Gedanken für den Tag

Von Veronika Zoidl. "Das Surreale und ich". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Das Surreale, das Außer- oder Übernatürliche, hat die 20-jährige Schriftstellerin Veronika Zoidl von Kindheit an fasziniert: seien es Nonsensgedichte, die fantastische Welt der Alice im Wunderland, in der alles möglich scheint, oder das einspruchslose Hinnehmen des Surrealen in Franz Kafkas Erzählung "Die Verwandlung".

Der Einbruch des Surrealen in den Alltag bricht die Welt des Vertrauten, des Logischen und des Selbstverständlichen auf und verweist auf etwas darüber Hinausgehendes, Unfassbares und Transzendentes.

Könnte ich mir Bilder aussuchen, um darin zu leben, so wäre eines davon mit Sicherheit der "Wasserfall" von E.C. Escher. Escher ist bekannt für seine detailreichen Lithographien, die immer ein gewisses Maß an Paradoxie und Surrealität enthalten. Escher führt etwa einen Wasserstrom auf einem unmöglichen Weg zurück in seinen eigenen Ursprung. Das Bild bleibt in all seiner Feinheit ein perspektivisches, unlogisches Rätsel. Dabei interessieren mich weniger die Tricks mit Licht, Schatten und Perspektive, durch die Eschers Bild funktioniert. Faszinierend ist, dass der Wasserfall das einzige Surreale, Unmögliche, in diesem Bild ist, das sonst ohne jede Abstraktheit, vollkommen logisch aufgebaut ist. Ein kleines Haus mit Schornstein, ein Garten mit prächtigen Pflanzen, eine Figur, die Wäsche aufhängt und eine andere, die ins Wasser starrt. Es sind Menschen, die mit diesem Surrealen in ihrer Realität leben. Die Frage, wie es wäre, wenn dieses unlogische, undurchschaubare Fantastische ein Teil meiner Welt wäre, geht mir beim Anblick der Lithographie nicht mehr aus dem Kopf. Wie ein perpetuum mobile fließt das Wasser im Moment des Betrachtens scheinbar immer weiter - der Wasserfall braucht nicht die Zustimmung unserer Vernunft, um weiterzufließen.

Und wie oft befinde ich mich in einem von Eschers Häusern? In einer Situation, in der Dinge geschehen, die wir nicht ganz verstehen und die uns irgendwie an unserem Verstand, mehr als an unserer Sinneswahrnehmung, zweifeln lassen? Manchmal genieße ich es, mich zurückzulehnen, und mit der Füllfeder in der Hand Dinge als surreal zu verstehen, die doch ein Teil meiner Realität sind. Und plötzlich erscheinen mir dann WLAN, Rating Agenturen und Schaufensterpuppen als surreal. Computerspiele, in denen wir Leben leben, die nicht unsere sind.   

Wie von Eschers Bild kann ich dann aber als Betrachterin auch wieder einen Schritt zurücknehmen - und den Wasserfall weiter fließen lassen.

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Titel: GFT 120630 Gedanken für den Tag / Veronika Zoidl
Länge: 03:49 min

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