Gedanken für den Tag

von Julian Heidrich. "Warum wahre Helden nie die Autobahn nehmen"

Julian Heidrich ist Musiker, Texter und Jungredakteur. Im Winter 2010 zählte er zu den Finalisten der ORF-Show "Helden von Morgen".

In den "Gedanken für den Tag" erzählt der 19-Jährige Anekdoten aus dieser Zeit und welche Erkenntnisse er daraus für sein eigenes Leben gewonnen hat: wie wichtig ist es, Helden zu haben, zahlt es sich aus, selbst einer zu werden und wenn ja, wie geht man das am besten an? Ein sehr persönlicher und etwas anderer Blick hinter die Kulissen einer großen Castingshow und in den Kopf eines 19-Jährigen, der in dieser Welt Fuß zu fassen versucht.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Guten Morgen, have a nice day!, sagt Hugo jeden Morgen zu mir, während ich die Treppen zur U-Bahn hinunterlaufe. Hugo ist Augustinverkäufer, die U-Bahnstation Schottenring ist sein Arbeitsplatz, dort steht Hugo jetzt schon seit mittlerweile acht Jahren. Genauso lange wartet er schon auf einen positiven Asylbescheid.
 
Ich erinnere mich noch daran als Hugo mir vor langer Zeit, ich war damals halb so groß wie heute, das erste Mal die Hand geschüttelt hatte. Seit damals verging kein Tag an dem mich Hugos Lächeln nicht von Neuem daran erinnerte, wie privilegiert ich leben darf, wie viel Glück ich habe zufälligerweise auf diesem Fleck der Erde geboren zu sein.
 
Jeden Morgen blätterte Hugo in den Tageszeitungen, die direkt gegenüber von seinem Standplatz aufgelegt sind. Wenn ihm unter den vielen Artikeln einmal das Wort Asyl unter die Augen kam, fragte er mich meist am Heimweg von der Schule ob ich ihm helfen könnte den Artikel zu lesen - jedes Mal hoffte er insgeheim gute Nachrichten zu bekommen. Das Gegenteil war meist der Fall. Und dann von einem Tag auf dem anderen war Hugo nicht mehr da. Doch wo sucht man jemanden, von dem man nicht einmal den Nachnamen weiß?
 
Circa eine Woche später tauchte Hugo wieder auf. Er hatte ein neues Wort gelernt: Schubhaft. Er schrieb er es mit zittrigen Händen auf die Rückseite seines Augustin - sein freundlicher Blick war mit diesem Tag verschwunden. Jetzt verstand ich, dass Hugos Lachen nicht von Innen kam. Er erzählte von seiner Heimat Nigeria, wo er ein angesehener Computerfachmann war, vom Bürgerkrieg, Bomben, seiner Verfolgung, seiner Flucht. Und er erzählte von den Jahren in Österreich, dass die meisten Menschen in ihm nur "den Fremden" sehen und dass es das Schlimmste auf Erden sei keine Heimat mehr zu haben.
 
Ich erinnerte mich an ein paar Zeilen aus Herbert Grönemeyers gleichnamigem Song.
 
blick zum boden, kein kontakt
 
die schwächsten abgehakt
mit sich selbst unversöhnt
sich um asyl gebeten, abgelehnt
 
die seele verhökert, alles sinnentleert
keine innere heimat,
keine heimat mehr
 
Auch von Hugo habe ich eine wichtige Lektion gelernt:
Echte Helden teilen Ihre Heimat mit den Heimatlosen.

Service

Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).

Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110713 Gedanken für den Tag / Julian Heidrich
Länge: 03:49 min

weiteren Inhalt einblenden