Gedanken für den Tag

von Guido Tartarotti. "Sommerliche Atempause"

Natürlich entlässt einen der Alltag im Sommer nicht automatisch aus seinen Fängen - nur weil draußen vielleicht die Sonne scheint. Und die Arbeit kann man im Normalfall auch nur für maximal ein paar Wochen ruhen lassen. Man ist ja schließlich kein Schulkind mehr. Und doch: Der Sommer bietet da und dort die Gelegenheit, Abstand vom Gewohnten zu nehmen, Unterbrechungen zuzulassen und sich auch die Zeit zu nehmen, tiefer zu gehen und sich ein bisschen damit zu beschäftigen, was einem wirklich wichtig ist - vielleicht sogar Fragen, die nicht nur diese Welt betreffen, zuzulassen.

Guido Tartarotti ist von Beruf Journalist. Abends treibt er sich, wie er selbst sagt, oft auf Bühnen herum: als Kabarettist. Nach dem Überraschungserfolg von "Über Leben - Escape From Meerschweinchenkäfig" hat er sein zweites Programm "Daneben" der kabarettistischen Auseinandersetzung mit den absurden Seiten des Journalismus gewidmet. Und wenn Tartarotti "ganz besonders unvorsichtig gelaunt" ist, tritt er zudem als Sänger und Gitarrist seiner Band NOW auf. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Ich glaube, der Tod sieht aus wie der Sommer.
Der Tod ist ja kein Skelett, so unsubtil ist der nicht. Ich glaube, der Tod ist blond und heiß und prall und gesund. Es ist ja das Schöne, welches auf die Vergänglichkeit verweist, nicht das Hässliche. Und der Sommer ist nichts anderes als ein Hinweispfeil Richtung Herbst.
Wir schenken unseren Kindern nicht das Leben, sagt der Schriftsteller Janosch, wir schenken ihnen den Tod. Das Leben ist die Infektion mit dem Tod, und niemand hat "Hier" gerufen, als die Frage gestellt wurde, wer gerne leben möchte.
Hier drängt sich die Frage nach der Religion ins Zimmer. Zum Glück, wir haben schon auf sie gewartet.
Die Qualität einer Religion misst man in der Linderung der Angst vor dem Ende des Lebens. Beziehungsweise der Linderung der Angst vor dem Ende des Sommers.
Mein Freund Stefan glaubt fanatisch an die Existenz des Nichtgottes. Leider fehlt ihm die wichtigste Eigenschaft für die Ausübung des Atheismus - die würdevolle Verachtung von Leben und Tod. Der Stefan hat buchstäblich eine Heidenangst vor dem Tod. Originellerweise arbeitet er in einer Versicherung. Dieser Beruf nimmt ihm zwar nicht die Angst, aber dafür ist er lustig. Die schönste Schadensmeldung, die der Stefan je bekam, lautete so: Die Katze hat mir in die Stube gekackt. Als ich es bemerkte, wollte ich sie mit einem Fußtritt unter dem Tisch hervorholen, aber anstatt dass ich die Katze traf, brach ich mir an einem Tischbein die Zehe, und die Katze schaute ganz verschmitzt unter dem Tisch hervor und gönnte es mir.
Stefans größte Angst ist, dass es doch einen Gott geben könnte, der ihm seinen Nichtglauben übel nehmen würde.
Im Unterschied zu Stefan war mein Großvater ein katholischer Fundamentalist, der entsetzt war, dass der Glaube an Gott in Österreich nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Mein Großvater starb vor einigen Wochen im 94. Lebensjahr, versehen mit den Tröstungen unserer heiligen Mutter Kirche. Er starb in großer Angst vor dem Danach: Was, wenn doch kein Gott auf ihn wartete? In seinen allerletzten Lebensjahren befielen meinen Großvater nagende Zweifel an seiner Religion. Diese Zweifel fand ich sympathischer als den stählernen Glauben seines Lebens.
Frage: Kann Gott einen Sommer schaffen, der so lange ist, dass Er selbst ihn nicht beenden kann? Wenn nein, dann ist Er nicht allmächtig. Wenn ja, dann ist Er auch nicht allmächtig.
Vielleicht ist das Paradies ja ein ewiger Ferienclub, mit verschiedenfarbigen Armbändern, die je nach Lebensführung zum Konsum kleinerer oder größerer Schirmchendrinks berechtigen.
Vielleicht ist der Tod ja Urlaub vom Leben.

Service

Guido Tartarotti

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110726 Gedanken für den Tag / Guido Tartarotti
Länge: 03:50 min

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