Da capo: Im Gespräch

"Die Sonne geht nicht auf".
Michael Kerbler spricht mit Hans-Peter Dürr, Physiker und Träger d. alternativen Nobelpreises

Bilder, noch dazu metaphorische Bilder, verschwinden selten aus unserem Sprachschatz. Etwa der Satz: "Die Sonne geht auf." Wir wissen längst, dass die Erde keine Scheibe ist, und die Planeten in Bahnen ziehen, die den Regeln der Naturgesetze gehorchen. Wir wissen, dass die Welt aus kleinsten Teilchen besteht und von diesen zusammengehalten wird. Und der Planet Erde nicht das Zentrum des Universums bildet. Aber unser Denken im Alltag beruht - um nicht zu sagen beharrt - auf einer überholten mechanistischen Weltanschauung. Diese Sichtweise auf die Welt, fordert der Physiker Hans-Peter Dürr, müssen wir ändern. Rasch. Und gründlich. Weder sei die Natur eine Maschine, noch die Zukunft vorhersehbar. Vor allem in der westlichen Welt, so Dürr, werde dieses Weltbild nicht in Frage gestellt. Dies sei allerdings eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass wir die vielfältigen Krisen bewältigen können, mit denen wir konfrontiert sind. Wir müssen, so Dürr, gedankliche Beweglichkeit, Offenheit und Empathie lernen.

Hans-Peter Dürr promovierte bei Edward Teller, bekannt als "Vater der Wasserstoffbombe, und war lange Jahre Mitarbeiter von Werner Heisenberg, dem er als Leiter des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik nachfolgte. Dürr ist überzeugt, dass die Regeln der Quantenphysik keine Regeln einer leblosen, toten Materie sind, sondern dass die Wechselwirkungen quantenphysikalischer Objekte das Leben selbst ausmachten. Neben seiner brillanten Karriere als Physiker hat sich der in Stuttgart geborene Sohn eines Mathematikers vor allem durch sein friedenspolitisches und ökologisches Engagement ausgezeichnet. Als "unbequemer Mensch und Mahner" hat Dürr immer den Grundsatz "Global denken - lokal handeln" vertreten. Dürr selbst sagt, dass ihm ein tibetisches Sprichwort zur Leitlinie wurde: "Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst. Hören wir auf den leise wachsenden Wald verstärkter Verantwortung für den Globus."

Dieser Gedanke hat uns durch das gesamte Gespräch - es wurde vergangenen Woche im Rahmen der "Goldegger Dialoge 2012" im Salzburger Schloss Goldegg aufgezeichnet - begleitet.

Service

Hans-Peter Dürr, "Warum es ums Ganze geht: Neues Denken für eine Welt im Umbruch",Taschenbuch, Fischer-Verlag, Frankfurt (ISBN-10: 3596192765 oder ISBN-13: 978-3596192762)

Hans-Peter Dürr, "Das Lebende lebendiger werden lassen: Wie uns neues Denken aus der Krise führt", Oekom Verlag, München (ISBN-10: 3865812694 oder ISBN-13: 978-3865812698)

Hans-Peter Dürr, "Wir erleben mehr als wir begreifen: Quantenphysik und Lebensfragen", Mitarbeit von Marianne Oesterreicher, Verlag Herder, Freiburg (ISBN-10: 3451059045 oder ISBN-13: 978-3451059049)

GLOBAL CHALLENGES NETWORK - Hans-Peter Dürr
GOLDEGGER DIALOGE - Schloss Goldegg: Dialoge 2012

Hinweis:
Der im Gespräch zitierte englische Dichter aus dem 17. Jahrhundert heißt John Donne. Er ist der Autor des Gedichts "No man is an island". Diese Zeile stammt aus seiner 17. Meditation.

Das Gedicht:
No man is an island, entire of itself
every man is a piece of the continent, a part of the main
if a clod be washed away by the sea,
Europe is the less, as well as if a promontory were,
as well as if a manor of thy friends or of thine own were
any man's death diminishes me, because I am involved in mankind
and therefore never send to know for whom the bell tolls
it tolls for thee.

Hemingway nahm die Schlussworte aus dem Gedicht und machte sie zum Titel seines Romans "Whom the bell tolls" - "Wem die Stunde schlägt".

Diese Meditation findet sich im Original unter folgendem Link:
THE LITERATURE NETWORK - John Donne Meditation XVII, "No man is an Island"

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