Gedanken für den Tag

Von Eric Frey. "Ritus und Ratio". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Ab 8. Oktober feiern Jüdinnen und Juden Simchat Tora, das Fest der Torafreude - ein Dank für die Tora. Der auch als die biblischen "Fünf Bücher Mose" bekannte grundlegende heilige Text des Judentums enthält nach jüdischem Verständnis die Gebote und Weisungen Gottes.

Anlässlich dieses Festes setzt sich der Journalist und Politologe Eric Frey mit der Frage auseinander, warum aufgeklärte, moderne Menschen noch alte Texte lesen. Religionen schöpfen zumeist aus einem reichen Schatz an Überlieferungen, Traditionen und Ritualen - nicht alle davon sind heute unumstritten.

In wenigen Tagen wird in Synagogen in aller Welt das letzte Kapitel der Tora gelesen und das erste begonnen. Ein ganzes Jahr werden Woche für Woche die Abschnitte aus den fünf Büchern Mose aus alten Pergamentrollen von einem Kantor, einem Rabbiner oder auch einer Rabbinerin vorgetragen - in schnellem Hebräisch, das selbst Sprachkundige nicht ohne weiteres verstehen.
Und dennoch ist dieser Vorgang der zentrale Akt der jüdischen Religion. Denn jeder weiß - dies geschieht seit Tausenden von Jahren - derselbe Text, dieselben Worte. Die Tora verankert heutige Menschen in der Weltgeschichte. Wann sie genau verfasst wurde, weiß nur der, der fest daran glaubt, dass sie Moses vom Allmächtigen am Berg Sinai diktiert wurde. Die Wissenschaft geht hingegen davon aus, dass ältere und neuere Texte in der Zeit nach dem babylonischen Exil ab dem fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zusammengestellt wurden.
Dies war eine besonders fruchtbare Ära der Geistesgeschichte. Damals ist in Griechenland Homers Ilias entstanden und in Indien der heilige Text der Hindus, die Mahabharata mit ihrem zentralen Gesang, der Baghavat Gita. Auch Konfuzius hat damals in China gelehrt und geschrieben.
Die Worte von Homer und Konfuzius sind uns erhalten geblieben und sind bis heute hoch geschätzt. Aber sie werden nicht Woche für Woche von Millionen Menschen gelesen und angehört. Das ist der Tora vorbehalten, dank der jüdischen Religion, die nicht nur eine Religion des Buches ist, sondern auch der Weitergabe dieser Worte, von einer Generation zur nächsten, von der Frühzeit unser Zivilisation bis - so heißt es immer wieder in der Tora und den Gebeten - in alle Ewigkeit.

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Titel: GFT 121002 Gedanken für den Tag / Eric Frey
Länge: 03:49 min

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