Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell. "Ende eines Sommers"

"Die Pfirsiche sind geerntet, die Pflaumen färben sich, / während unter dem Brückenbogen die Zeit rauscht" (Günter Eich).

Landschaften, Gerüche, Kindheitserinnerungen - die erste Ernte, die letzten Badetage und die Einsicht, dass der Sommer zur Neige geht. Der Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell macht sich sehr persönliche Gedanken über die zweite Hälfte des Sommers, des Jahres und des Lebens.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

"Gewaltig endet so das Jahr / Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten" - so beginnt Georg Trakls Gedicht "Verklärter Herbst". Beim Weinpressen konnte ich in meiner Kindheit im Salzburger Land zwar nicht zuschauen, doch die Frucht der Gärten war etwas Besonderes auf 817 Meter Seehöhe, wo wir oft bangten, ob die Paradeiser bald ganz reif sein oder vorher noch vom Frost heimgesucht würden. Und auch die ersten Äpfel waren ein Ereignis. Weil sie gegen Ende August reif wurden und am 24. August in der katholischen Kirche das Fest des Heiligen Bartholomäus gefeiert wird, hießen sie in unserem Dialekt "Bachtlmä-Epfi". Man musste sie schnell essen und verarbeiten, denn die meisten fielen vom Baum und waren angeschlagen; sie hielten nicht lange. Aber Äpfel konnte man damals noch nicht verfaulen lassen.

Vor gut zwei Wochen habe ich nach vielen Jahrzehnten wieder solche Äpfel zu essen bekommen - in Niederlitauen, jenem Teil des Landes, wo zu Ehren des Heiligen Bartholomäus große Feste gefeiert werden. Und das Land ist so voll mit diesen Äpfeln, dass es schwer wäre, sie nicht zu kosten, wurde mir gesagt. Mir haben sie einen Geschmack der Kindheit zurückgebracht - und die genaue Erinnerung an einen bestimmten Platz am Feld neben der Kirche und einen Baum, unter dem ich oft nach Äpfeln gesucht habe - "Epfi klauben" hat das damals geheißen. In Litauen ist das alles nicht so idyllisch. Dort leben - wie in vielen Ländern Europas - nicht wenige Menschen, vor allem Pensionisten, die um alles froh sind, was sie zu essen bekommen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Ich fühle mich ihnen verbunden, weil ich selbst noch eine Zeit kennen gelernt habe, wo uns der Mangel das Gebet ums Essen diktiert hat, nicht das Gebetbuch. Damals war Erntedank ein großes und sehr nachvollziehbares Fest. Meinen Kindern werde ich das wohl kaum je vermitteln können. Für das urbane Leben hat der Katholizismus ja auch nie solche Feste hervorgebracht.

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Titel: GFT 110831 Gedanken für den Tag / Cornelius Hell
Länge: 03:47 min

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