Radiokolleg - Die wichtigste Nebensache der Welt
Sex und modernes Leben
(3). Gestaltung: Sabine Nikolay
10. Oktober 2012, 09:05
Eine alte Geschichte: ein Mann sieht eine Frau und wird von Begehren zu ihr erfüllt. Er erobert sie, verbringt ein paar erfüllende Stunden mit ihr - und zieht weiter. Die Frau bleibt enttäuscht zurück.
Eine alte Geschichte: Eine Frau trifft einen Mann. Er umgarnt sie, flirtet mit ihr, bis sie schließlich einwilligt. Sie gibt sich ihm hin, verliebt sich - und wird verlassen.
Die Literaturgeschichte ist voll von diesen Geschichten - ebenso wie psychotherapeutische und psychoanalytische Praxen.
Oder diese Geschichte: Ein Mann und eine Frau verlieben sich, ziehen zusammen, bekommen Kinder. Nach wenigen Jahren ist das sexuelle Interesse aneinander erloschen. Traditionell gingen Männer in solchen Situationen fremd - heute tun dies auch oft die Frauen.
Sexuelle Anziehung, Lust und Begehren beeinflussen unser tägliches Leben in weitaus größerem Maße, als uns bewusst ist - oder als wir zugeben. Dabei gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, die mit unserer Herkunft als Primaten mehr zu tun haben, als mit unserem Leben in einer aufgeklärten Gesellschaft.
Warum müssen Männer imponieren und sich untereinander durch Höchstleistungen in den Schatten stellen? Warum legen Mädchen und Frauen so großen Wert auf ein anziehendes Äußeres?
Warum gibt es heute mehr und explizitere Pornographie als je zuvor, wo wir doch angeblich so liberal und aufgeklärt sind? Wozu dienen Tabus? Welchen Nutzen haben sie in der Gesellschaft? Und warum verdrängen wir die Sexualität immer noch in die Graubereiche der sozialen Gemeinschaft, wo wir doch alles zu wissen glauben?
Die Antwort ist wohl nur in der Beantwortung einer grundsätzlichen Frage zu finden, die selten gestellt wird: Was bedeutet Sexualität für den einzelnen Menschen? Wie wird sie bereits in frühester Kindheit vorbestimmt und geprägt? Und wie können wir gravierende Fehler vermeiden - um damit nicht uns selbst und die Menschen die wir lieben ins Unglück zu stürzen? Denn Sexualität ist eine Metapher für die gesamte Gefühlspalette, die dem Menschen zur Verfügung steht: Zärtlichkeit, Respekt, Nähe und Fürsorge ebenso wie Grausamkeit, Unterwerfung, Abhängigkeit, Suchtverhalten und Kontrollverlust. Gleichzeitig ist die Sexualität jene Tätigkeit, bei der wir diese Gefühle am intensivsten erleben können. Nicht umsonst heißt es: "Als Ersatz für die verlorene Kindheit entdeckt der Mensch die Sexualität."
Service
Literarische Werke:
Ela Angerer (Hg.), Porno, Czernin 2011
Thomas Bernhard, Die Ehehölle, Suhrkampt tb 2008
Franzobel, Luna Park, Edition Brandstetter, 2008
El James, Shades Of Grey, Goldmann 2012
Julya Rabinowich, Die Erdfresserin, Deuticke 2012
Charlotte Roche, Schoßgebete, Piper 2011
D. A. F. Marquis de Sade, Ausgewählte Werke, Melzer Verlag 2006
Monyama, Tiger In High Heels, Lotus Press 2010
Fachliteratur:
Josef Breuer, Sigmund Freud, Studien über Hysterie, Fischer tb, 4. Aufl. 2000
Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, suhrkamp tb, 11. Auflage 1999
Sigmund Freud, Das Ich und das Es, Fischer tb., ohne Auflagenangabe, Mai 1993
Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer tb, 2. Aufl. 2010
Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Fischer tb, 9. Aufl. 2007
Sigmund Freud, Totem und Tabu, Fischer tb, 11. Aufl. 2011
Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, Ullstein 1983
Pierre Klossowski, Die lebende Münze, Kadmos 1998
Sven Lewandowski, Die Pornographie der Gesellschaft, transcript 2012
Allan und Barbara Pease, Warum Männer immer Sex wollen und Frauen von der
Liebe träumen, Ullstein 2009
Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution, Fischer tb, 4. Auflage, 1974
Wilhelm Reich, Die Entdeckung des Orgons, Fischer tb, 4. Auflage, 1975
Gerti Senger, Walter Hoffmann, Urkraft Sex, Ueberreuter 2012