Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg. "Von Venus, Maria und Lucretia" - Frauenbilder in Kunst und Leben

Die Frau als verführerische Venus oder als entrückte Himmelskönigin? Der jahrhundertalte "männliche Blick" auf die Frau spiegelt sich auch in der Kunst.

Die Kunstkritikerin Johanna Schwanberg setzt sich in den "Gedanken für den Tag" - ausgehend von einem "Maria Himmelfahrt-Gemälde" - mit der Frage auseinander, wie Frauen gesehen werden und wie sie sich selbst sehen. Dabei zeigt Schwanberg anhand von Meisterwerken verschiedener Künstlerinnen und Künstler im Lauf der Jahrhunderte auf, dass die Darstellung von Frauen zu den spannendsten Themen der Kulturgeschichte gehört. Denn seit den frühesten bekannten Frauendarstellungen, wie der Venus von Willendorf, spiegeln die Kunstwerke immer die gesellschaftspolitische Struktur und die Rollenbilder einer Zeit.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Als Kind war ich mit meinen Eltern oft auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Venedig. In Erinnerung ist mir von all diesen Besuchen vor allem ein Bild geblieben, das wie ein Fixstern immer in Venedig war. An dem riesigen Altargemälde in der Frari-Kirche begeisterten mich drei Dinge: Die leuchtenden Farben, die extreme Aufwärtsbewegung und die Hauptfigur: Eine schwebende junge Frau mit ausgebreiteten Armen, die unschwer als Mutter von Jesus zu erkennen ist, und deren Fest "Maria Himmelfahrt" die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche ja gestern gefeiert haben. Auf diesem Bild ist Maria der absolute Mittelpunkt des Geschehens und wird von Engeln auf Wolken zum Himmel geleitet. Dort empfängt sie ein weißbärtiger Gottvater. So schlimm kann der Tod also nicht sein, habe ich mir damals als Mädchen naiv gedacht, wenn eine Himmelfahrt so gesellig und warmherzig zugeht und sich alles um eine Frau dreht.

Tizian hat die sogenannte "Assunta" um das Jahr 1516 gemalt. Angeblich waren die Fratres, die den Auftrag erteilt hatten, zunächst gar nicht begeistert. Zu ungewohnt, zu körperlich war das Bild. Bald darauf wurde es aber aufgrund seiner Lebendigkeit als Inbegriff einer neuen sakralen Kunst gefeiert. Dass Tizian seine Innovationen gerade an einem Marien-Thema probierte, ist kein Zufall. Denn Maria, die in der Bibel kaum beschrieben wird, ist für Künstler die Figur mit dem meisten Gestaltungsspielraum.

Das Christentum ist die einzige der drei monotheistischen Religionen, in denen neben der Verehrung von männlichen Gottes-Bildern die Verehrung einer Frau, der sogenannten Gottesmutter Maria, toleriert und gefördert wurde. Maria ist daher auch die Frauengestalt der Kunstgeschichte schlechthin. Einmal blond, einmal braunhaarig, einmal mager, einmal füllig, einmal stärker vergeistigt, einmal stärker irdisch. Maria hat im Laufe der Jahrhunderte viele Gesichter bekommen. Diese vielen Gesichter bilden das jeweilige Frauenbild einer Zeit ab und machen bewusst, dass es einem ständigen Wandel unterliegt.

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Titel: GFT 110816 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:49 min

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