Gedanken für den Tag

von Rudolf Taschner. "Sechs Fragen zur Gerechtigkeit"

"Was ist denn schon gerecht? Der Ort unserer Geburt? Unsere Herkunft? Unsere Gene, die scheinbar Schicksal spielen? Der Zufall, der uns vor einem Unglück bewahrt, oder uns über Nacht zum Millionär werden lässt?", das fragt Rudolf Taschner, Professor an der Technischen Universität Wien, Betreiber des "math.space"-MuseumsQuartiers und Autor des Buches "Gerechtigkeit siegt - aber nur im Film".

Gerechtigkeit auf dieser Welt gebe es nicht, meinen hoffnungslose Realisten. Doch das eigene Glück hängt nicht unbedingt davon ab, wie groß das Stück vom Kuchen ist, das man selbst abbekommt, hält der Mathematiker Rudolf Taschner dagegen und gibt einige Denkanstöße mit auf den Weg.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Gerechtigkeit und Gesetz

Gerüst aller staatlichen Ordnung ist ein Gesetzeswerk. Doch es irren diejenigen, welche meinen, Gesetze irgendwelchen Vorbildern aus der Natur entnehmen zu können. Gleichsam als ob man wüsste, wie die paradiesische Ordnung beschaffen sei, und man diese nur nachzubilden habe. In der Tat sind Gesetze keinem übergeordnetem Gerechtigkeitssinn entnommen. Sie sind bloß willkürliche Setzungen, auf die man sich einigt. Ziel der Gesetze ist allein das reibungslose Funktionieren des Staates. Dies gelingt dann, wenn seine Bürger vor drohendem Übel geschützt werden.

Recht und Moral sind voneinander unabhängig. Gerechtigkeit gehört zur Moral. Gerechtigkeit hat nichts mit dem Recht zu schaffen.

Ein Beispiel: Ab wann beginnt ein Wesen Mensch zu sein? Ab dem Augenblick, in dem das Sperma des Mannes in die Eizelle der Frau dringt? Ab dem dritten Monat der Schwangerschaft? Ab der Beseelung, die laut Thomas von Aquin bei Buben am 40.Tag und bei Mädchen am 90.Tag nach der Empfängnis stattfindet? Ab dem Einsetzen der Eröffnungswehen? Ab dem Durchschneiden der Nabelschnur? Moraltheologen bemühen sich, diese Frage sachgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. Aus rechtlicher Sicht ist die Antwort durch eine willkürliche Bestimmung von Seiten des Gesetzgebers gegeben. Natürlich mit gravierenden Folgen. Denn sobald ein Wesen ein Mensch ist, genießt es die für einen Menschen geschaffenen Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Leben.   

Wobei auch dieses Recht auf Vereinbarung beruht und nicht seit Ewigkeit besteht. Auch die Menschenrechte sind Übereinkünfte, so sinnvoll sie auch sein mögen. Denn Gesetz und Gerechtigkeit hausen in verschiedenen Etagen.

Service

Buch, Rudolf Taschner, Gerechtigkeit siegt - aber nur im Film, Ecowin Verlag

Wenn Sie diese Sendereihe kostenfrei als Podcast abonnieren möchten, kopieren Sie diesen Link (XML) in Ihren Podcatcher. Für iTunes verwenden Sie bitte diesen Link (iTunes).

Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110810 Gedanken für den Tag / Rudolf Taschner
Länge: 03:49 min

weiteren Inhalt einblenden