt jene Frage zu, die jedem, der bereits einmal vor einem Modegeschäft wartend über die tiefe Langeweile meditierte, in höchstem Maße provokativ anmuten muss: "Hat's lange gedauert?"
Vor meiner tropfenden Nase schwenkt meine Tochter Einkaufssäcke hin und her. Sie will, dass ich sie frage, was sie sich gekauft habe. Erst wenn ich sie frage, was sie sich gekauft habe, wird das, was sie sich gekauft hat, wirklich wirklich. Jedenfalls hat mir meine Tochter diesen allerexistenziellsten Punkt der Existenz eines jeden guten Einkaufsbegleiters so und nicht anders erklärt. Und natürlich frage ich sie. Und schon habe ich Heidegger vergessen.

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Titel: GFT 110709 Gedanken für den Tag / Peter Strasser
Länge: 03:45 min

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