Zwischenruf

von Superintendent Manfred Sauer (Villach, Kärnten)

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, flüchtete 1971 mit seinen Eltern nach Deutschland. Ein Jahr später übersiedelte die Familie nach Kenia, wo Trojanow aufwuchs. Deutsch lernte er im Auffanglager Zirndorf und später in deutschen Internaten. 1989 übersiedelte der Autor zahlreicher Reportagen, Essays und Romane nach Bombay, dann nach Kapstadt. Seit drei Jahren lebt er vorzugsweise in Wien.

Zweimal hatte ich das Vergnügen, Ilja Trojanow in Klagenfurt zu erleben, 2008 hielt er die Eröffnungsrede anlässlich der Ingeborg Bachmann Literaturtage und einige Zeit später war er im Robert Musil Haus als renommierter Schriftsteller zu Gast.

In einer Ö1-Leporellosendung wurde berichtet, dass Trojanow in Wien eine Schule der intellektuellen Selbstverteidigung gegründet hat. Das hat mich neugierig gemacht und ich habe versucht, weitere Informationen zu sammeln. Mit Hilfe des Internet konnte ich in Erfahrung bringen, dass es sich bei dieser "Schule", fürs erste, um ein vierteiliges Kurs-Angebot handelt, bei dem die Teilnehmenden dazu angeleitet und angeregt werden sollen, ihre Denkfähigkeit zu verfeinern, gesellschaftskritisches Bewusstsein zu fördern, sowie Fremdbestimmungsmechanismen zu entlarven und Volksverblödungsmethoden aufzuklären. Gleichzeitig sollen alle ermutigt werden, sich aktiv ins politische Geschehen einzumischen.
Intelektuelle Selbstverteidigung im Sinne von: Rebellion statt Resignation. Also nicht nur über die schlechten Zeiten jammern, über die Wirtschaftskrise klagen, den Vertrauensverlust der Politiker beweinen. Sich nicht in den Sog einer apokalyptischen Untergangsstimmung hineinziehen lassen und handlungsunfähig werden, sondern selber gegensteuern, aufbegehren.

Da liegt er ja voll im Trend, könnte man meinen, denn Aufrufe wie: Empört euch! Aufmucken statt Runterschlucken! Vom Wutbürger zum Mutbürger! erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, sind bereits sehr populär, verkaufen sich gut und werden dadurch erst recht wieder verdächtig.

Mir gefallen diese Ansätze, Aufrufe, Denkanstöße und Bewegungen trotzdem außerordentlich gut und ich hoffe, dass sie im neuen Jahr an Bedeutung zunehmen. Sie erinnern mich an mutige Frauen und Männer in der Geschichte, die für Glaubens- und Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde mutig gekämpft und oft auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben.

Mir fallen die Reformatoren ein, aber auch die "ungehorsamen" Priester rund um Helmut Schüller, die zusammen mit vielen kirchlich engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für längst überfällige Veränderungen und wichtige Erneuerungen in ihrer Kirche kämpfen. Ohne mich in die Belange der römisch-katholischen Kirche einmischen zu wollen, möchte ich doch meinen großen Respekt und meine Solidarität mit dieser Reformbewegung zum Ausdruck bringen. Lebendige Kirche muss sich immer wieder die Frage stellen, in welchen Bereichen und Belangen Veränderungsbedarf besteht.

In meinem Verständnis ist Kirche, die sich an Christus orientiert auch eine wichtige Schule der intellektuellen Selbstverteidigung. Es geht um Erkenntnis in einem sehr umfassenden Sinn. Mit wachem Verstand, mit intellektueller Schärfe, mit weitem Herzen und Glaubenskraft gesellschaftliche, kirchliche Entwicklungen kritisch zu beurteilen, den Mut zum eigenen klaren Urteil zu haben und nicht nur mit dem Strom zu schwimmen. Christliche Nachfolge heißt für mich auch, immer wieder aufzustehen gegen Unrecht und die falschen Götzen zu entlarven, Partei zu ergreifen, sich auf die Seite derer zu stellen, die unsere Solidarität und Hilfe brauchen. Christliche Nachfolge wie ich sie verstehe heißt auch, wenn es sein muss, zu rebellieren, zu protestieren und zu mobilisieren, jedenfalls nicht aufzugeben und zu resignieren.

Stati inu obstati - Stehen und Widerstehen, das war auch der Leitspruch des slowenischen Reformators Primus Trubar. Standfestigkeit zu beweisen, wenn es darum geht, menschliche Würde, die Freiheit des Denkens und Glaubens zu verteidigen und Widerstand zu leisten, wenn dies alles in Gefahr ist und Menschen ganz bewusst unterdrückt und in Unfreiheit gehalten werden.

Eine Schule der intellektuellen Selbstverteidigung stärkt die Hoffnung, dass Menschen wacher, aufmerksamer und sensibler werden, dass sie sich aktiver, mutiger und entschlossener einbringen und unsere Gesellschaft mit ihren Begabungen mitgestalten.

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