Gedanken für den Tag

von Manfred Scheuer. "Einbrechen in die Felder der Gewohnheit"

Der Advent kann eine Aufbruchszeit sein, eine Einladung, der Hoffnung auf der Spur zu bleiben und mit der Verheißung Gottes zu rechnen, ist der Theologe und katholische Bischof Manfred Scheuer überzeugt.

Wem dies gelingt, der oder die wird hellhörig für das, was andere wirklich zu sagen haben, ein Mensch, der aufnahmefähig und bereit ist, selbst mitten im Lärm die leisen Botschaften mitschwingen zu hören. Solche hörende Menschen werden dann vielleicht auch die Botschaften wahrnehmen, die die biblischen Adventtexte enthalten, sie werden sich anregen und infrage stellen lassen. Und vielleicht werden sie aufbrechen aus dem allzu Gewohnten, dem allzu Eingefahrenen.

"Wenn die Propheten einbrächen durch Türen der Nacht, mit ihren Worten Wunden reißend, in die Felder der Gewohnheit, Ohr der Menschheit würdest du hören?", so drückt der Bischof mit der Dichterin Nelly Sachs die radikale Anfrage aus.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Glotzen und Schauen

In der Werbung, in den Medien spielt das Auge, bzw. spielt das Sehen eine herausragende Rolle. Die vielen optischen Reize und Angebote sind freilich ambivalent. Wird die Wahrnehmung nur auf einen reduzierten Blickwinkel des Glatten und Schönen geschaltet, werden Lebensinhalte auf Unterhaltungsergiebigkeit getestet, dann entstehen neue Formen der Blindheit, der Abstumpfung und der Unempfindlichkeit. Dann hat man das Sehen verlernt und kann stattdessen - nach einem Wort von Bert Brecht - nur noch Glotzen. Oder das verliebt Sein in das eigene Spiegelbild lässt auf nichts anderes und niemanden anderen mehr achten als auf sich selbst.

Am Beispiel des Jesus von Nazareth, auf dessen Geburtsfest sich Menschen in diesen Tagen weltweit vorzubereiten beginnen, geht eine andere Sehweise auf. Er sah nicht nur in der Schönheit der Lilien auf dem Feld und in der Nahrung, welche die Vögel des Himmel finden, ein Zeichen für die Sorge und Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen (Mt 6,26f): auch die Begebenheit seiner Zeit, wie z.B. den Zusammenbruch eines Turmes (Lk 13), vernahm er als einen Anruf Gottes, der damit den Menschen zur Umkehr bewegen will. Nicht distanzierte Konsumhaltung charakterisierte Jesu Einstellung zur begegnenden Wirklichkeit, sondern Aufmerksamkeit und Durch-Blick auf das eigentlich Erscheinende. - Mit Jesu Blick ist noch eine andere Form des Sehens verbunden. Er lehrt eine Mystik der offenen Augen und damit der unbedingten Wahrnehmungspflicht für das Leid anderer. Menschen sehen und doch übersehen, Not vorgeführt bekommen und doch ungerührt bleiben, das gehört zu den Kälteströmen der Gegenwart. Jesu Sehen, so habe ich es erfahren und das ist mein Glaube, führt in menschliche Nähe, in die Solidarität, in das Teilen der Zeit, führt zum Teilen der Begabungen und auch der materiellen Güter.

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 111129 Gedanken für den Tag / Manfred Scheuer
Länge: 03:50 min

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