Gedanken für den Tag

Von Ingo Pertramer. "Mehr als äußerer Schein". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Er hasse nichts mehr "als Menschen, die Fotos interpretieren", hat der österreichische Fotograf Ingo Pertramer einmal in einem Interview gesagt. Denn ein Bild müsse für sich sprechen.

Pertramer gilt als einer der bedeutendsten in Österreich aktiven Porträtfotografen und wird von internationalen Bands heute ebenso gebucht wie von Schauspielern und Kabarettisten. Seine Bilder sprechen eine eigene Sprache, sind unverwechselbar und zeigen von den Porträtierten viel mehr als nur den äußeren Schein.

In den "Gedanken für den Tag" spricht Ingo Pertramer über seinen Blick auf die Menschen, die er fotografiert, über Ehrlichkeit und Vertrauen in der Beziehung zwischen Fotograf und Porträtierten.

Intimität

Viele Fotografen glauben daran, dass man Intimität nur langsam aufbauen kann. Ich mache meine Fotos hingegen sehr schnell, in 15 Minuten ist meist alles fertig. Intimität ist nämlich keine Frage der Zeit oder des Aufwands, sondern des Respekts. Ich kann im Wirtshaus nicht 50 Leute ohne ihr Wissen fotografieren, das ist einfach unredlich. Und ich möchte das auch nicht - schließlich würde ich mich ja auch selbst gegen Fotos von mir verwahren, die ohne meine Zustimmung gemacht werden.

Auf Facebook entwickelt sich momentan eine neue Bilderkultur der Respektlosigkeit. Alle stellen alle möglichen Bilder ein, ohne dass jemand danach gefragt wird, ob er das sehen will, geschweige denn, ob die Porträtierten es wollen, dass sie von ihnen völlig Fremden begafft werden. Vor kurzem hat dort jemand öffentliche Trauerarbeit nach dem Tod seiner Katze geleistet. Das hat in meinen Augen schon etwas Würdeloses, weil kein Gefühl für Distanz und Privatheit mehr vorhanden ist. Für mich ist das nicht Ausdruck von Intimität, sondern eher eine unverlangt in mein Postfach eingesandte Belästigung. Diese Zumutung nötigt mich ja in jedem Fall dazu, mich irgendwie dazu zu verhalten- und sei es durch Ignoranz, die dann als Arroganz oder Gefühllosigkeit ausgelegt werden kann.

Andererseits bin ich als Fotograf ständig mit dem Tod konfrontiert. Nur mein Bild weiß, wie jemand einmal ausgesehen hat. Das hat auch etwas Trauriges. Ich habe bislang auch zwei Menschen porträtiert, die Fotos vor ihrem Dahinscheiden wollten.

Nur wenn man jemandem vertraut, kann man davon ausgehen, dass man letztlich Bilder bekommt, die dem gewünschten Ideal von sich nahe kommen. Die Intimität ist ein Produkt einer Zusammenarbeit, während der grassierende Voyeurismus das Produkt eines einseitigen Interesses ist.

Service

Ingo Pertramer

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 120605 Gedanken für den Tag / Ingo Pertramer
Länge: 03:47 min

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