Gedanken für den Tag

Von Konstanze Fliedl. "Dichte Diagnosen" - Zum 150. Geburtstag Arthur Schnitzlers. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seine Befunde zur Gesellschaft der späten Habsburgermonarchie und der Ersten Republik hat Arthur Schnitzler in einer sehr speziellen Handschrift festgehalten. Hellhörig hat er die Rhetorik von Liebe und Politik aufgezeichnet, die Vermarktung von Körper und Psyche dargestellt. Gegenüber den Lügen im Öffentlichen und im Privaten blieb er bei der Überzeugung von der Verantwortung für das Wort. Darin besteht die Aktualität von Schnitzlers Werk bis heute.

Schnitzlers Schrift

Arthur Schnitzlers Handschrift ist berühmt für ihre Unleserlichkeit. Man hat sie, als "Ärzteschrift", auf sein Medizinstudium und seine kurze klinische Praxis zurückgeführt. Aber ihr verschliffener Duktus findet sich in sowohl in den Werkmanuskripten als auch in seiner Korrespondenz. Einem Schreiben an den Berliner Regisseur Otto Brahm hat Schnitzlers Frau einmal folgende Bemerkung hinzugefügt: "Der Brief meines Gatten ist, ich versichere Sie, von sprühendem Witz, es ist nötig, das zu sagen, denn Sie werden ihn nicht lesen können". Auch aus diesem Grund sind viele tausend handschriftliche Seiten aus Schnitzlers Nachlass bis heute nicht entziffert. Die Geschichte dieses Nachlasses selbst ist dramatisch: Er wurde nach Schnitzlers Tod 1931 in einem Gartenzimmer seiner Villa in der Wiener Sternwartestrasse aufbewahrt. Als im März 1938 die Deutsche Wehrmacht einmarschierte, veranlasste ein englischer Student, Eric A. Blackall, die Britische Botschaft, dieses Zimmer zu versiegeln; auf diese Weise konnte der Nachlass vor der Gestapo gerettet, nach England verschifft und an der Cambridge University Library verwahrt werden, wo sich Schnitzlers Werkmanuskripte bis heute befinden.

Ihre Lektüre ist nun tatsächlich mühevoll und buchstäblich augenmörderisch; doch Schnitzlers Arbeitsprozess dokumentieren sie auf ungemein aufschlussreiche Weise. Aber im Grunde müssen auch seine im Druck erschienenen Texte erst "entziffert" werden. Denn das Salongeplauder seiner Dramenfiguren tarnt, ebenso wie die diskrete Erzählerstimme, nur die unerbittlichsten Zeitdiagnosen. Schnitzler hat das Kranke und Böse noch in der Auslassung und der Anspielung versteckt; aber seine Werke zeigen zwischen den Zeilen alle Schrecken der Moderne.

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Titel: GFT 120519 Gedanken für den Tag / Konstanze Fliedl
Länge: 03:50 min

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