Gedanken für den Tag

von Guido Tartarotti. "Sommerliche Atempause"

Natürlich entlässt einen der Alltag im Sommer nicht automatisch aus seinen Fängen - nur weil draußen vielleicht die Sonne scheint. Und die Arbeit kann man im Normalfall auch nur für maximal ein paar Wochen ruhen lassen. Man ist ja schließlich kein Schulkind mehr. Und doch: Der Sommer bietet da und dort die Gelegenheit, Abstand vom Gewohnten zu nehmen, Unterbrechungen zuzulassen und sich auch die Zeit zu nehmen, tiefer zu gehen und sich ein bisschen damit zu beschäftigen, was einem wirklich wichtig ist - vielleicht sogar Fragen, die nicht nur diese Welt betreffen, zuzulassen.

Guido Tartarotti ist von Beruf Journalist. Abends treibt er sich, wie er selbst sagt, oft auf Bühnen herum: als Kabarettist. Nach dem Überraschungserfolg von "Über Leben - Escape From Meerschweinchenkäfig" hat er sein zweites Programm "Daneben" der kabarettistischen Auseinandersetzung mit den absurden Seiten des Journalismus gewidmet. Und wenn Tartarotti "ganz besonders unvorsichtig gelaunt" ist, tritt er zudem als Sänger und Gitarrist seiner Band NOW auf. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Urlaubsreisen mag ich nur vorher und nachher, aber nie währenddessen. Währenddessen finde ich das Reisen immer zu heiß, zu gefährlich, man sitzt zu hart, man liegt zu weich, man kriegt Durchfall. Ich bekomme auf Reisen überall Durchfall, sogar in Deutschland. Ich bekam überhaupt noch nie nicht Durchfall, auf Reisen.
Dennoch reise ich viel. Zu schön ist die Vorfreude, zu schön ist die Nachfreude. Auf einem türlosen, wasserlosen, papierlosen Häusl in Havanna zu sitzen, wird in der Rückschau plötzlich zur Anekdote, obwohl man währenddessen am liebsten gestorben wäre.
Einmal habe ich im Paradies geurlaubt. Das Paradies liegt in der Karibik, einen Katzensprung vor Venezuela, nur, dass die Katzen hier nicht springen, sondern tot über den Zaun hängen. Das Paradies ist auch sehr schön, auch sehr heiß und wie immer zu paradiesisch, um angenehm zu sein.
Das Problem auf Urlaubsreisen sind die Touristen. Natürlich ist man selber auch Tourist, würde es aber nie zugeben. Niemand ist Tourist, so wie auch niemand den Musikantenstadl sieht oder Pornofilme.
Touristen setzen sich zum Dinner in Badeschlapfen und Boxershorts an den festlichen Tisch. Touristen kommen direkt vom Morgensport zum Frühstück, eine Schweißspur durch den Speiseraum ziehend. Touristen stehen fünf Stunden lang im Wasser an der Poolbar, trinken 27 Cuba-Libres und gehen dabei nicht einmal aufs Klo, was zwingend bedeutet, dass....
Warum tun Touristen Dinge, die sie zu Hause nie täten - seht, da spuckt einer sein Würstchen auf den Boden!? Warum bedeutet Urlaub für sie, sich schlecht zu benehmen? Die Antwort weiß ausgerechnet mein nicht gerade weit gereister Vater: "Weil sie sich zu Hause nur gut benehmen, weil sie müssen - nicht, weil sie es gern tun."
Man kann natürlich auch im Zelt schlafen. Als Kind stellte ich mir so den idealen Urlaub vor: Man packt einen Rucksack und marschiert in die weite Welt. Und zwar genau fünf Meter, stellt sein Zelt im Garten unterm Tannenbaum auf und lebt in der Wildnis, keine 20 Sekunden entfernt von Mutters Kaiserschmarrn, dem eigenen Klo und einem weichen Bett.
Meine ersten Erfahrungen als Zelturlauber machte ich als 13-Jähriger: Fünf Wochen (!) Camping in den Dünen Apuliens. Man wohnt auf Sand, sieht nur Sand, isst, trinkt, atmet und denkt Sand. Als ich danach zum ersten Mal wieder ein Klo mit Wasserspülung sah, brach ich vor Freude in Tränen aus. Glück kann so einfach sein: Die Abwesenheit von Sand.

Service

Guido Tartarotti

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110728 Gedanken für den Tag / Guido Tartarotti
Länge: 03:49 min

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