Zwischenruf

von Superintendent Paul Weiland (St. Pölten)

Heute möchte ich im Zwischenruf über ein Zitat sprechen, das mich zugleich verwundert, amüsiert und geärgert hat. Die Biochemikerin Renée Schroeder hat in einem Gastkommentar in der Zeitschrift News festgestellt: "Der Religionsunterricht gehört endlich abgeschafft. Volksschulkinder gehen bereits in der zweiten Stunde ihres Schülerdaseins in die Kirche! Damit beginnt bereits die Gewöhnung an die Irrationalität."

Christen haben in ihrer Geschichte schon vieles erlebt. Es hat Zeiten gegeben, in denen sich die Kirchen in unangemessener Weise Privilegien angeeignet haben. Es gab die Phasen, in denen sie zurückhaltend, devot, ja geradezu unterwürfig waren.

Weil und - so lange - Kirchen und Christen in dieser Welt leben, geht es immer auch um das Zusammenleben in der Gesellschaft. Geht es immer auch um das Miteinander unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Weltanschauungen. In der Geschichte können so gut wie alle Entwicklungen, auch Fehlentwicklungen, nachgewiesen werden. Redet jemand aber von der Kirche heute, dann sollte er oder sie auch von dieser Kirche heute ausgehen.

Ich habe den Eindruck, dass die Kirchen Zurufe von außen bekommen, die weder dem Selbstverständnis der Kirchen entsprechen noch der heutigen Situation und dem heutigen Erscheinungsbild der Kirchen gerecht werden.

Dazu eine kleine Randbemerkung. Mir fällt auf, dass Menschen über keinen anderen Bereich mit so wenig Wissen, so wenig Information, so wenigen Kenntnissen öffentliche Aussagen und Ansagen machen, wie über den Bereich Religion, Kirche und Glaube.

Man würde ja auch das Auto heute sehr unzureichend beschreiben, wenn man die Technik nur bis zu den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts kennt.

In unserer Gesellschaft gibt es offensichtlich den Trend, Religion und Glaube immer mehr in ein privates Eck zu drängen. Manche würden die Kirche wieder gerne in den eigenen vier Wänden einsperren, wenn nicht sogar überhaupt abschaffen. Religion habe im öffentlichen Leben nichts verloren, das sei eine reine Privatangelegenheit, sagen sie, und sagen dann oft auch noch, Religion und Glaube sei so etwas wie das Irrationale im Leben, das man möglichst rasch überwinden müsse.

Da hat es ja schon manche Ideologien gegeben, die das versucht haben. Aber sie haben alle in menschenverachtender Überheblichkeit, im Größenwahn und im Zusammenbruch aller Werte geendet.

Ich möchte begründen, warum das für mich ein falscher Weg ist. Die Wirklichkeit des Lebens besteht nicht nur aus dem Sichtbaren und Materiellen. Der Glaube und die Religion bringen die Dimension des Menschen ins Spiel, ohne die das Leben nicht vollständig ist. Es ist die Dimension des Religiösen, die für jeden Menschen konstitutiv ist, und im Letzten nach dem Grund und Sinn des Seins fragt. Der Glaube und die Religion bringen die Seiten der Menschen zum Klingen, die mit den Begriffen Verantwortung, Vertrauen, Nächstenliebe, Solidarität, Vergebung beschrieben werden können. Und zwar - und das ist das wirklich Besondere der Kirchen - von einem Standpunkt ohne Selbstzweck her.

Der biblische Glaube engt Menschen nicht ein, er macht sie frei. Frei, nach ihrem Gewissen zu handeln. Frei, auch Meinungen gegen den Trend zu vertreten. Frei, nicht nur auf sich selbst zu schauen, sondern immer auch die anderen im Blick zu haben. So ist das Wirken in der Öffentlichkeit nicht ein Privileg der Kirchen, sondern ein Beitrag der Kirchen zu einem verantwortlicheren Leben in unserer Gesellschaft.

Weil wir ja noch relativ nahe zum Schulbeginn stehen, möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Religionsunterricht hinweisen. Viele, die darüber reden, haben einen Unterricht von vor 100 Jahren im Blick, d. h. sie reden über etwas, was sie gar nicht kennen. Heute ist der Religionsunterricht keine konfessionelle Indoktrination, sondern ein Beitrag zur Erziehung eines verantwortlichen Lebens in unserer Gesellschaft. Er ist ein Angebot, das umfassende Ganze des Lebens kennen zu lernen, und ganz und gar keine Einführung oder gar Engführung in die Irrationalität.

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