Gedanken für den Tag

von Magdalena Miedl. "Faszination Film" - Irrsinn und Glück

Anlässlich des Filmfestivals "Viennale" spricht die Journalistin Magdalena Miedl in den "Gedanken für den Tag" über die Faszination, die von den bewegten Bildern ausgeht, vom "Camera Obscura" Kino.

Sie beschreibt dabei aus eigenem Erleben den Irrsinn und das Glück, das ein Filmfestival für Leib und Seele bedeuten kann, wenn sich das eigene Leben in den Bildern auf der großen Leinwand widerspiegelt oder ein Film dazu einlädt, sich mit dem ganz Anderen zu konfrontieren.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Den ganzen Tag Filme anschauen. Für viele klingt das verlockend, eher nach Vergnügen als nach Arbeit. Doch im Grunde ist ein Filmfestival für den menschlichen Körper eine Zumutung. Das erste Mal, als ich zur Berlinale fuhr und täglich in einem Onlinemagazin beschrieb, wie das Festival mich überwältigte, bekam ich besorgte Anrufe von daheim: Ob ich auch genug essen würde. Und dass ich mich doch schonen solle.

Dass Filme einem an die Substanz gehen können, hat aber auch mit ganz anderen Dingen zu tun. Kino lässt einen nicht kalt. Obwohl ich doch inzwischen abgehärtet sein müsste, passiert es mir immer noch, dass mich Filme zum Weinen bringen. Das ist mir natürlich peinlich den anderen Filmjournalisten gegenüber, die selbst versuchen, geräuschlos ins Taschentuch zu schnäuzen - so als wäre es unprofessionell, sich von einem Film berühren zu lassen. Immer noch kaue ich mir bei manchen Filmen die Lippen wund vor Nervosität. Und immer noch passiert es, dass ich während eines Horrorfilmes laut aufschreie vor Schreck, zum Amüsement meiner Sitznachbarn.

Aber es ist ja nichts passiert, es ist ja nur ein Film! Dieses wohlige Gruseln, die Lust an der Angst, ist ein Urgefühl, das großen Reiz ausübt. Ich erinnere mich an hochsommerliche Zeltübernachtungen in meiner Kindheit, wenn wir einander Schauergeschichten erzählt haben, obwohl wir danach kaum einschlafen konnten. Hans Hurch, der Direktor der Viennale, hat mir einmal gesagt: "Ich glaube dass sich jeder Mensch gern im Kino fürchtet, denn hier kann man sich fürchten, ohne dass es Folgen hat. Die Angst ist etwas Typisches im Kino, nicht umsonst findet Kino in einem dunklen Raum statt, dort, wo man als Kind eigentlich Angst gehabt hat."

Billy Wilder soll einmal gesagt haben, dass ihn Kinobesuche davor bewahrt haben, zum Psychiater zu müssen. Im Kino können wir Ängsten gegenübertreten und sie durchleben, ohne dass Konsequenzen drohen - Ängste weit jenseits der Monster unterm Bett, Ängste, die mit dem Verlust eines geliebten Menschen zu tun haben oder mit dem Hereinbrechen einer Naturgewalt. Es ist ein erlösendes Gefühl, wenn ich die Angst überstanden und bezähmt habe. Wie auf dem Jahrmarkt, wenn ich mit wackeligen Knien aus der Geisterbahn stolpere und lache. Dann bewahrheitet sich für mich selbst spürbar, was Aristoteles einst als Ziel der Tragödie definiert hat: die Katharsis, die Läuterung der Seele durch Rührung und Schauder.

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Playlist

Titel: GFT 111021 Gedanken für den Tag / Magdalena Miedl
Länge: 03:49 min

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