Gedanken für den Tag

Von Markus Schlagnitweit. "Der Weg ist nicht das Ziel". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seit über 30 Jahren bewegt sich und reist Markus Schlagnitweit, Hochschulseelsorger in Linz sowie Sozial- und Wirtschaftsethiker an der Katholischen Sozialakademie Österreichs, am liebsten zu Fuß. Er durchwandert auf Tausenden von Kilometern ganze Länder, besteigt hohe Berge, findet Wege abseits ausgetretener Pfade.



Von der Gefährlichkeit des Wanderers
Fahrendes Gesindel, Herumstreuner, "Pülcher", - solche wenig schmeichelhaften Bezeichnungen legen Zeugnis davon ab, dass unstet umherziehenden Menschen immer auch mit Argwohn und Misstrauen begegnet wird - seitens der Sesshaften und fest Etablierten. Tatsächlich habe ich neben wunderbaren Zeichen der Gastfreundschaft auch das erlebt auf meinen zahlreichen Wanderungen: dass man mir schon von weitem unmissverständlich anzeigte, ich möge nur ja einen weiten Bogen um das Haus herum machen. Manchmal verschwanden umherstehende Menschen schon bei meinem Herannahen und versperrten das Hoftor oder zeigten mir auf meinen Gruß hin wenigstens demonstrativ den Rücken.

Es gibt offenbar noch immer eine Grundangst des Sesshaften vor dem Nomaden.
Ich kann das gut verstehen. Denn zumindest der freiwillig umherziehende Wanderer stellt schon durch seine bloße Existenz das Leben des Sesshaften in Frage - und alles, was ihm heilig ist: die Bindung an Haus und Besitz, die vielen Dinge, mit deren Hilfe er sich sein Leben praktisch und behaglich eingerichtet hat, für die er aber auch viele Opfer bringt. Es beunruhigt den Sesshaften, dass der Wanderer davon offenbar nur einen Bruchteil benötigt, den er kompakt in seinem "Schneckenhaus", dem Rucksack, mit sich führt. Einer Kultur des festen Besitzes an Boden und Gütern, zumal einer Kultur, in der Sicherheit, klare Ordnungen, aber auch Komfort und Gemütlichkeit hohe Werte darstellen - einer solchen Kultur muss die Existenzweise des Wanderers als subversiv gelten. Der Wanderer unterwandert sozusagen alle stabilen Ordnungen, alle fest in Recht und Tradition verankerten Verhältnisse.

Manchmal frage ich mich deshalb, ob die Amtsträger meiner Kirche wirklich froh sind über den aktuellen Pilger-Boom, und ob sie wirklich wollen, was sie da unter Umständen sogar noch fördern? Aber grundsätzlich müssen sich alle kirchlichen Gemeinschaften immer wieder diese kritische Frage stellen: Wollen wir wirklich sein, was kirchliche Dokumente uns zuschreiben: ein pilgerndes Gottesvolk auf Erden?

Service

Markus Schlagnitweit

Buch, Markus Schlagnitweit, "Boden unter den Füßen. Aufforderung zur Unruhe", Verlag Styria

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