Gedanken für den Tag

Von Markus Schlagnitweit. "Der Weg ist nicht das Ziel". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seit über 30 Jahren bewegt sich und reist Markus Schlagnitweit, Hochschulseelsorger in Linz sowie Sozial- und Wirtschaftsethiker an der Katholischen Sozialakademie Österreichs, am liebsten zu Fuß. Er durchwandert auf Tausenden von Kilometern ganze Länder, besteigt hohe Berge, findet Wege abseits ausgetretener Pfade.


Entscheidung

Weggabelungen gehören zum alltäglichen Leben. Wer seinen üblichen Geschäften nachgeht, kennt im Normalfall die dafür nötigen Wege und nimmt die dabei passierten Abzweigungen kaum mehr bewusst wahr. Wandern lässt einen das eigentliche Wesen von Weggabelungen schon deutlicher erleben: Wer sich da auf bislang unbekannte Wege begibt und an eine Wegverzweigung kommt, dem wird eine klare Entscheidung abverlangt. Niemand kann zwei oder gar mehrere Wege gleichzeitig gehen. Egal, ob nach links oder rechts oder geradeaus, ich muss mich entscheiden. Und wenn ich mich für eine Richtung entscheide, schließe ich damit - zumindest in dem betreffenden Augenblick - alle anderen Möglichkeiten aus. Sogenannte "Mittelwege" gibt es im realen Straßennetz nicht - nicht in dem Sinn, dass sie es einem ersparen würden, sich für ein bestimmtes Ziel und einen bestimmten Weg dorthin zu entscheiden.

Was für das Straßen- und Wegenetz gilt, gilt genau genommen auch für alle anderen Lebensbereiche: In Berufs- und Privatleben, in persönlichen Beziehungen und Fragen der konkreten Lebensführung, auch in der Religion - überall werden einem Entscheidungen abverlangt. Und niemand sollte sich täuschen lassen: Selbst die Wahl eines jener "Mittelwege", die sich in diesen Bereichen doch häufig finden lassen und die so gerne als "golden" bezeichnet werden, selbst so ein Mittelweg verlangt eine Entscheidung - eben die Entscheidung für einen Kompromiss, der weder der einen noch der anderen Seite ganz gerecht wird. Ja, selbst die Verweigerung einer Entscheidung, ein unklares Dahinlavieren zwischen verschiedenen Wegen der Lebensgestaltung ist letztlich eine Entscheidung - die Entscheidung eben für einen windungsreichen, deshalb kaum weiter führenden und kein Ziel mehr erkennen lassenden Weg, der in meinen Augen diesen Namen eigentlich gar nicht mehr verdient. Mit einer klaren Entscheidung für einen Weg gibt man manch andere Möglichkeit auf, gewinnt damit aber auch Klarheit und Freiheit.

Service

Markus Schlagnitweit

Buch, Markus Schlagnitweit, "Boden unter den Füßen. Aufforderung zur Unruhe", Verlag Styria

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 120824 Gedanken für den Tag / Markus Schlagnitweit
Länge: 03:49 min

weiteren Inhalt einblenden